Crime Watch No. 124

Krimi-Kolumne Kriminalromane sind Kandidaten für Bestseller-Listen geworden. Besonders Kriminalromane in deutscher Sprache werden gerne produziert. Die verursachen ...

Kriminalromane sind Kandidaten für Bestseller-Listen geworden. Besonders Kriminalromane in deutscher Sprache werden gerne produziert. Die verursachen deutlich niedrigere Gestehungskosten, weil honorarpflichtige Übersetzungen entfallen. Die kurzen, sprach- und kulturbarrierefreien Kommunikationswege zwischen Autor und Verlag - eventuell mit einer zwischengeschalteten Agentur - sind hilfreich, um die Produkte optimal auf den Markt hin zu schneidern. Zudem kann man Trends und Tendenzen nutzen, kann von großen Verkaufs-Erfolgen die jeweils erfolgsgarantierende "Anmutung" oder von originellen Ansätzen jeweils die Schlüsselideen übernehmen. Kombiniert mit den richtigen Marketing-Sprüchen, die bei Presse und Buchhandel immer gerne gehört werden, kann man das Produkt dann zeitnah der Öffentlichkeit präsentieren. Ob´s wirklich wirtschaftlich erfreulich und ersprießlich ankommt - man weiß es nicht.

Der prototypische Fall eines solchen Design-Produkts ist Volker Kutschers vierter Roman Der nasse Fisch. Er spielt um den 1. Mai 1929 herum, dem sogenannten "Blutmai" in Berlin, als die sozialdemokratische Polizeiführung kommunistische Mai-Kundgebungen blutig niederschlagen ließ.

Ein junger, aus Köln wegen eines karrierehinderlichen Zwischenfalls nach Berlin versetzter Kriminalkommissar gerät in eine reichlich wilde Räuberpistole, in der sich Reichswehr, die Ringvereine, sozialdemokratische, nationalsozialistische und liberale Polizisten, Stahlhelmer, Stalinisten und Anti-Stalinisten, Schwule und Pornografen, undurchsichtige Chinesen und Jazzmusiker, Kokainisten und die Boulevard-Journaille um eine riesige Menge von russischem Gold prügeln beziehungsweise sich tummeln.

Als habe es die Berlin-Bücher von Christopher Isherwood, Alfred Döblin und Erich Kästner, Harold Nebenzal und Len Deighton nie gegeben, als sei das Berlin der Roaring Twenties nicht bis zum Overkill durchgenudelt worden - so bierernst und schulfunk-korrekt baut Kutscher seine Papp-Kulissen auf. Die Quellen allerdings springen einem bei der Lektüre sofort ins Auge. Patrick Wagners Studien zur Polizeigeschichte, Heinz Knoblochs unersetzbare Berlin-Studien zum Scheunenviertel beispielsweise, Regina Stürickows Arbeiten zu Ernst Gennat, dem legendären ersten Star-Polizisten der Berliner Kripo und Medien-Darling Deutschlands - man weiß jederzeit, wo der Autor sich bedient hat. Die Beschreibung von Gennats Büro am Alexanderplatz mit dem zersessenen grünen Sofa und seiner Vorliebe für Stachelbeertorte findet sich Detail für Detail im entsprechenden Wikipedia-Artikel. Literatur ist etwas anderes.

Gereon Rath, so heißt Kutschers Hauptfigur, stolpert also von einem historisch interessanten Thema zum anderen. Der Neubau des Karstadt-Hauses am Hermannplatz wird uns genauso erklärt wie die unerhörten Orgien in der Unterwelt, die - man mag es kaum glauben - von einem Chefgangster namens Dr. M. gemanagt wird Am Schluss kommt es zu einem lachhaften Showdown am Ostbahnhof, der Schurke wird von Säure zersetzt, das Gold verschwindet mit Dr. M. im Nichts - der Heftchen-Roman im Hardcover-Gewand ist am genremäßig korrekten Ende angekommen.

Prototypisch ist dabei, wie ein paar gute Ideen der letzten Jahrzehnte für den reinen Kommerz zurechtgebügelt werden. Pieke Biermann hatte mit ihren Romanen aus dem Hier und Heute die spezifisch Berliner Geschichte als Bedingung und notwendige Folie immer mitlaufen lassen; Christian v. Dithfurth hatte spannende Gedankenexperimente - und -spiele als "What if" an Themen dieser Zeit versucht, Hachmeister/Birkefeld hatten mit ihrer Variante des historischen Kriminalromans (Wer übrig bleibt, hat recht) eine inhaltliche Klammer zwischen damals und heute geschlagen.

Kutschers Beitrag zur Aktualität besteht darin, den Blutmai 1929 so zu beschreiben wie die Kreuzberger Mai-Festspiele der vergangenen Jahre medial aufbereitet wurden: Junge, testosterongesteuerte Männer halt, die sich prügeln. Der nasse Fisch ist aber bloß ein konventioneller, steif erzählter und sprachlich zwischen Ambition und Unfähigkeit schwankender Roman, Guido Knopp goes crime. Mit einem einzigen Daseinszweck: Stückzahlen abzusetzen. Das ist schon okay. Die Chuzpe des Verlags, ihn als "sensationell" anzupreisen, ist auch okay. Erschrecken über das blanke Kalkül, noch das Ausgelutschteste als neuen Trend zu verkaufen und damit vermutlich durchzukommen, darf man aber schon noch.

Volker Kutscher: Der nasse Fisch. Roman. Kiepenheuer Witsch, Köln 2007. 495 S., 19,90 EUR


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