Collective Compassion

TRAUER Die Kennedys als nationales Stimmungs barometer

Merkt auf, Ihr Kulturkritiker mit den anti-amerikanischen Reflexen: Nicht die Alte Welt äfft immer alles nach, was aus der Neuen kommt, sondern zur Zeit reinszenieren die Amis die britische Trauer um Lady Di. In Tribeca, Manhattan, wo John-Johns gewohnt haben, sieht es aus wie damals in Dianas Kiez', South Kensington. Das gleiche Blumenmeer, die gleichen verheulten Gesichter, die gleiche exhibi tionistisch präsentierte Trauer wildfremder Menschen.

Und die multimediale Coverage nimmt sich auch nichts: Von NBC bis CNN ein Dauerfeuer an breaking news, eine halbe Newsweek-Ausgabe zum Thema (beim Time-Magazin wird's nicht anders aussehen) und selbst noch der Schwippschwager des Mannes, der die Reifen der plötzlich berühmten Piper Saratoga II HP von John Jr. aufgepumpt hat, wird, so muß man fürchten, vor das nächste Mikrophon gezerrt, wo er freudig Auskunft geben wird.

Es wäre eher geschmacklos zu vermuten, die Amerikaner hätten endlich wieder einen ähnlich schicken nationalen Todesfall begeistert zu beklagen wie die Brits vor zwei Jahren (obwohl sich natürlich Patriotismus aus den trübsten Quellen speist, wie wir alle wissen oder zumindest »Patrioten« klammheimlich zu unterstellen bereit sind). Genausowenig weiter kommt man vermutlich, wenn man jetzt anfängt, nach monarchischen Gesinnungsresten in den ehemaligen Kolonien zu graben. Das überlassen wir den Kollegen der royalfixierten britischen Blätter.

Und daß die Nation all ihre Hoffnungen auf John F. Kennedy Jr. als Politiker gesetzt hat, die jetzt aber gurgelnd im Atlantik versunken sind, das will mir nicht in den Kopf. Zwar hat der selbsternannte JKF-Nachfolger Bill Clinton nur eine schwache Parodie seines Vorbildes geliefert (das man, trotz gleicher Lasterstruktur jedenfalls nie mit offener Hose erwischt hat), aber die USA brummen ökonomisch gesehen, und diejenigen, die aus guten Gründen an den Boom nicht glauben wollen, sind im Moment wenigstens hinreichend marginalisiert. Es besteht also nicht unbedingt das Bedürfnis nach einer Erlöserfigur, wie sie JFK nach dem Mehltau der Eisenhower und McCarthy-Jahre versprechen konnte. Warum noch ein Kennedy als Präsident, wenn sich Gore (Demokraten) und Bush jr. (Republikaner) schon fast bis zur Unkenntlichkeit angenähert haben und zumind est die mainstream majority prächtig bedienen.

Nein, ich glaube, die große Trauerenergie anläßlich des Unfalls von John F. Kennedy Jr., seiner Frau Carolyn Bessette Kennedy und deren Schwester Lauren Bessette speist sich erstens aus der compassion mit einer Familie, die zwar nicht ganz so reich und mächtig ist wie die anderen Clans (die Vanderbilts, die DuPont etc.), aber dafür den entscheidenden Glanz Glamour-Effekt zu bieten hat, der aus einem mürrisch-verschwiegenen Clan von Potentaten richtige Men schen macht. Urvater Joseph konnte mit den Nazis, der Mafia und diversen außerehelichen Gespielinnen turteln, JFK hatte die Schweinebucht und die beschickerte Marilyn Monroe an der Hacke - und? Hat's ihnen geschadet? Und wenn sowas ein schlimmes Ende nimmt (in Dallas, z.B.), dann kann immer noch der düstere Glanz der Verschwörungstheorie glimmen. Tatsächlich gibt es jetzt schon wieder Spekulationen darüber, wer JFK jr. mit falschen Wetterdaten ver sorgt hat. Und warum!

Zweitens, glaube ich, hat es bei aller Tragik für viele amerikanische Zeit genossen etwas Tröstliches, wenn das Jahrhundert - bevor ein schrecklich un sicheres neues Millenium beginnt - mit einer Spiegelung von dessen Mitte endet. Die Verläßlichkeit des Unheils einer zwischen Glück und Unglück pendelnden Familie (die nun mal als nationaler Stim mungsbarometer auserkoren ist) als Be weis für die Kontinuität des Lebens. Es muß weitergehen, es wird weiterge hen, wie nach der Ermordung von JFK, nach der von Bobby und also auch nach dem Tod von JFK Jr. Schließlich sind noch 87 Kennedys übrig, hat Robert von Rimscha ausgezählt, und die stehen (oder fallen) für die ersehnte Kontinuität. So gesehen hat die Trauer um John Jr. et was von kollek tiver Selbstversicherung jener Werte, die in den kurzen JFK-Jahren definiert wurden. Und das sind nicht die Schlechtesten.

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