Wie lassen sich Arbeitsabläufe optimieren? Als der Ingenieur Frederick Winslow Taylor diese Frage 1913 in seinem Buch Die Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung zu beantworten versuchte, konnte er auf Experimente zurückgreifen, die er seit den 1880er-Jahren in einer Fabrik in Philadelphia mit Rechenschieber und Stoppuhr durchgeführt hatte. Taylor gilt als der Begründer der Arbeitswissenschaft und gemeinhin wird diese Methode der wissenschaftlichen Betriebsführung, der „Taylorismus“, mit seinem Namen verknüpft. Tatsächlich haben Zeit- und Bewegungsstudien, die das Fundament für betriebliche Rationalisierungsmaßnahmen bilden, eine sehr viel längere Geschichte.
Schon im 18. Jahrhundert, so die Wirtschaftshistori
Wirtschaftshistorikerin Caitlin Rosenthal in ihrem Buch Sklaverei bilanzieren. Herrschaft und Management, hatten Sklavenhalter ganz ähnliche Methoden entwickelt, um ihre Baumwoll- und Zuckerplantagen in Nordamerika und auf den Westindischen Inseln profitabler zu bewirtschaften und auf diese Weise zu großem Reichtum zu gelangen. Das zeigen Tausende von akribisch geführten Geschäftsbüchern, die aus dieser Zeit überliefert sind.Zucker war seinerzeit ein hochbegehrtes Luxusgut und die Textilindustrie – die führende Branche in der industriellen Revolution – verwebte Stoff aus der von Plantagensklaven geernteten Baumwolle. Um die Produktivität ihrer landwirtschaftlichen Betriebe auszuloten und durch einen besseren Einsatz der menschlichen Arbeitskraft zu steigern, ließen die Besitzer der Plantagen genauestens Buch führen, probierten immer wieder neue Methoden aus und stellten aufgrund der gewonnenen Daten Experimente in Sachen Betriebsführung an, die denen von Taylor in nichts nachstanden.Die Aufseher waren beides zugleich: rücksichtslose Menschenschinder mit der Peitsche und eine Frühform von Managern, die darum bestrebt waren, die Position ihres Unternehmens im wirtschaftlichen Wettbewerb zu verbessern. Die von ihnen ausgeübte Gewalt stand in Zusammenhang mit einem verbrecherischen System, das sich auf die brutalste Form der Ausbeutung stützte, war in ökonomischer Hinsicht jedoch sehr produktiv. „Als Arbeitskräfte konnten versklavte Menschen mit vergleichsweise geringem Verhandlungsaufwand von einer Aufgabe zur anderen umverteilt werden. Sie konnten zur Arbeit in unangenehmen Jobs getrieben oder Tausende Meilen zu fruchtbaren Böden verfrachtet werden.“ Insofern begünstigte, so die zentrale These der in Berkeley lehrenden Wissenschaftlerin, das von den Sklavenhaltern betriebene menschenverachtende System unfreier Arbeit die Entwicklung ausgeklügelter Praktiken wissenschaftlicher Landwirtschaft und modernen Managements.Nur am Rande befasst sich die Autorin mit dem Widerstand, den versklavte Menschen der von ihnen erlittenen Herrschaft entgegenbrachten – von der Sabotage über die Flucht bis zum Freitod: „Die Verlangsamung des Arbeitsrhythmus, das Stopfen von Steinen und Melonen in Baumwollsäcke und die Solidarität, wenn Plantagenbesitzer Verdacht schöpften – all dies störte das Managementsystem.“Sorgfältige BuchführungUm jedoch die Bedeutung solcher Widerstandshandlungen zu begreifen, sei es nötig, das Herrschaftssystem zu verstehen, unter dem die ihm unterworfenen Menschen zu leiden hatten. Ihre Möglichkeiten, Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Erholung zu erfüllen, waren stark eingeschränkt. Sie waren ständig von Gewalt bedroht, die zum Tod führen konnte. Sie mussten fürchten, verkauft und auf diese Weise von ihrem gewohnten Umfeld, vertrauten und geliebten Personen, für immer getrennt zu werden. Schließlich sahen sie sich einem Rechtssystem ausgesetzt, dass sie mehr als Eigentum denn als Menschen betrachtete. Diese Umstände waren es, die den Plantagenbesitzern einen enormen Einfluss auf die Arbeitsprozesse ermöglichten, und sie trachteten danach, „ihre Macht mit Hilfe sorgfältiger Buchführung in umfassenden Kontrollsystemen zu bündeln“. Rosenthal meint sogar, dass das rigide Überwachungssystem der Plantagenwirtschaft nicht primitiv oder vormodern war, sondern im Bereich des Managements Innovationen hervorgebracht habe, „die in freien, von Arbeitskräftefluktuationen geplagten Fabriken nicht in dieser Weise möglich waren“. Zeitgleich und zuweilen sogar früher als Manager in anderen Wirtschaftszweigen seien die Plantagenbesitzer komplexen Problemen mit hochentwickelten Methoden der Arbeitsrationalisierung begegnet.„Ihre unternehmerischen Innovationen“, fasst sie ein Ergebnis ihrer Studie zusammen, „waren für das entstehende kapitalistische System genauso wichtig wie diejenigen in freien Unternehmen“. Der neoliberale Mythos von der unauflöslichen Verbindung von kapitalistischer Wirtschaft, Freiheit und Chancengleichheit ist ein Mythos: „Ungleichheit kann Innovation vorantreiben, und Innovation kann Ungleichheit zunehmen lassen, insbesondere auf stark unregulierten Arbeitsmärkten, auf denen alles – sogar Leben – zum Verkauf steht.“Als ehemalige Mitarbeiterin der berüchtigten Beraterfirma McKinsey und Co verfügt Rosenthal über die Sachkenntnis, um Vergleiche in die Gegenwart hinein zu ziehen. Schon 1913 zogen Arbeiter und Managementexperten im Hinblick auf die damals gebräuchlichen Kontrollmethoden Parallelen zu der ein halbes Jahrhundert zuvor abgeschafften Sklaverei. „Wir können nicht sagen“, erklärte damals ein Fabrikant aus Philadelphia, „wer den Keim der Idee der wissenschaftlichen Betriebsführung zuerst freigesetzt hat, da er der Welt mit dem ersten Schmerzensschrei geboren wurde, der den Lippen des ausgepeitschten Sklaven entwich“. Die Konzentration allein auf die Zahlen, das verdeutlicht ihr Buch eindrücklich, verdeckt den Blick auf die mit ökonomischer Herrschaft verbundene Gewalt und Grausamkeit – auch nach der Beseitigung der Sklavenwirtschaft.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1