Crime Watch Nr. 141

Crime Watch Es ist lange her, seit ein neuer Roman von John le Carré einen solchen Medienauftrieb erlebt hat - bis hinein ins Heute Journal. Das ist besonders ...

Es ist lange her, seit ein neuer Roman von John le Carré einen solchen Medienauftrieb erlebt hat - bis hinein ins Heute Journal. Das ist besonders erfreulich, weil in den letzten Jahren oft zu lesen war, er wäre seit dem Ende des Kalten Krieges der abgehalfterte Großmeister des toten Subgenres Spionageroman. Oder, fast schlimmer noch: Er sei mit dem Furor der letzten Bücher - vor allem dem Ewigen Gärtner - endgültig der Gutmensch-Fraktion zuzuschlagen. Den kühlen, analytischen Blick und dessen Umsetzung in spannende Prosa traute man eher Frederick Forsyth zu. Was für ein Unfug! Umso paradoxer, dass jetzt, wo man le Carré als Doyen des Human-Moralisch-Werthaltigen breitenwirksam entdeckt, sich Lob und Hudel über Marionetten ergießen, den vermutlich langweiligsten, zahnlosesten und ausrechenbarsten aller le Carré-Romane der letzten fünfzehn Jahre. Und gleichzeitig in der Tat ein humaner, moralischer und werthaltiger Roman.

Die Story ist wenig originell: Ein durch Folter traumatisierter Tschetschene taucht in Hamburg auf, um mit der Hilfe einer engagierten Anwältin geerbtes Blutgeld islamischen Projekten zu stiften und selbst Medizin zu studieren. Issa, so heißt er, ist ein reiner Tor, der es fertig bringt, so ziemlich gegen jedes Ausländergesetz der EU zu verstoßen. Er hinterlässt eine für verschiedene Geheimdienste verschiedener Länder leuchtende Trampelspur. Das Geld, illegal von seinem verstorbenen Vater angehäuft - sowjetischer Mafioso und Überläufer, Schlächter und Opportunist -, liegt bei der Privatbank Brue Frères, deren Besitzer die schmutzigen Konten nebst treuer Vorzimmerdame von seinem Vater geerbt hat - nicht wissend, dass die Bank im Kalten Krieg dem britischen Secret Service als Geldwaschanlage diente. Flugs wird Issa zum "most wanted man". Nicht weil er aus geheimdienstlicher Sicht so interessant wäre, sondern weil man mit seiner (und seines Erbes) Hilfe an einen gewissen Dr. Abdullah, herankommen will, den man - mit mehr oder weniger stichhaltigen Beweisen - für einen Finanzier islamistischen Terrors hält. Zumindest könnte er etwas dergleichen sein. Das genügt. Die Dienste instrumentalisieren sich gegenseitig, um Dr. Abdullah aus dem Verkehr zu ziehen, Kollateralschäden eingerechnet, die aber niemanden interessieren. Und so sind le Carrés Hauptfiguren ziemlich einfallslos sortiert: Die Deutschen zwischen Genie und Bürokratie, die Briten als schleimige Vettern und die Amis als Schlächter, die die Menschenrechte im "Krieg gegen den Terror" mit Füßen treten. Das tun die anderen zwar auch, aber nicht so vulgär.

Wer in dieses Spiel hineingerät, hat schon verloren. Und selbst die sich anbahnende Romanze des ältlichen Bank-Erben Tommy Brue, der mit der gestrengen, blonden, blutjungen Anwältin Annabel Richter seinen dritten Frühling erlebt, erstickt an den brutalen Gesetzmäßigkeiten der Realpolitik. Dennoch gehören die Passagen, in denen le Carré diese komplizierte Love Story seziert, zu den starken Momenten des Buches. Ein anderer ist die satirische Darstellung einer internationalen Geheimdienst-Konferenz als Freakshow. Bei so etwas ist le Carré unschlagbar, ähnlich wie bei Verhör- und Dialogsequenzen, wo es darum geht, wer etwas wie nicht sagt. Als Nummernrevue grandios, als Roman funktioniert es nicht ganz. Denn bei allem Zorn über die Torheit der Mächtigen und ihre schäbigen, kleinkarierten Machtspielchen, bei aller Wut über den Scherbenhaufen, den dumme Politik und dumme Gewalt unter Menschen anrichtet und bei aller berechtigten Schärfe, mit der le Carré die Bush-Politik geißelt: Für die Tugenden des Polit-Thrillers bleibt wenig Platz. Da ist nichts doppelbödig, brillant, verblüffend, nichts zynisch-elegant, nicht ätzend, nichts komisch, nichts überlegen inszeniert, sondern alles sozusagen eins zu eins. So wie die traurige Wirklichkeit. Vielleicht hat le Carré wirklich das Metier gewechselt und ist zum Zola des J´accuse ..! geworden. Das freilich wäre hoch respektabel.

John le Carré Marionetten. (A Most Wanted Man, 2009). Roman. Deutsch von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein, Berlin 2008. 368 S., 22,90 EUR

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