Zerstört die Zentrale

Demokratie Großkonzerne beherrschen das Internet. Diese Macht ließe sich durchaus brechen
Ausgabe 52/2015

Und es begab sich in dem Jahr, dass im Staate Kalifornien ein liebliches Kind ward geboren. Und dass der Vater dem Neugeborenen hinterließ einen Brief, dessen Inhalt die Welt nie zuvor gesehen. 99 von 100 Teilen ihres Vermögens wollen er und seine Gemahlin Priscilla künftig verwenden, um Krankheiten zu heilen und starke Gemeinschaften aufzubauen. So der Menschenfischer Zuckerberg, dessen Netz zu diesem Zeitpunkt bereits weite Teile des Globus erfasste. Die ganze Welt vernahm es und nahm die Gabe dankend an. Die ganze Welt? Nein, ein paar Ungläubige äußerten den Verdacht, dem heiligen Paar ginge es weniger darum, Gutes zu tun, als Steuern zu sparen.

Unabhängig von der Ankündigung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, mit einem Großteil seines Vermögens nun die Lösung der globalen Probleme weiter zu privatisieren: Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ohne Facebook und Google ist heute schon für die Mehrheit der Menschen kaum vorstellbar. Die Konzerne sind insofern „Grundversorgungsunternehmen“, wie der Datenschutzexperte Jon Callas schon 2011 feststellte. Und das im globalen Maßstab.

Anschluss für Afrika

Als Brasilien und weitere Staaten Lateinamerikas über Möglichkeiten nachdachten, die Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA mittels Bau einer eigenen Glasfaserringleitung zu erschweren, spendierte Google aus seiner Portokasse die Verlegung eines 60 Millionen Dollar teuren Kabels zwischen Brasilien und Florida.

Die von Facebook 2013 initiierte Organisation Internet.org wiederum bemüht sich, die bisher ausgeschlossenen zwei Drittel der Weltbevölkerung an den Segnungen des Netzes teilhaben zu lassen. Am Ende dürften weite Teile des südlichen Afrikas eine Variante des Internet erhalten, „wo dann halt nur Facebook und Google enthalten sind“, befürchtet der Netzkritiker Markus Beckedahl. Mit intelligenten Haushaltsgeräten, Smartphones, selbstfahrenden Autos, mit Wearables, die Körperfunktionen messen, und vielen anderen Geräten baut der digitale Plattformkapitalismus den Menschen ein Lebensumfeld, in dem sehr bald jede ihrer Bewegungen aufgezeichnet und ausgewertet werden kann. Und wozu das alles? Um unentgeltlich an die von den Nutzern produzierten Daten zu kommen und sie als Waren zu verkaufen.

Während die Besucher entsprechender Plattformen unbezahlte Arbeit leisten, ist der Haupterwerb der Konzerne das Geschäft mit den Anzeigenkunden. Shoshana Zuboff, Ökonomin an der Harvard Business School, bezeichnet das als eine „Massenenteignung“ der Nutzer. Ohne sie könnten die Monopolunternehmen überhaupt nicht existieren, betont der Medienwissenschaftler Christian Fuchs. Die vom Silicon Valley ausgehende Umsonstkultur ist nicht die partielle Realisierung kommunistischer Utopie, sondern der ideologische Schleier einer ungehemmten Ausbeutung.

Datenschutzexperte Callas sagte 2011 voraus, dass die Konzerne in absehbarer Zeit „unter staatliche Aufsicht gestellt oder gar vom Staat betrieben werden“ würden. Und zwar schon deswegen, weil Politiker es gern hätten, „wenn sie die Gesetze schreiben und nicht irgendwelche Programmierer in fernen Konzernzentralen“. Seine Prognose hat sich nicht erfüllt. Callas konnte sich nicht vorstellen, wie abhängig die politische Klasse mittlerweile von den als wissenschaftliche Expertise getarnten Einflüsterungen der Netzgiganten ist.

Thomas Wagner ist Soziologe, Journalist und Autor des Buchs Robokratie. Google, das Silicon Valley und der Mensch als Auslaufmodell

Während die Lehrstühle für Informatik und Gesellschaft in den vergangenen Jahren in Deutschland vollständig abgewickelt wurden, findet die Forschung über die sozialen Auswirkungen der digitalen Vernetzung vor allem im von Google gründungsfinanzierten Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin statt. Für den Konzern scheint Demokratie dabei eine Art veraltete Technologie darzustellen: Wer die Einrichtung eines Betriebsrats bei seinem deutschen Ableger als einen „Verlust an Meinungsvielfalt und direkter Mitsprache“ versteht, wie Googles europäischer Personalvorstand Frank Kohl-Boas, ist als Unterstützer einer demokratischen Medienentwicklung denkbar ungeeignet.

