Crime Watch Nr. 139

Crime Watch Es ist mal wieder richtig niedlich. Roberto Savianos Camorra-Buch Gomorrha wird gerade als Gangster-Epos verspielfilmt. Ein eben erscheinendes Buch ...

Es ist mal wieder richtig niedlich. Roberto Savianos Camorra-Buch Gomorrha wird gerade als Gangster-Epos verspielfilmt. Ein eben erscheinendes Buch über Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern trötet ungeniert ins folkloristische Horn, die Cover-Werbung ist ein Höhepunkt gruslig-unfreiwilliger Komik: "Alles, was ich über die Mafia weiß, verdanke ich Petra Reski" (so heisst die Verfasserin), wird ausgerechnet Donna Leon zitiert, in deren Märchenbüchlein eines klar ist: Über "la mafia" und andere betrübliche Realitäten weiß Frau Leon absolut gar nichts. Es ist kommod für das Organisierte Verbrechen, kurz: OK, derart verblödelt und verdödelt als Marginalie der Yellow Pages abgebucht zu werden. Aber vermutlich ist ihm das auch völlig egal.

Das OK ist ein ungeheuer vielschichtiges Phänomen, das sich kaum in Mustern darstellen lässt, die für einzelne, winzige Substrukturen gelten mögen, die gobal gesehen völlig unbedeutend und austauschbar sind, aber dennoch alle zusammenhängen. Deswegen ist der klare Ansatz des britischen Journalisten Misha Glenny, mit dem Thema umzugehen, so erfreulich. Der Ansatz von Glenny, der als Reporter während der Balkankriege bekannt wurde, ist so plausibel wie nüchtern: OK ist eine globale Veranstaltung, die sich längst nicht mehr anhand einzelner Verbrecherorganisationen beschreiben lässt. Glenny sagt es ganz einfach: Organisiertes Verbrechen ist eine "rationale Reaktion" auf die globale Entwicklung von Politik und Wirtschaft. OK hat, wie die "legale" Wirtschaft, einen einzigen Daseinsgrund: Geldverdienen. OK funktioniert grundsätzlich im Verbund mit legaler Politik, mit legaler Wirtschaft, mit legalen Finanzmärkten. Die Verflechtung ist inzwischen so intensiv, dass die Zuschreibungen "legal"/ "illegal" leer werden.

Das alles wissen wir. Die Ungeheuerlichkeit, die darin steckt, und die uns auch keinen individuellen Ausweg lässt, weil wir alle täglich in irgendeiner Form von diesen Verhältnissen profitieren (zum Beispiel von den billigen Preisen) und gleichzeitig davon bedroht sind (Existenzverlust aufgrund undurchschaubarer Manipulationen), ist vermutlich der Grund, warum wir das Problem so eifrig verdrängen. Dabei bietet Glenny kluge Einzelfallanalysen: Er beschreibt für verschiedene politische, geographische und wirtschaftliche Situationen, wie sich das OK in die jeweils existierenden Verhältnisse konstitutiv einfressen konnte. Das geht sehr unterschiedlich zu. Das OK hat sich beispielsweise die zusammenfallende Sowjetunion einverleibt, während in China die Partei das OK für ihre Zwecke einspannt, was wegen der Fülle hervorragenden und klug arrangierten Materials hier leider nicht einmal andeutungsweise referiert werden kann.

Glennys Prinzip: Er schert nichts über einen Kamm und schaut sich die jeweilige Lage genau an. Dabei kommen auch liebgewordene Klischees ins Trudeln: Zum Beispiel ist ein "Profitcenter" des OK ohne Zweifel der Menschenhandel, zynisch, mies und gemein. Und trotzdem sind manche Operationen nur in unserem Blickwinkel "kriminell": Es gibt Dienstleistungsunternehmen in China, bei denen illegale Einreisen ihrer Kunden (nicht Opfer) mit zum Angebot gehören. Hocheffiziente Reisebüros also, die nicht zum OK gehören, sondern nur den doppelmoralischen Bedarf des Westens nach billigen Arbeitskräften bedienen. Was aber nicht heißt, dass die Nachbarorganisation nicht widerwärtig kriminell sein kann.

Fröhlich ist Glennys Botschaft nicht - legale und illegale Wirtschaft sind nicht zu unterscheiden. Man könnte etwas dagegen tun, wenn man wollte. Aber, auch das sagt er: Man will es nicht, weil dabei sehr viel Geld verdient wird. Man kann es vermutlich auch nicht, denn von welchem überirdischen Standpunkt aus wäre so etwas zu legitimieren? Ganz bestimmt aber helfen kontraproduktive fiktionale und semifiktionale Märchenstunden nicht. Sie unterhalten nur besser. Und das ist durchaus nicht unbeabsichtigt.

Misha Glenny McMafia. Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens. (McMafia. Crime without Frontiers, 2008). Deutsch von Sebastian Vogel. DVA, München 20008, 528 S., 24,90 EUR

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