Isabel Fargo Cole über ihr Buch „Die Goldküste. Eine Irrfahrt“
Interview Ihr Großvater Arva war ein Goldschürfer. Von ihren Eltern lässt sich die Schriftstellerin Isabel Fargo Cole zu einer Gruppenreise nach Alaska überreden. Entstanden ist der tolle Essay „Die Goldküste. Eine Irrfahrt“
Goldrausch in Alaska, 1898. Drei Männer bei der Rückkehr ins Lager bei 35 Grad unter Null
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Seit den 1990er Jahren lebt die US-amerikanische Schriftstellerin und Übersetzerin Isabel Fargo Cole in Deutschland. Während sie den Stoff für ihre Romane in ihrer Wahlheimat fand – ihr Debüt Die grüne Grenze war 2018 für den Leipziger Buchpreis nominiert –, geht es in ihrem romanhaften, opulent illustrierten Essay Die Goldküste. Eine Irrfahrt um ein Thema, das amerikanischer gar nicht sein könnte: die Geschichte des Goldrauschs in Alaska. Am Anfang stand eine Gruppenreise nach Alaska, die sie kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie auf Einladung ihrer Eltern hin unternahm.
der Freitag: Frau Cole, Ihre Alaska-Erkundung fand als organisierte Gruppenreise statt. Klingt für mich gruselig!
Isabel Fargo Cole: Für meine Eltern zunäch
ig!Isabel Fargo Cole: Für meine Eltern zunächst auch. Aber am Ende war es sehr schön und für mich ein Glücksfall. Allein wäre ich nicht nach Alaska gekommen. Das wäre nicht einfach und nicht billig gewesen. Das Abenteuerreisen traue ich mir auch nicht zu. So hatte ich fünf Mahlzeiten am Tag, Umweltpädagogik und ein bisschen Abenteuer-Atmosphäre. Für mich war es auch interessant, zu beobachten, wie die Reiseveranstalter versuchen, den Teilnehmern ein ökologisches Bewusstsein zu vermitteln.Dennoch nennen Sie Ihren Essay „Die Goldküste. Eine Irrfahrt“. Das weckt Assoziationen zu den Abenteuern des Odysseus in der ägäischen Inselwelt.Ich habe zunächst nicht an Odysseus gedacht. Ich wollte dann aber mit dem Titel auch zeigen, dass es nicht um einen klassischen Reisebericht geht, sondern dass es sich um eine Art von Irrfahrt handelt. Ursprünglich hatte ich das Buch nur Die Goldküste nennen wollen.Was hat es damit auf sich?Zunächst geht es um die konkrete Küste, an der mein Ururgroßvater Arva Fargo in Alaska nach Gold suchte. Es gibt eine Familienlegende, nach der er wirklich fündig wurde. Meine Tante hat einen zeitgenössischen Zeitungsartikel gefunden, der das behauptet. Ich wollte herausfinden, ob da etwas dran ist und was genau Arva in Alaska getrieben hat. Der Begriff „Goldküste“ blättert sich dann im Verlauf der Erzählung auf. Es ist die Westküste der USA, die immer ein Anziehungspunkt war, weil sie mit dem Traum vom schnellen Reichtum verbunden war und es bis heute ist. Die weit auseinanderliegenden Orte sind durch die Irrfahrten der Goldsucher miteinander verbunden. Seattle im Bundesstaat Washington und San Francisco in Kalifornien sind heute der Schauplatz eines neuen Goldrauschs der Tech-Industrie. Nach wie vor gehört der amerikanische Traum, der Aufbruch zu neuen Ufern, die Sehnsucht nach Abenteuer und materiellen Reichtum, zum Selbstverständnis der USA. Das alles schwingt in dem Begriff „Goldküste“ mit.Placeholder infobox-1Ihre Reise dauerte nur wenige Wochen. Dennoch hatte ich den Eindruck, enorme Entfernungen zurückzulegen, tief in die Geschichte Alaskas und seiner Bewohner einzudringen. Sie schildern Flora, Fauna und wie der Kapitalismus in die Wildnis einbricht. Wir erfahren von Prostitutierten, Goldschürfern und ganz verschiedenen indigenen Gemeinschaften.In der ein wenig labyrinthischen Welt der Inseln und der Fjorde kann man mit dem Schiff auf einer vergleichsweise geringen Entfernung eine ganze Reihe von Welten kennenlernen.Daraus haben Sie ein sehr vielschichtiges Buch gemacht.Es gibt unterschiedliche Text-Ebenen. Da gibt es diesen subjektiven Reisebericht. Im Laufe des Schreibprozesses habe ich Informationen, Anregungen und Namen, auf die ich später gestoßen bin, in mein Reisetagebuch eingearbeitet. Sachen, die ich mir erklären wollte oder die mich fasziniert haben wie die Besteigungsgeschichte des Bergs Denali, habe ich in Form von Exkursionen vertieft. Ich habe versucht, das mit Hilfe von Querbezügen so einzufädeln, dass man die Orientierung nicht ganz verliert. Es kam mir darauf an, die Fakten möglichst hieb- und stichfest zu vermitteln und es deutlich zu machen, wenn die Datenlage unklar oder kontrovers ist, etwa was die