Crime Watch No. 117

Krimi-Kolumne Kriminalliteratur bewegt sich. Und zwar, zur Zeit, und sofern sie sich gut verkauft, in eine merkwürdige Richtung. Weg vom reinen Genre, hin zu ...

Kriminalliteratur bewegt sich. Und zwar, zur Zeit, und sofern sie sich gut verkauft, in eine merkwürdige Richtung. Weg vom reinen Genre, hin zu Genre-Mixturen. Die Serial-Killer-Romane haben schon längst die Grenze zum Horror überschritten, die Verschwörungs-Romane mit und ohne Codes siedeln irgendwo zwischen historischem Roman und Fantasy, die Abteilung Gene, Naturkatastrophen, ausgebrochene Giftstoffe oder Viehzeugs kuscheln in der Science-Fiction-Ecke. Einzelfälle dieser neuen Zwitter gab es schon immer, der massive Trend allerdings kommt jetzt erst richtig ins Rollen.

Zum Beispiel die Harry-Dresden-Romane von Jim Butcher. Wolfsjagd heißt der Neueste. Dresden arbeitet für die Polizei von Chicago als freiberuflicher Berater. So wie Legionen von freiberuflichen Profilern, Psychologen oder anderen Spezialisten auch, die zunehmend die Kriminalliteratur bevölkern. Dresden jedoch ist Magier. Kein Illusionist, sondern ein veritabler Ausübender der Weißen Magie. Inklusive Hausgeist im Keller, Zaubertränken, Amuletten und anderem einschlägigen Fidelwipp. Ansonsten ist er der klassische Privatdetektiv, der einsame metaphorischeWolf mit Beziehungsproblemen, schneller Schnauze und notorisch pleite. Auch der Fall, mit dem er hier zu tun hat, ist klassisch: Die Mafia, mit besten Verbindungen zur großen Politik, hat Probleme mit einem superreichen Umweltschützer und Idealisten, der ihr ein paar Grundstück-Deals versaut hat. Das FBI ist hinter der Mafia her, der Millionär kommt ihr aber auch verdächtig radikal vor. Und will vor allem nicht, dass die örtliche Polizei sich in ihre Kompetenzen mischt. Mit anderen Worten: Der Standard-Stoff eines durchschnittlichen Kriminalromans. Bei Butcher aber gibt es hinter dieser Wirklichkeit eine andere: Böse Werwölfe - das FBI und eine Straßengang; gute Werwölfe - eine Art Werwolf-Bürgerwehr; einen tragischen Monsterwerwolf, den klassischen loup garou, der sich gegen seinen Willen bei Vollmond zu einer reißenden Killermaschine verwandelt - der ansonsten nette Umweltmillionario. Nur la mafia ist la mafia. Harry Dresden räumt auf, robust und comme il faut, nur um am Ende festzustellen, dass hinter den Werwölfen noch eine andere Macht steckt, mit der er sicher im nächsten Band der Saga handgemein werden wird.

Das ist natürlich hochgradig albern. Und wäre Jim Butcher nicht streckenweise ein sehr amüsanter, reflektierter und ironischer Erzähler, kaum bemerkenswert. Bemerkenswert allerdings ist, wie widerstandslos sich sämtliche Topoi der Kriminalliteratur von dieser Art Alberei besetzen lassen. Denn der Plot ohne Magie und Werwölfe kann ja gut und gerne als "realismusverdächtig" unter dem Label "So-geht-es-zu-auf-der-Welt" durchgehen. So ist er schon hundert-, gar tausendfach durchgegangen und wurde immer selbstverständlicher, immer blasser, immer nichtssagender. Vermutlich weil er seit Hammetts Rote Ernte und Der Gläserne Schlüssel nichts erkenntnismäßig Neues mehr geliefert und immer wieder die gleiche Versuchsanordnung variiert hat. Nur selten, viel zu selten, haben Kriminalautoren diese Anordnung als Unterboden benutzt, um darauf ihre Kunst aufzubauen. Sie haben sich allzu oft damit begnügt, das Selbstverständliche als Sensation, als bahnbrechende Erkenntnis zu verkaufen. Ent-Semantisierte Plots aber sind leicht zu besetzen: Von Werwölfen und anderen Außerirdischen. Das liefert jede Menge Spaß Frohsinn, und man muss zugegebenermaßen sehr sauertöpfisch sein, um sich über Dresden und seine Beschwernisse mit allerlei putzigen Geistern nicht zu amüsieren. Dennoch bleibt die fahle Erkenntnis, dass "das Böse" jetzt sogar nicht mehr im monströsen Individuum verortet wird - das war die Botschaft der Serial-Killer gewesen -, sondern noch weiter aus allen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen ausgelagert wird - ins Reich der Dämonen: "Die Geschöpfe der Geisterwelt trieben sich Tag für Tag da draußen herum. Trolle wohnten unter Brücken, Feen raubten Kinder, Schreckgespenster terrorisierten und verletzten Menschen ... es wurde immer schlimmer." Das ist kein ernsthafter Übertrag ins Symbolische. Werwölfe Co. weisen nur weg von der selbstverschuldeten Unmündigkeit des Menschen. Das tröstet, und diese Botschaft hören wir anscheinend gern. Sonst ließe sich nicht viel Geld mit ihr verdienen.

Jim Butcher: Wolfsjagd (Fool Moon, 2001). Roman. Deutsch von Jürgen Langowski. München Knaur TB, 445 S., 7,95 EUR


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