Was also tun? Zumindest die Richtung ist klar, in die wir gehen müssen. „Die Technikentwicklung der letzten 25 Jahre war marktgetrieben. Sie diente ausschließlich der Befriedigung privater Gewinninteressen und führte zu der Überwachungs- und Manipulationstechnologie, die wir jetzt haben. Darum brauchen wir endlich eine Richtungsumkehr hin zu einer demokratieverträglichen Technik“, forderte Christian Nürnberger im Magazin der Süddeutschen Zeitung, ebenfalls bereits 2011.

Die Alternativen

Im Herbst 2015 warben neun Forscher aus dem Umfeld des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der ETH Zürich in einem „Digital-Manifest“ dafür, Informationssysteme zu dezentralisierun und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Menschen abzusichern. Die Mitinitiatorin Yvonne Hofstetter hatte zuvor gefordert, die EU solle eigene Betriebssysteme und sogenannte soziale Medien sowie eine eigene Infrastruktur entwickeln, um damit den Datenimperialismus der US-Firmen in die Schranken zu weisen.

Aber reicht das, um mächtige Konzerne wie Algorithmen zurückzudrängen und aus der Defensive zu kommen? Wohl kaum. Es geht vielmehr um eine Reformstrategie, mit der die Herrschaft kapitalistischer Medien im Internet Schritt für Schritt zurückgedrängt werden kann. Dafür wurden bereits viele Vorschläge gemacht. Der US-Kommunikationswissenschaftler Philip N. Howard will Facebook in öffentliches Eigentum überführen. So könnten eklatante Verstöße gegen die Privatsphäre der Nutzer beendet und deren Daten für die Lösung sozialer Probleme eingesetzt werden.

Die Medienwissenschaftlerin Petra Grimm schlug einer wenig begeisterten Kanzlerin Angela Merkel diesen Sommer auf einem Podium des Evangelischen Kirchentags vor, „ein gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Facebook oder Whatsapp“ einzuführen, das so attraktiv ist, „dass es eine Wanderung raus aus den heutigen hoch riskanten sozialen Medien gibt“. Datenhandel mit Dritten dürfe dann nicht mehr möglich sein. Der Medienwissenschaftler Christian Fuchs setzt sich dafür ein, dass soziale Medien und Plattformen wie Youtube von öffentlich-rechtlichen Anstalten wie dem ZDF, der BBC oder einem Netzwerk öffentlicher Universitäten betrieben werden können. Wenn die Unabhängigkeit öffentlicher Institutionen gestärkt werde, müsse das nicht zu mehr staatlicher Überwachung führen. Fuchs schlägt vor, den Rundfunkbeitrag zu einer Mediengebühr weiterzuentwickeln, die nicht nur die Haushalte, sondern im Internet agierende Medienkonzerne bezahlen.

Auch Evgeny Morozov, prominentester Kritiker des Internets der Konzerne, macht sich dafür stark, sogenannte soziale Medien nicht mehr durch Werbung, sondern über „Gebühren, Abonnements, Steuern“ zu finanzieren. Seine Losung: „Eliminiert die Werbeindustrie.“ Dadurch will er den Automatismus unterbrechen, nach dem Unternehmen „immer mächtiger werden, je mehr Daten sie sammeln“. Er tritt für „einen kostenlosen Basisdienst im Internet“ ein, der durch Steuern finanziert wird. Private Unternehmen könnten zusätzliche Dienste verkaufen. „Wenn ich Ortungsdienste will oder andere Features, dann gegen eine Gebühr. Ich zahle drei Dollar und gut ist“, sagte Morozov der taz.

Christian Fuchs hat zudem eine Umleitung öffentlicher Gelder in Richtung alternativer Medienprojekte im Sinn. Im Rahmen partizipativer Haushaltsplanung sollen Bürger einen Medienscheck erhalten, den sie an nichtkommerzielle Netz- und Medienprojekte spenden. Damit aber am Gemeinwohl orientierte Plattformen eingerichtet und von der öffentlichen Hand finanzell ausgestattet werden können, braucht es ein an die Erfordernisse eines demokratischen Gemeinwesens angepasstes EU-Wettbewerbsrecht: Würde heute das ZDF eine Plattform, auf der Nutzer Videos teilen, gründen, wäre dies aus EU-Sicht eine unzulässige Verzerrung des Wettbewerbs wegen der Konkurrenz zu Googles Youtube. Diese Argumentation ignoriert freilich, dass Monopolunternehmen heute einen Großteil dessen kontrollieren, was einmal die digitale Öffentlichkeit werden könnte.

Solange das so ist, muss sich fortschrittliche Netzpolitik auf zwei Parolen stützen: „Der Kapitalismus ist eine veraltete Technologie.“ Und: „Demokratie heißt: keine Werbegeschäfte mit unseren Daten!"

Illustrationen zu dieser Ausgabe

Die Bilder der Ausgabe sind illustrierte Zukunftsvisionen von Klaus Bürgle aus dem vorigen Jahrhundert: „90 Prozent waren Forscherwissen, das andere Fantasie und Konstruktion.“ Mehr über den extraterrestrischen Grafiker erfahren Sie im Beitrag von Christine Käppeler

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