archäologischen Fakten betrifft. Auf einer anderen Ebene entwickle ich bestimmte Ideen. All diese Herangehensweisen musste ich in dem Essay zusammenfügen.Gehen Sie anders vor, wenn Sie an einem Roman schreiben?Reflexionen über die Natur, die historischen oder politischen Verhältnisse können natürlich auch in einem fiktiven Text Platz finden. Mein erster Roman Die grüne Grenze, für den ich viel über die DDR in Erfahrung bringen musste, beruht auf umfänglichen Recherchen. Aber die Geschichte, die ich auf dieser Grundlage entwickelte, musste ich selbst erfinden. Darin unterscheidet sich das Schreiben eines Essays von einer fiktionalen Herangehensweise.Hat Ihnen Ihre Erfahrung als Literaturübersetzerin dabei geholfen, die vielen geografischen und ethnografischen Informationen verständlich aufzubereiten?Das ist eine interessante Frage. Vielleicht. Der Unterschied ist natürlich, dass man beim Übersetzen von Literatur ja an einen bestimmten Inhalt gebunden ist. Man kann nicht erklärend in einen Text eingreifen. Aber wenn ich einen ostdeutschen Autor übersetze, überlege ich, was dem englischsprachigen Leser vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen unklar sein könnte. Insofern habe ich das vielleicht mehr im Auge als jemand, der nicht übersetzt.Ein spannender Teil Ihres Buches ist die Begegnung mit verschiedenen indigenen Gruppen. Wie man diese korrekterweise bezeichnet, ist heute umstritten.Das ist schwierig. Manche Indigene bevorzugen die Bezeichnung „Native Americans“, andere wiederum „Indianer“. In Kanada nennen sie sich eher „First Nations“, was für Deutsche vielleicht auch komisch ist, weil der Begriff „Nation“ immer ein bisschen nach Nationalismus klingt. Ich habe auf die Bezeichnung „indigen“ zurückgegriffen, was ich aber auch ein wenig unglücklich finde, weil es zu unspezifisch ist. Die Bezeichnung „Stamm“ ist auch schwierig, weil diese Völker ganz verschiedene Gesellschaftsformen haben. Ich habe, wo es geht, immer versucht, die Eigenbezeichnungen zu verwenden. Die Angehörigen jedes Volkes haben eigene Vorlieben dazu, wie sie sich bezeichnen lassen wollen. Wie man das dann im Deutschen angemessen wiedergibt, ist eine Sache für sich. Das Problem bei solchen Sprachdebatten ist: Die Sprache ist so voller Assoziationsmöglichkeiten und Zweideutigkeiten, dass man nie das eine gerechte Wort finden wird.Was haben Sie im Zuge Ihrer Recherche erfahren, was Sie vorher noch nicht wussten?Da gibt es vieles, insbesondere was die Periode des Gilded Age („Vergoldetes Zeitalter“) zum Ende des 19. Jahrhunderts betrifft. Das war eine Zeit, die viele Parallelen zur unseren hat: Finanzkrisen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Ich wusste vor meiner Recherche nicht, dass viele der Menschen, die sich auf die Goldsuche machten, nicht nach Reichtum gierten, sondern Opfer der Finanzkrise waren. Sie hatten keine ökonomische Perspektive, weil sie beispielsweise ihre Farm verloren hatten. Zur gleichen Zeit entstanden fortschrittliche Kräfte wie die Progressive Party, auch die Populist Party. Meine Reise fand in der Regierungszeit von Trump statt, in der der Begriff „Populismus“ wieder an Bedeutung gewann.Historisch gesehen hatte der Begriff „Populismus“ eher progressive Bedeutung, oder?Ja, es war interessant für mich, die positiven Aspekte kennenzulernen. Die populistische Partei entstammte einer Bewegung von unten, verlangte Gerechtigkeit für die „kleinen Leute“. Es gab aber auch problematische Seiten: Man hat mit Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit gearbeitet. In vielerlei Hinsicht war es aber eine fortschrittliche Bewegung, die die damalige Politik in einem positiven Sinne aufgemischt hat.Würden Sie gerne noch einmal allein nach Alaska reisen?Das würde ich wahnsinnig gerne machen. Nur habe ich mir überlegt, wie ich von Kalifornien nach Alaska komme, ohne in ein Flugzeug zu steigen.Aus ökologischen Gründen?Die Corona-Pandemie zwang mich dazu, grundsätzlich über das Reisen nachzudenken. Ich habe mich dann gefragt, aus ökologischen Gründen, ob ich es überhaupt rechtfertigen kann, extra nach Norden zu fliegen, um dort ins Archiv zu gehen. Aber selbst wenn ich es noch einmal nach Alaska geschafft hätte und dort mehr über meinen Großvater Arva erfahren hätte – wäre es ein anderes Buch geworden? Vielleicht nicht.Placeholder authorbio-1
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