Crime Watch No. 47

Todesstrafe Ein moderner Staat kann sie sich die Todesstrafe nicht leisten

In nachdenklicheren US-amerikanischen Kreisen gibt es seit geraumer Zeit den "Euro envy", den Neid auf Europa. Also Neid auf gewisse zivilisatorische Entwicklungen, die die USA reichlich hinterwäldlerisch aussehen lassen. Einer der Punkte ist die Todesstrafe, die, so befürchtet man, bald die amerikanische Führungsrolle in Frage stellen könnte. Die Europäer könnten über den moralischen Dissens zu einer weiteren "Entfremdung" zur Supermacht gelangen. "Für Europa wird es schwierig werden, mit einer Nation verbündet zu sein, deren Grundwerte es nicht teilt", schrieb die Newsweek.

Vielleicht ist das in der Tat der einzige Weg, die schauderhafte Praxis der Hinrichtungen aufzuknacken. Denn die Argumente für und wider die Todesstrafe sind längst bekannt und ausgetauscht, die Argumente für sie längst obsolet. Denn dass die Todestrafe irgendwen von irgendwelchen Untaten abschreckt, hat vermutlich nie jemand ernsthaft geglaubt. Dieses Argument war schon immer ideologisch und kann getrost aus der Diskussion ausscheiden.

Bleiben reale Motive: Vergeltung und Demonstration von Macht. Die Kontinuität von beiden untersucht, ausgerechnet am Beispiel Deutschland, der britische Historiker Richard J. Evans in seinem monumentalen Werk Rituale der Vergeltung. Der Titel scheint den einen Erklärungsansatz zu favorisieren: Vergeltung. Und die scheint bis zur Aufklärung - grob gesagt - tatsächlich im Vordergrund gestanden zu haben. Evans rekonstruiert die komplizierten Rituale (denn um öffentliche Inszenierungen handelte es sich durchweg bis zu diesem Zeitpunkt) einer Hinrichtung mit all ihren Aspekten: Der Härte der Strafe (Rädern, Verbrennen, Vierteilen, Köpfen), die genau korreliert war mit der "Schwere" des Verbrechens, der Rettung der Seele des Deliquenten und dem moralischen Konsens mit dem Publikum. An sehr unschönen Beispielen schildert Evans diese Inszenierungen, ohne - ein grosser Vorzug des Buches - Literarisierungen und ex-post aufgestellten Diskurs-Strategien aufzusitzen. Eine solche wäre etwa Foucaults Interpretation des Hinrichtungsspektakels als anti-autoritärer Akt, als "Karnevalisierung". Evans kann nachweisen, dass eine solche Auslegung weder theoretisch stichhaltig (Bachtin, auf den sich Foucault bezieht, rechnet Hinrichtungen nicht zu den "karnevalistischen Anlässen") noch realitätstüchtig ist: Hinrichtungen wurden von der zuschauenden Menge in der Regel nicht per se kritisiert, sondern mit-durchlitten. Also mit höherem Sinn - Vergeltung und Vergebung - ausgestattet und ethisch mitgetragen. Kritik kam dann auf, wenn während der Hinrichtung die Regeln verletzt wurden. Etwa durch Pfusch der Henker. Pfusch ist übrigens ein Nebenthema von Evans, das er durch die Jahrhunderte verfolgt: Schreckliche Pannen und Missgeschicke, halb abgehauene Köpfe, klemmende Guillotinen, stockbesoffene oder senile Henker - all das hat vermutlich die Mehrzahl aller Hinrichtungen ausgemacht.

Während und nach der Aufklärung verschieben sich die Akzente: Mit der Säkularisierung entfällt zunehmend der metaphysische Aspekt der Seelenrettung. Die Machtdemonstration des Staates oder des Autokraten tritt in den Vordergrund. Aber je mehr im 19. Jahrhundert Herrschaft in die Legitimationskrise gerät, desto verschämter werden Hinrichtungen "intramuram" (hinter Mauern) vorgenommen. Evans zeigt, wie sich autoritäre und liberalere Perioden deutlich auch an der Zahl der Hinrichtungen ablesen lassen. Kein Wunder, dass die Hinrichtungsfrequenz mit Wilhelm II. einen neuen Höhepunkt erreicht, dann wieder am Ende der Weimarer Republik. Das Gemetzel danach ist bekannt und hat in Westdeutschland sehr bald zur Abschaffung der Todestrafe geführt. Die anderen westlichen Demokratien schlossen sie peu a peu an - übrig blieben der weiterhin autoritär verfasste "Ostblock" und, eben, die USA. Während den "sozialistischen" Staaten als Legitimation für Hinrichtungen nur noch die Macht zur Hinrichtung bleibt, schiebt sich in den USA zumindest im Diskurs der Vergeltungsgedanke wieder in den Vordergrund. Aber der ist historisch erledigt. Bleibt auch hier nur "absolute power" als Motiv. Und damit wird die Welt in der Tat nicht mehr lange leben wollen. Denn "absolute power" impliziert Willkür. Und die kann sich ein moderner Staat nicht mehr leisten. Evans Buch zeigt, warum.

Richard J. Evans:: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532-1987. Deutsch von Holger Fliessbach. Verlage Kindler und Hamburger Edition, Hamburg 2001, 1312 S., 99,90 DM

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