Crime Watch Nr. 142

Crime Watch Auch die Kriminalliteratur hat ihr Dinner for One. Es heißt Alles in einer Nacht, ist ein Roman des Amerikaners Scott Phillips und spielt am 24. ...

Auch die Kriminalliteratur hat ihr Dinner for One. Es heißt Alles in einer Nacht, ist ein Roman des Amerikaners Scott Phillips und spielt am 24. Dezember 1979 in Wichita, Kansas. Ein Weihnachtsroman also. Sein Kultstatus seit 2000, damals ist das Buch unter dem Titel Ice Harvest in den USA erschienen, leitet sich wesentlich von seinem Anti-Heiligabend-Stimmungsprogramm ab, aber eben nicht nur.

Die Geschichte vom abgehalfterten Anwalt Charlie Arglist - was für ein Name! -, der für ein paar Gangster den Strip-Schuppen- und Nachtbar-Manager gibt, und der mit seinem Kumpel Vic auf eigene Rechnung mit Drogen dealt und am Ende noch den Bossen die Konten leerräumt, um sich auf Nimmerwiedersehen abzusetzen, diese Geschichte also ist nicht gerade von christlicher Nächstenliebe geprägt. Sie ist aber, im Gegensatz zu den vielen einschlägigen und üblichen Krimi-zu-Weihnachten-Neckereien nicht nur auf eine Pointe hin angelegt, die einen dieser speziellen Xmas-Schocks erzielen will, wie sie ganzen Unter-Christbaum-Morden-Anthologien und Adventskalender-Krimilein so ungenießbar machen.

Die Wucht und die Dynamik von Scott Phillips Angriff auf den Weihnachtskitsch, auf den ganzen kommerzialisierten Zuckerguss, auf Heuchelei und family values, die doch nur Familienterror sind, liegt in der heiteren Lakonie der Erzählung. Im ganz entspanntem Tonfall stellt sie Sex und Gewalt, innere Rohheit und moralische Verwahrlosung neben Momente schräger, wenn auch rührender Nächstenliebe. Zum Beispiel, wenn Arglist Chaos anrichtet, weil er den Stripperinnen die Bühnenmiete für den Heiligen Abend nachlässt, was bei den unteren Chargen viel Verwirrung stiftet. Oder wenn ein netter Rausschmeißer einem jugendlichen Störenfried aus pädagogischen Gründen alle zehn Finger einzeln bricht, um ihm nicht wirklich wehzutun.

So bewegt sich die Handlung durch die vereiste und verschneite Stadt im Mittleren Westen, durch schäbige Bars, abgestrapste Tankstellen, öde Brachen und auf schlechten Straßen. Die USA, wie sie auch zur Weihnachtszeit niemand mag. Jeder will, ja, muss alle anderen aufs Kreuz legen, seinen Vorteil wahren, auf der Hut sein vor edlen Versprechen. Der einzige unschuldige Sex ist der käufliche, wenn Sex sonst ins Spiel kommt, ist er gefährlich, manchmal lebensgefährlich. Die Tötungsdelikte, die jeweils links und rechts anfallen, passieren eben so. Eine Eigenschaft, die eine gewisse innere Verwandschaft des Romans mit Fargo, dem genialen Film der Coen-Brüder über das Töten en passant, in eisigen Gegenden, herstellt. Bei den Coens bildete das geglückte, wenn auch ultra-spießige Privatleben ihrer Hauptfigur Marge den komischen Gegensatz zu der durchgeknallten Welt außerhalb dieses Glücks. Bei Phillips wird die gewalttätige, durchgeknallte, verwahrloste Welt als normal akzeptiert; selbst noch bei völlig leeren Weihnachtsritualen in kaputten Familien, in die Arglist angesoffen hineinstolpert. Dass es sich um seine eigene Familie handelt, tangiert ihn nur am Rande.

Aber verstehen wir uns nicht falsch: Alles in einer Nacht ist kein Sozialdrama, sondern ein sehr komisches Buch. Der Kontrast zwischen Weihnachten und dem, was da abgeht, lässt beide Pole noch abgedrehter erscheinen, als sie per se schon sind. Natürlich steuert auch dieses Buch auf eine Pointe, die man nicht kommen sehen kann, die aber, wenn sie da ist, sehr, sehr gemein ist. Ein finaler, böser Kommentar zu Sinnstiftungen, gar anlässlich der Sinnstiftungsorgie Weihnachten.

Und deswegen greifen viele Menschen, die mit Weihnachten wenig am Hut haben, beziehungsweise sich von der allgemeinen Weihnachtshysterie genervt fühlen, jedes Jahr wohlgemut am 24. 12. zu diesem schönen Roman. In diesem Jahr paart sich das glücklicherweise mit dem Umstand, dass am Heiligen Abend um 22:20 Uhr auf Sat1 eine nicht sehr werkgetreue, aber dennoch gelungene Verfilmung von Harold Ramis mit John Cusack und Billy Bob Thornton läuft. Wie sich der Abend danach gestaltet ...

Scott Phillips Alles in einer Nacht (Ice Harvest, 2000) Roman. Deutsch von Karl Heinz Ebnet. Knaur TB, München 2001, 256 S., 7,90 EUR

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