Crimewatch No. 28

MAGRIT SPRECHER Leben und Sterben im Todestrakt

Es gibt Staaten, in denen zum Tode verurteilte Menschen gesteinigt werden. Der Iran, Mauretanien, der Sudan und der Jemen gehören zum Beispiel dazu. Staaten allesamt, denen gegenüber die USA jed erzeit und lauthals die Verteidung der Freiheit und der Menschenrechte predigt und notfalls auch militärisch durchset zen möchte.

In den USA werden zum Tode verurteilte Menschen jahrelang unter menschenun würdigen Verhältnissen in käfigartigen Be hältnissen gehalten, von pflichtbe wußtem, willkürlichem und gleichgültigem Wachpersonal verwaltet und, nach grausam langen Fristen, dann endlich mit Stromstößen oder Giftinjektionen umge bracht.

Das Buch der Weltwoche-Reporterin Margrit Sprecher: Leben und Sterben im Todestrakt, erzählt empört, aber nie krakeelend, warum die Handhabung der Todesstrafe in den USA dazu geeignet ist, jede moralisch ar gumentierende Außenpolitik der Super macht empfindlich zu diskredi tieren. Das Skandalon, dass einzelne Bundesstaaten aufs Völkerrecht pfeifen, wenn's ans erbarmungslose Hinrichten geht (»Soll uns Mexiko doch den Krieg erk lären«, grinste ein tex anischer Staatsanwalt, nachdem Texas nach haarsträubender Verletzung interna tionaler Gepflogenheiten einen mexikanischen Staatsbürger flugs hin gerichtet hatte), und selbst beden ken tra gende außenpolitische Einwände aus Washington eher zu Trotzreaktionen (»jetzt erst recht«) führen, ist symp tomatisch für das Selbstverständnis der USA. Und man muss keine antiamerikanis chen Ressentiments pfle gen, um sagen zu dürfen: In manchen Aspekten haben große Teile dieses Volkes einen an der Waffel.

Margrit Sprechers in jeder Hinsicht notwendiges Buch ist ein grusliger Thesaurus amerikanischer Macken, Neurosen und Verschrobenheiten, die kein bisschen liebenswürdig sind. Allein die Statistik brüllt den ganzen Wahnsinn der Todesstraferei heraus: »Neun von zehn Männern, die wegen Vergewaltigung getötet werden, sind schwarz. Von den über 500 Menschen, die zwischen 1977 und 1998 in Amerika hingerichtet wurden, haben über 80 Prozent einen Weißen umge bracht, obwohl sich die schwarzen und weißen Opfer fast die Waage halten.« Alle feingeistigen Diskussionen über den Rassismus in den USA erlöschen hier: Die USA sind ein rassistischer Staat.

Angesichts der Rechtsmittel, die den Angeklagten zur Verfügung stehen, pfle gen die USA ausserdem eine »Klassen justiz« vom Krudesten. Wer auf einen Pflichtverteidiger angewiesen ist, hat es im günstigsten Fall mit einem inkom petenten Zyniker zu tun, wenn er nicht einen ständig be soffenen Schnarch sack erwischt oder einen Gutachter, der grundsätzlich (buchstäblich) ohne Ansehen der Person jedem Eierdieb die Eignung zum Serial Killer attestiert. Stapelweise, auf Formblatt. Man muss die Welle der Anwaltsromane von Turow bis Grisham vermutlich als rein utopische Literatur sehen - angesichts der verp fuschten, verrotteten Verhältnisse im »Todesstrafen«-Gürtel (Texas, Kali fornien, Arizona, New Mexico, Tennessee), die Sprecher analysiert.

Selbst der amerikanische Gesund heits koller zeigt sich vor der Hinrich tung in seiner ganzen Absurdität: Keine letzte Zigarette mehr für den Delinquenten, denn Rauchen schadet Ihrer Gesundheit. Und die Stichstellen auf den Venen für die Giftkatheder wer den sorgfältig desinfiziert, denn man darf keine ungesunden Entzündungen riskieren. Margrit Sprecher muss noch nicht einmal den besonders bösen Blick mobilisieren, um solchen indolenten und benevolenten Sadismen auf die Schliche zu kommen. Ihre Parade der durchweg nicht gerade überqualifizierten WärterInnenschar - in der Regel über gewichtige, psychisch problematische Typen - sagt alles.

Man könnte noch vieles anführen: Die politischen Karrieren, die mit dem Minimal- und Monothema »Todesstrafe« gemacht werden, die erklecklichen, ganz und gar amerikanischen Profite, die die Hinrichtungs- und Hochsicherheits gefäng nis industrie abwirft, auf Kosten der Menschen rechte; den religiösen Fidel wipp, der sich mit reuigen Sündern abziehen läßt, und anderer Wahnsinn mehr. Mir war nach der Lektüre des Buches schlecht - und das ist in diesem Fall ein Qualitätsurteil.

Margrit Sprecher: Leben und Sterben im Todestrakt. Zürich: Haffmans Sachbuch 1999, 221 Seiten, DM 36.-

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