Crime Watch No. 122

Krimi-Kolumne Die gute alte Höllenmaschine, die explodiert, wenn man den Zündschlüssel umdreht, ist in Mike Davis´ Eine Geschichte der Autobombe nicht gemeint. Die ...

Die gute alte Höllenmaschine, die explodiert, wenn man den Zündschlüssel umdreht, ist in Mike Davis´ Eine Geschichte der Autobombe nicht gemeint. Die gehört zum inzwischen schon fast folkloristischen Attentatsbedarf und beschert uns höchstens im Kino feurige Momente, in Coppolas Der Pate etwa oder in Scorseses Casino.

Davis hingegen geht es um die wesentlich wirkmächtigere "Luftwaffe des kleinen Mannes", ein Terrorinstrument, das uns vermutlich derart unheimlich ist, dass sogar die Populäre Kultur bis jetzt noch relativ zurückhaltend mit ihm umgeht, Spy Game von Tony Scott ist wahrscheinlich einer der raren Filme, die einen Autobombenanschlag im Davis´schen Sinne thematisieren.

Nun ist das Auftauchen eines zeitgeschichtlichen Motivs in der Massenkultur noch kein Relevanzmaßstab an sich, aber signifikant scheint es doch, dass es in Davis´ Buch keinen einzigen Hinweis auf fiktionale Verarbeitungen seines Themas gibt. Hatte der brillante Stadt-Soziologe aus Kalifornien doch sonst, wie in der Studie Ökologie der Angst etwa, systematisch die nicht-fiktionalen und fiktionalen Diskurse maliziös verschränkt.

Davis demonstriert sehr schön, wie der Entwurf "Autobombe" seit dem ersten, schrecklich effektiven Anschlag 1920 - verübt von einem womöglich bloß wirrköpfigen, womöglich grausam visionären "Anarchisten" namens Mario Buda gegen die Wallstreet mit 40 Toten und 200 Verletzten -, noch bis 1947 sozusagen brachgelegen hatte: Ab da wurde das Konzept der Autobombe zum Routineverfahren der radikalzionistischen "Stern Gang" und ihrer arabisch-britischen Gegenspieler im Palästinakonflikt jener Jahre. Ab da bedeutet Autobombe den "Einsatz eines unauffälligen und in fast jeder städtischen Umgebung anonymen Fahrzeugs, mit dem sich große Mengen brisanten Sprengstoffs präzise in die Nähe eines bedeutenden Ziels transportieren lassen".

Autobomben sind stark, laut, billig, leicht organisierbar, kollateralschadenintensiv, anonym und deswegen auch für "marginale Akteure" extrem attraktiv. Davis zeichnet ihre blutige Karriere nach, die diversen Eskalationsstufen und die unklaren Nahtstellen zwischen blank kriminellem und politischem Einsatz. Die Mafia und die Narcotraficantes Kolumbiens gehören genauso zu den Autobombern wie die OAS, die CIA, die IRA und ETA., der SAS, die Hisbollah, die Hamas und viele, viele mehr - kurz, die Liste der üblichen Verdächtigen bei gnadenlosem, kalt kalkuliertem Blutvergießen und Massakern auf diesem Planeten.

Dennoch, die "Autorität der Supermächte" während des Kalten Krieges hielt, laut Davis, den Schaden noch einigermaßen in Grenzen, die Büchse der Pandora öffnete sich erst in dessen Agonie und während der schlimmsten Sündenfälle: Afghanistan, Beirut und die Folgen. Saudisches Geld, pakistanische Strukturen, US-amerikanische Skrupellosigkeit, Größenwahn und Inkompetenz, sowjetischer beziehungsweise russischer Opportunismus und Zynismus, Staatsterrorismus und religiös-politischer Fanatismus jeglicher Couleur arbeiteten und arbeiten bis heute an der schauerlichen Globalisierung der explodierenden Autos. Von Oklahoma City bis Bagdad, mit und ohne Selbstmörder, relativ gezielt oder blank auf die nackte Vernichtung von Menschenleben und -leibern ausgerichet.

"Die Pforten der Hölle" sind geöffnet, eine Gegenstrategie ist nicht zu haben - wie sollte sie aussehen? Die Autobombe greift direkt die urbanen Strukturen an, auf dem Lande ist sie relativ sinnlos. Große städtische Areale sind nicht zu schützen. Zu schützen werden nur die kleinen Eliten in fast totaler Isolation sein.

Die Autobombe verschärft und pointiert somit auch die sozialen Gegensätze in den sich immer mehr verdichtenden menschlichen Großansiedlungen. Planet of Slums hieß das letzte Buch von Davis, dessen apokalyptisches Panorama mit der Geschichte der Autobombe noch ein weiteres bedrohliches Kapitel hinzu bekommen hat.

Noch ist es unser Luxus, Slums und Autobomben und überhaupt die wirklich bedrohlichen Vektoren der demografischen und sozialen Entwicklung auf diesem Planeten als ferne Phänomene betrachten zu können. So fern, wie vor 30 Jahren der Bericht des Club of Rome schien. Aber eines ist todsicher: Wenn das Thema Autobombe breit in den Populären Kulturen auftaucht, ist es vermutlich mitten in unseren Städten angekommen.

Thomas Wörtche

Mike Davis: Eine Geschichte der Autobombe (Buda´s Wagon - A Brief History of the Car Bomb, 2007). Deutsch. von Klaus Viehmann. Assoziation A, Berlin, Hamburg 2007. 227 S., 20 EUR


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden