Mitten in ostdeutschen Landen tragen erwachsene Männer und Frauen indianische Trachten, üben sich im Büffeltanz und schlagen die Trommel. Was auf den ersten Blick wie eine infantile, aber harmlose Freizeitbeschäftigung aussieht, setzt einen Zweig demokratischer Volkskultur fort, der bisher nur selten kulturhistorisch beleuchtet wurde: das politische Indianerspiel. Höchste Zeit also, dass sich der 1974 geborene Architekt Friedrich von Borries und der 1977 geborene Historiker Jens-Uwe Fischer zusammenfanden, um einen Essay über das Western-Hobby in der DDR zu schreiben.
Ihr Versuch, die Verhältnisse im postsozialistischen Ostdeutschland am Beispiel der Indianistik-Szene besser zu verstehen, setzt in den Anfangsjahren der DDR an. 1956 gründeten Kriegshe
n Kriegsheimkehrer im sächsischen Karl-May-Mekka Radebeul den ersten Indianistikklub der DDR: "Old Manitou". Mit Sozialismus hatten sie damals nicht viel im Sinne. Im Klubleben gab es konservative und fremdenfeindliche Töne. Noch heute freut sich ein Gründungsmitglied, der über 70 Jahre alte "Lone Bull", auf der alljährlich veranstalteten "Indian Week", "eine Woche lang mal keine Türken" zu sehen. Für die heutigen Native Americans hat er nicht viel übrig: "Die sind nicht richtig indianisch und hausen schlimmer als die Zigeuner in der Tschechei." Man kann im nachhinein verstehen, warum die DDR-Staatsorgane dem bunten Treiben damals reserviert gegenüber standen. Den Indianisten der ersten Stunde folgten sozialistisch gesinnte Idealisten, die den Kampf der indianischen Bürgerrechtsbewegung mit Protestbriefen und Aktionstagen unterstützten und die kriegssozialisierten Gründerfiguren der Szene in die zweite Reihe verwiesen. Die Indianer der DDR wollten nun "nicht mehr nur einen Häuptling, sondern einen Gruppenrat" haben. Seit 1973 treffen sie sich alljährlich in den Tipi-Lagern der Indian Week, während der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten abseits des offiziellen Programms sogar mit den Bürgerrechtlern des American Indian Movement. Das Hobby bekommt wissenschaftliche Züge. Zeitungen wie das Informationsblatt für Indianistik oder Wampum entstehen. Viele Indianer-Enthusiasten versuchten dem Alltagstrott zu entgehen, ohne den Sozialismus in Frage zu stellen. Wer politisch interessiert war, unterstützte den bis heute inhaftierten indianischen Bürgerrechtler Leonard Peltier oder dachte darüber nach, wie der Sozialismus nach indianischem Vorbild verbessert werden könnte. Schon in der Amerikanischen Revolution wurden Indianer zu republikanischen Freiheitsikonen. Deshalb verkleideten sich die Sons of Liberty, eine Gruppe amerikanischer Patrioten, als Mohawk-Irokesen, als sie 1773 in der historischen Boston Tea Party gegen die englische Kolonialmacht aufbegehrten. Sie bildeten gleichsam die Vorhut des revolutionären Indianerspiels, das von der linksradikalen "Stadtindianer"-Bewegung europäischer Metropolen noch im späten 20. Jahrhundert deutlich weniger erfolgreich fortgesetzt wurde. Auch der Irokesenschnitt der Punks steht in dieser Tradition demokratischen Aufbegehrens. Die wechselnden Akteure orientierten sich auf dieser langen historischen Strecke nicht nur an den stereotypen Bilder der Populärkultur, sondern immer wieder auch an authentischen indianischen Ritualen und Politikformen. Dass das Eine in das Andere übergehen kann, zeigt das Beispiel des jungen Rechtsanwalts Lewis Henry Morgan. Der hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Bundesstaat New York einen literarischen Klub gegründet, der dem Vorbild des Irokesenbundes nacheiferte und die Indianer in ihrem Kampf um Landrechte juristisch unterstützte. Auf die lange zurückreichende Verbindung von Protest und Indianerspiel gehen die Autoren nicht ein. Schon der bloße Hinweis, dass Friedrich Engels Schilderungen in Vom Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats auf die bis heute anerkannten Studien des Hobby-Indianers Morgan zurückgehen, hätte das Buch um eine historische Dimension erweitern können. So bleibt es beim Befund, dass kritische SED-Mitglieder und Ökoanarchisten ihr nicht immer wohlwollend beäugtes Tun gegenüber den Behörden mit Hilfe der Klassiker plausibel zu rechtfertigen wussten. Insgesamt bietet die Studie einen interessanten Einblick in die zum Ende sehr breit gefächerte Indianistik-Szene der DDR inklusive obligatorischer Exkurse zum DEFA-Indianerfilm, der kaum vorhandenen Indianerforschung an den Hochschulen und zu den legendären Indianer-Romanen der 1901 geborenen Autorin Liselotte Welskopf-Henrich. Die Autoren stellen die Westernwelt der DDR als "vom totalen Machtanspruch der Diktatur durchdrungen" dar, können dafür aber kaum Belege beibringen. Schon der Vergleich mit den Hobby-Kollegen aus der benachbarten BRD wäre geeignet gewesen, manche autoritäre Erscheinung in den Tipi-Lagern der DDR nicht auf die Allgegenwart der Staatssicherheit, sondern auf die unspektakuläre und biedere Tradition deutscher Vereinsmeierei zurückzuführen. Stellenweise ärgerlich ist, wie leichtfertig mit dem Stasi-Klischee operiert wird. An die Stelle seriöser Dokumentation tritt dann das bloße Hörensagen. So, wenn die Autoren, die Witwe des Old-Manitou-Gründers Johannes Hüttner, genannt "Powder Face", mutmaßen lassen, dass die Stasi bei der Absetzung ihres Mannes die Finger im Spiel gehabt habe. Wo eine gründliche Recherche angebracht gewesen wäre, verlassen sie sich auf die suggestive Wirkung der antikommunistischen Gerüchteküche: "1986 ertrinkt Dean Reed im Zeuthener See. Selbstmord? Ein Unfall? Oder wurde er von der Stasi ermordet, weil er in die USA zurückkehren wollte?"Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer Sozialistische Cowboys. Der Wilde Westen Ostdeutschlands. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, 220 S., 10 EUR