Crime Watch No. 120

Krimi-Kolumne Es gibt Serialkiller-Romane und Romane, in denen Mehrfachtäter eine gewisse Rolle spielen. Dieser feine Unterschied kann entscheidend wichtig sein. ...

Es gibt Serialkiller-Romane und Romane, in denen Mehrfachtäter eine gewisse Rolle spielen. Dieser feine Unterschied kann entscheidend wichtig sein. Vor allem dann, wenn man intelligent mit ihm spielt. Das tut entschieden der schottische Schriftsteller Stuart MacBride. Sein kriminalliterarischer Kosmos baut sich um den Detective Sergeant Logan McRae von der Grampian Police in Aberdeen herum auf, den MacBride in bis jetzt zwei Romanen erzählt: Die dunklen Wasser von Aberdeen und, aktuell, Die Stunde des Mörders.

Beide Romane, heftig unterstützt vom Verlagsmarketing, kommen deutlich als klassische Serialkiller-Romane daher. Am Anfang begeht ein anscheinend Irrer eine anscheinend irre, böse Untat. Andere anscheinend irre, böse Untaten folgen Schlag auf Schlag und scheinen sich ins Bild zu fügen. Die Ermittlungen preschen los - der Leser prescht mit. Und gerät peu à peu aus dem Takt und ins Stutzen. Da klackert und rattert nicht die Mechanik der handelsüblichen Serialkiller-Ware, da wird nicht nach ein paar Seiten das Strickmuster erkennbar, sondern MacBride liefert zwei robuste, intelligente, teilweise sehr witzige Polizeiromane ab, die ihren Reiz aus dem Distinktionsgewinn gegenüber dem üblichen Serialkiller-Gemetzel ziehen. Und damit sicher eine erkleckliche Leserschar ansprechen.

Vermutlich ist MacBride sogar ein seltener Fall: Ein begnadeter Eklektiker, der aus seinen literarischen Versatzstücken ganz lebendige, spannende und realitätstüchtige Romane baut. In Die dunklen Wasser von Aberdeen zum Beispiel gibt es an Drastik und Ekelwerten kaum zu überbietende Szenen, die schildern wie die Polizei die Scheunen durchsuchen muss, in denen der städtische Straßenreiniger von Aberdeen Tausende und Abertausende Kadaver von überfahrenen Tieren aufbewahrt. Aus Pietät allerdings, weil der Mann gemütskrank ist, und nicht aus Gründen des reinen Horrors, wie es ein solches Szenario eigentlich vorschreibt. Aus dieser Gestalt, Roadkill genannt, entwickelt MacBride eine wirklich tragische Figur und schließt noch ein weiteres schlimmes und plausibles Schicksal an. Er dreht den Terror der Genrekonvention ins Humane.

Kombinatorisch auch MacBrides Umgang mit der kriminalliterarischen Tradition. Aus den guten alten Privatdetektiv-Romanen der Chandler-Schule kommt sein schöner Umgang mit schrägen Vergleichen - "sie sah aus, als ob sie in einem Aschenbecher übernachtet hätte" -, aus den realistischen Cop-Romanen der Wambaugh-Tradition kommt die derbe, schmutzige, immer drastisch-komische Sprache der Polizisten untereinander und gegenüber der einschlägigen Klientel, und der esprit de corps unter den Bullen, wenn es gegen Anwälte, eindeutig Schuldige und Zivilisten geht. Vom Brit-Noir eines Ted Lewis oder Derek Raymonds holt MacBride sich den Blick auf die realen Kräfteverhältnisse von Polizei, Gangster und Presse, ohne wie der hysterisch agierende David Peace aus diesem Thema eine große Show zu machen.

Von den großen, liebenswerten Polizei-Sagas à la Reginald Hill oder Ian Rankin übernimmt MacBride die Hierarchie-Spiele zwischen den Polizisten, zwischen dem Fußvolk der Police Constables, den Arbeitstieren der Police Sergeants und der hohen Herren, der Detective Inspectors und Superintendents. Allerdings - und wie ein hämischer Kommentar zu den Polizeimärchen einer Elizabeth George - bringt MacBride diese Verhältnisse auf den Punkt: Hierarchie kann eine beinharte Angelegenheit sein, sie ist im Notfall eben nicht spielerisch wie bei Hill, nicht zuckersüß verlogen wie bei George. Als Folie benutzt MacBride diese Darstellungskonventionen natürlich gerne, denn seine Drehs ins Realistische, ins Tragische, ins Menschliche brauchen das allzu deutlich Fiktive, um im Fiktionalen etwas Realistisches aufscheinen zu lassen.

Kompliziert? Eigentlich nicht, wenn wir bedenken, dass viele, viele Leserinnen und Leser lieber Fiktives goutieren mögen als unschöne Realitäten. Unschöne Realitäten - von moralischer Verwahrlosung bis zum Organisierten Verbrechen - bietet MacBrides nordschottisches Aberdeen bis zum Abwinken. Warum also darüber nicht sehr realitätsnah schreiben und so tun, als sei´s ein weiteres Stück schierer Fiktion? Also: Die List der Vernunft.

Stuart MacBride: Die dunklen Wasser von Aberdeen (Cold Granite, 2005), Die Stunde des Mörders (Dying Light, 2006). Romane. Deutsch von Andreas Jäger. Goldmann, München 2006/2007, 542/475 S., beide 8,95 EUR


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