Springer-Boss will Sputnik-Schock

Die Buchmacher Christoph Keese möchte die deutsche Wirtschaft revolutionieren. Seine Perspektive ist die des hiesigen Kapitals, das seine Felle davonschwimmen sieht
Ausgabe 43/2016

Der 4. Oktober 1957 war ein Weckruf für die westliche Welt. Mit dem erfolgreichen Start eines sowjetischen Erdsatelliten wurde auf einen Schlag deutlich, dass sich die sozialistische Supermacht anschickte, die USA in Sachen Raumfahrt technologisch zu überholen. Schlimmer noch: Das Kernland des Kapitalismus war in Reichweite der Vernichtungskraft sowjetischer Atomraketen geraten. Der „Sputnik-Schock“ gab den Impuls für eine gewaltige technologische Aufholjagd, an deren Ende die USA im Kalten Krieg triumphieren sollten.

Die deutschen Unternehmen stehen heute vor einer ähnlich großen Herausforderung wie die USA vor 60 Jahren, glaubt der Publizist und Vizechef des Axel-Springer-Konzerns Christoph Keese in seinem neuen Buch Silicon Germany. Wie wir die digitale Transformation schaffen. Keese hat 2013 einige Monate in Kalifornien verbracht und glaubt, die von dortigen Technologiekonzernen entfesselte Dynamik stelle die hiesige Wirtschaft vor die Alternativen, entweder eine von vielen Werkbänken und einer von vielen Absatzmärkten des Silicon Valley zu werden – oder konkurrenzfähig in Sachen disruptiver Geschäftsmodelle. Dafür brauche es einen neuen Sputnik-Schock in Sachen Digitalisierung.

Deutschland drohe ökonomischer Abstieg mit dramatischen sozialen Folgen. Wer heute noch Aussicht auf einen hoch qualifizierten und gut bezahlten Industriejob habe, den erwarte morgen eine prekäre Beschäftigung im Handel oder im Dienstleistungssektor. Schon jetzt nehme die Einkommensspreizung in den entwickelten Ländern zu. Während ein klassischer Markt nach dem anderen durch den Angriff risikofinanzierter digitaler Plattformen unter Druck gerate, nehmen viele Akteure in Politik und Wirtschaft die rasant vor sich gehende ökonomische Umwälzung auf die leichte Schulter. Dabei kommen fünf der zehn wertvollsten Firmen der Welt inzwischen aus der Digitalwirtschaft – alle aus den USA.

Keeses Perspektive ist die des deutschen Kapitals, das seine Felle davonschwimmen sieht. Er sondiert die Lage in Gesprächen mit hunderten Kollegen, Entwicklern, Start-up-Unternehmern, Konzernbossen und Risikokapitalgebern. Woran es der deutschen Wirtschaft mangele, sei der intellektuelle und ökonomische Austausch zwischen den Fachgebieten. Die gut funktionierende vertikale müsse durch eine horizontale Vernetzung ergänzt werden. Dadurch könnten jene Innovationen entstehen, die nötig seien, um mit dem Silicon Valley auf Dauer konkurrenzfähig zu werden. So stellt Keese an das Ende seines Buches einen Forderungskatalog. Darin geht es um die Revolutionierung der Unternehmenskultur, die Vermittlung von Digitalkompetenz an Schulen und Universitäten, die Mobilisierung von mehr Risikokapital, den Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Erarbeitung ethischer Standards für die Mensch-Maschine-Kommunikation, eine Charta digitaler Grundrechte sowie eine Wettbewerbspolitik, die der die Demokratie gefährdenden Marktmacht von Facebook, Google und Co. Einhalt gebieten kann.

Der digitale Kapitalismus begünstigt nämlich die Entstehung von Supermonopolen. Die Konzentration ökonomischer Macht geht dabei nicht, wie Karl Marx hoffte, mit der wachsenden Organisationsstärke abhängig Beschäftigter einher, sondern mit ihrer Vereinzelung als „Mikrounternehmer“. Für dieses Problem hat Christoph Keese keine Lösung parat. Das ist aber auch nicht die Aufgabe eines Spitzenmanagers. Hier ist die Linke gefordert.

Info

Silicon Germany. Wie wir die digitale Transformation schaffen Christoph Keese Knaus Verlag 2016, 368 S., 22,99 €

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