Crime Watch No. 119

Krimi-Kolumne Es gibt vermutlich viel zu viele Bücher über Serienkiller, Psycho- und Soziopathen, über "wahre Verbrechen" und über die schönsten Berufserlebnisse ...

Es gibt vermutlich viel zu viele Bücher über Serienkiller, Psycho- und Soziopathen, über "wahre Verbrechen" und über die schönsten Berufserlebnisse von Profilern, verrenteten Polizisten und Gerichtsmedizinern. Aber es gibt hierzulande keine lesbare und gleichzeitig informierte Geschichte über das, was Kriminalität eigentlich aus- und bedrohlich macht: Über das Organisierte Verbrechen.

Diese Lücke schließt jetzt zumindest ansatzweise der britische Journalist David Southwell. Er bietet mit seiner Geschichte des organisierten Verbrechens ein handliches Kompendium, das nicht in den üblichen Klischees aufgeht. Gleich im Kapitel über Italien fällt angenehm auf, dass Southwell zwischen sizilianischer Mafia, Camorra, ´Ndrangheta, Mala de Brenta und Sacra Corona Unita zu unterscheiden weiß, also die verbrecherischen Organisationen von Neapel, Kalabrien, Venedig und Apulien nicht mit "la mafia" aus Palermo oder Corleone gleichsetzt. Ähnlich differenziert ist auch sein Blick auf "la cosa nostra", den US-amerikanischen Ableger der Mafia. Southwell schildert, warum die Gangster-Ikone Al Capone nie ein klassischer Mafioso, warum das von ihm in Chicago aufgebaute "Outfit" eine frühe Multikulti-Veranstaltung war, und warum spätestens seit der Gründung von "Murder Inc." - eine Art arbeitsteilige Eingreiftruppe des Organisierten Verbrechens - und dem "Syndicate" - eine transethnische und nationale Kontroll- und Regulierungsinstanz der Bosse -, die üblichen Folklorisierungen von "Mafia" wenig Sinn ergeben.

Auch die epochemachenden Leistungen von Lucky Luciano und Meyer Lansky kann man hier kompakt zusammengefasst nachlesen: Das Prinzip der Legalisierung von illegalem Geld und der engen Vernetzung von Verbrechen, Big Business und Politik. Schließlich hatte Lansky erkannt, welche Vorteile ein Schweizer Bankkonto hat und, ganz nach Bert Brecht, wie vorteilhaft es doch ist, eine Bank zu gründen ...

Glücklicherweise beschränkt sich Southwell nicht, die Historie des Organisierten Verbrechens kompetent nachzuerzählen (was alleine schon lobenswert genug wäre). Er liefert einen aktuellen Überblick über den Globus, strukturiert dabei seinen Gegenstand nicht nur nach den klassischen Ordnungsmustern - also: Triaden für China, Yakuza für Japan und Korea, Organisazija für Rußland und Israel -, sondern er bringt auch die anderen, weniger bekannten Mitspieler auf den Schirm: Die Biker-Gangs in USA, Kanada und Europa, die ursprünglich rassistisch motivierten Banden wie die "Aryan Brotherhood"" oder die mexikanisch/mittelamerikanische "La Eme", sowie diejenigen Strukturen des Organisierten Verbrechens, die zwischen politischem Background und nackter Kriminalität oszillieren - also die E.T.A., die IRA und manche Strömungen innerhalb der kolumbianischen Kartelle.

Auch Indien, Australien, Afrika (Südafrika, Mosambik, Nigeria) und Neuseeland rücken in den Focus der Darstellung. Dort gibt es, natürlich, Organisiertes Verbrechen, das uns deswegen interessieren sollte, weil es mit den anderen Formen und Organisationen global vernetzt und verbunden ist. Überall auf der Welt, so lernen wir, sind die lokalen, tradierten Strukturen extrem flexibel, wenn es sich um die Maximierung von Profit handelt.

Ebenso instruktiv sind Southwells Skizzen der Hauptgeschäftsfelder des Organisierten Verbrechens, die fast deckungsgleich mit allen profitablen wirtschaftlichen Aktivitäten auf diesem Planeten sind. Dazu kommen noch Porträts von Schlüsselfiguren der Zunft und von Figuren, die der Autor "Freunde mit Einfluss" nennt - Joseph Kennedy zum Beispiel, der japanische Ministerpräsident Nobusuke Kishi, Giulio Andreotti, Erzbischof Marcinkus und der CIA-Abwehrchef zu Zeiten des Kalten Kriegs, James Jesus Angleton. Und er liefert eine recht skeptische Einschätzung derjenigen staatlichen und internationalen Stellen, die sich mit der Bekämpfung des internationalen Verbrechens beschäftigen, solange dieses noch nicht auf einzelnen nationalen Territorien legalisiert worden ist.

All das kann und könnte man wissen, nach Southwells Zusammenstellung sogar ganz kommod und unterhaltsam aufbereitet. Warum nur wollen wir bei diesen Themen - ähnlich wie bei guten Kriminalromanen über diese tagtäglichen Realitäten - ganz fest die Augen zumachen? Vielleicht weil wir ahnen, dass unsere Lebenswelt schon längst von solchen Strukturen durchdrungen ist? Unspektakulär und mit etlichen Vorteilen für den Endverbraucher.

David Southwell: Geschichte des organisierten Verbrechens. Deutsch von Gundula Müller-Wallraf. Fackelträger, Köln 2007, 390 S., 22,95 EUR


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