Crime Watch No. 115

Krimi-Kolumne "Der Schlitzer war ein schmächtiges, verdrecktes Bürschchen ... und so schizophren wie ein Umspringbild. In den Verhören erzählte er die übliche ...

"Der Schlitzer war ein schmächtiges, verdrecktes Bürschchen ... und so schizophren wie ein Umspringbild. In den Verhören erzählte er die übliche Leier ... Vom Bettnässen die ganze Volksschulzeit hindurch ... Von diversen Vorsprachen beim Sozialamt, bei denen er angeblich immer wieder gedemütigt worden sei ... Von Laserstrahlen aus dem Orbit. Von seiner Impotenz bei den paar Mädchen, die sich mit ihm eingelassen hatten für wenige Stunden ... Im Übrigen fühlte sich der Schlitzer als Star, wünschte auch als solcher behandelt zu werden und bezeichnete sich selbst als den ›Vampir von Harland‹".

Knapp anderthalb Seiten braucht Manfred Wieninger in seinem Roman Kalte Monde, um die angebliche "Pop-Ikone" der Gegenwart, den Serial Killer, auf sein wahres, erbärmliches Maß zurechtzustutzen. Die Geschichte vom "Schlitzer", der die fiktive ostösterreichische Provinzhauptstadt Harland hysterisiert und zum Aufmarsch einer xenophoben Bürgerwehr anstachelt, ist Wieninger noch nicht einmal eine elaborierte Nebenhandlung wert. Denn seine mittlerweile vier Romane um den erfolglosen Privatdetektiv Marek Miert, der einmal Polizist war, bis er sich mit den falschen Leuten angelegt hat, sind beinahe Kataloge solcher Verbrechen, die den schicken Designer-Kriminalromanen keinen Pfifferling wert sind. Oder umgekehrt: Was in schicken Designer-Kriminalromanen breit ausgewalzt und mit unappetitlichen, dabei paradoxerweise antiseptischen Details gespickt, als "Realität" ausgegeben wird, schrumpft bei Wieninger zur lächerlichen banalen Episode.

Kalte Monde treibt dieses Konzept schon beinahe auf die Spitze. Miert wird von einem Politiker als Leibwächter angeheuert, doch der ist ein rechtsradikaler Populist, der nichts so sehr braucht wie ein geiles Bedrohungsszenario für sich selbst; Miert soll eine Katze finden, die zwei Millionen Euro wert ist; Miert soll einer alten Kommunistin Seelenruhe verschaffen, doch bevor er die skandalösen Umtriebe in ihrem Altersheim aufdecken kann, ist die alte Dame schon tot. Und zu allem Überfluss soll er noch eine verdeckte Dreckkampagne gegen den Obermacker der örtlichen Polizei führen - im Auftrag von Leuten, die als Ekelpakete keinen Deut besser sind als die politisch und moralisch schon längst korrumpierte Behörde.

Fall und Aufklärung, diese vermeintlich sinnstiftende Klammer von Kriminalliteratur, wird von Wieninger virtuos außer Kraft gesetzt. Mierts Berufs- und Privatleben ist ein Kontinuum von Katastrophen und Debakeln, denen er nur robuste Cleverness und verbale Brachialgewalt entgegenzusetzen hat. Aussichtslos sub specie aeternitate, aber hilfreich und befriedigend in mancher Situation. Mit Sprachwitz gegen den Wahnsinn der Welt - diese Haltung hat Wieninger von Chandler übernommen, so schließt er seine Figur Miert an den klassischen Privatdetektiv an: "Revierinspektor Huber klang ein bisschen wie ein depressiver Dean Martin mit Polypen."

Dennoch sind die Marek-Miert-Romane keine Meta-Krimis. Die Grundkonstellation ist artifiziell, aber das ist sie auch bei Chandler - der private eye ist per Definition eine Kunstfigur, eine literarische Funktion. Nicht artifiziell hingegen sind die Realkonstellationen, mit denen er handgemein wird. Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit, Geschichtsvergessenheit, Dumpfheit, Depravation, hoffnungslose Aggression - solchen Begriffen aus klugen sozialwissenschaftlichen Analysen oder dem Polit-Talk gibt Wieninger konkrete Gesichter. Miert kollidiert handfest damit, legt sich mit ihnen an, bepöbelt und verspottet sie lustvoll und ist dennoch nicht - undialektisch - frei davon. Und feuert in überraschenden Wendungen wunderbare, kluge Beobachtungen ab: "Die Politik hatte die Moderne weit hinter sich gelassen, ja geradezu abgehängt, indem sich ihre Rituale von jedem Wirklichkeitsaspekt erfolgreich emanzipiert hatten. Marcel Duchamps Readymades sahen ganz schön alt aus gegen eine Rede des derzeitigen Bundeskanzlers." So etwas meint natürlich nicht nur Österreich. Wieninger gräbt den ganzen kriminellen Sumpf unserer Zeit am Beispiel Harland um, und schlägt ihn allen hier - gesamteuropäisch, sozusagen - um die Ohren. Miert ist kein reiner Tor, sondern ein grantelnder, wütender, komischer Held, der weiß, dass es keine Gewissheiten mehr geben kann, außer vielleicht dieser: "Der Mensch ist halt voller Widersprüche wie ein Igel voller Läuse."

Manfred Wieninger: Kalte Monde. Roman.: Haymon, Innsbruck/Wien 2006, 243 S., 18,90 EUR


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