Crime Watch No. 95

Krimi-Kolumne Es gibt eine wunderbare, winzige Szene in James Bond jagt Dr.No. Vor dem Showdown in Dr. Nos Hauptquartier, in das Sean Connery mit Ursula Andress ...

Es gibt eine wunderbare, winzige Szene in James Bond jagt Dr.No. Vor dem Showdown in Dr. Nos Hauptquartier, in das Sean Connery mit Ursula Andress gebracht wird, steht ein berühmtes Gemälde: Francisco de Goyas Portrait des Herzogs von Wellington. Bond bleibt irritiert stehen und mustert den Iron Duke. So etwas gefällt Menschen wie mir, die kritische Bewunderer von Wellington, Verehrer von Goya und sowieso Fans von James Bond sind. Noch schöner wird die Szene aber, wenn man weiß, dass eben dieses weltberühmte Gemälde 1961 aus der National Gallery in London gestohlen wurde und 1963, als der Film gedreht wurde, noch nicht wieder aufgetaucht war. Das tat es erst 1965; die Hintergründe dieses spektakulären Kunstdiebstahls indes wurden nie wirklich aufgeklärt.

Wobei wir bei dem heimlichen Thema des Bandes Aktenzeichen Kunst. Die spektakulärsten Kunstdiebstähle der Welt der Kölner Publizisten Nora und Stefan Koldehoff wären. Nichts Genaues weiß man nicht, könnte man den Untertitel weiterführen. Denn Kunstdiebstähle, so medienträchtig sie sind, umgibt immer etwas Ominöses. 80 Prozent aller Fälle, so lernen wir, bleiben ungelöst. Liebgewordene Klischees aus Literatur, Film und Publizistik sind falsch: Weder gibt es den "verrückten Milliardär", der bestimmte Kunstwerke rauben lässt, um sie in der Einsamkeit seines Tresorraumes ganz alleine genießen zu können, noch gibt es den Gentleman-Gauner, der diese Aufträge charmant und leger erledigt. Kriminalität aus Liebhaberei ist höchstens dem Elsässischen Dieb Stéphane Breitwieser nachzuweisen, der zwischen 1995 und 2001 aus Schweizer Museen und Sammlungen klaute, was nicht niet- und nagelfest war. Leider listet das Buch nur seine Beutestücke auf und verzichtet auf eine nähere Analyse des Falls.

Bleiben also andere Motivlagen für eine Verbrechensbranche, die angeblich jährlich einen Gesamtschaden von satten fünf Milliarden Euro anrichtet. So unbestätigt diese Zahl ist, so unbelegt bleiben auch andere Thesen des Buches, mögen sie auch noch so plausibel erscheinen: Das Organisierte Verbrechen (OK) benutzt Kunstwerke als Zahlungsmittel und zu Zwecken der Geldwäsche. Aber: kein Fallbeispiel der Autoren kann uns erklären, wie solche Geschäfte konkret laufen. Das ist mehr als enttäuschend. Oder: Originale werden gestohlen, um Fälschungen auf dem Markt platzieren zu können. Für letztere Variante geben die Autoren ein allerdings arg historisches Beispiel: Während der zwei Jahre (1911-1913), in denen das berühmteste Gemälde der Welt, die "Mona Lisa" bei einem leicht debilen Kleinkriminellen herumlag, schaffte es ein ungleich clevererer Hintermann, der den Raub in Auftrag gegeben hatte, sechs Kopien in den USA zu verkaufen. Er wurde nie belangt.

Widersprüchlich und seltsam unkonkret auch die Interviews mit vier Spezialisten. Charles Hill, ehemals bei der berühmten "Arts and Antiques Squad" der London Metropolitan Police und heute Privatfahnder, behauptet zwar vollmundig, die Polizei interessiere sich nicht für Kunstdiebstähle, vergisst aber zu erklären, warum das so sein mag, und wird auch nicht sehr einlässlich zu diesem Thema befragt. Besonders unbefriedigend, weil doch in diesem Zusammenhang die Verbindung von OK und Kunst als Währung besonders spannend wäre. Anders Ernst Schöller, Fahnder beim LKA Baden-Württemberg. Er spricht von einer Stagnation der Diebstahlszahlen, während Thomas Wessel, ein Vertreter der Versicherungswirtschaft, von ansteigenden Fällen und zunehmender Brutalisierung der Kunsträuber spricht. Nachfrage, Cross-checks, gar eine Position seitens der Autoren - Fehlanzeige.

Ulli Seegers schließlich, Geschäftsführerin des privaten "The Art Loss Register", einer Datenbank gestohlener oder verschwundener Kunstgegenstände, konzediert eine zunehmende Transparenz und eine verbesserte Moral im Kunsthandel. Ja was nun?

Am Ende bleiben alle Fragen offen. Vor allem die eine Frage, die sich gleich im Vorwort stellt. Dort behaupten die Autoren nämlich, dass manche Ermittler davon sprechen, "dass Kunstdelikte in ihrer Schwere und Bedeutung gleich hinter dem Drogen- und dem Menschenhandel kommen". Da würde doch sofort jeder fragen: Warum? Und weil das Buch darauf noch nicht einmal Ansätze von Antworten hat, bleibt das unangenehme Gefühl, es mal wieder mit einem kulturbetrieblichen Hype zu tun zu haben. Schade.

Nora und Stefan Koldehoff: Aktenzeichen Kunst. Die spektakulärsten Kunstdiebstähle der Welt. Dumont, Köln 2005 (2.Auflage), 263 S., 29,90 EUR


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