An Stoff mangelt es aktuell sicher nicht: NSA und NSU, Vorratsdatenspeicherung, Ukraine-Konflikt und, wie immer in den vergangenen Jahrzehnten, der Nahe Osten sollen als Stichworte genügen. Alles klassische Themen, für die die Literatur ein wunderbares Mittel entwickelt hat: den Politthriller. Assoziiert wird dieses Genre (oder Subgenre der Kriminalliteratur, diese Diskussion möchte ich hier nicht führen) immer noch mit dem Kalten Krieg. Nach dessen Ende, lautet ein oft gehörter Topos, habe auch er seine besten Tage hinter sich. John le Carré habe keine wirklich wichtigen Bücher mehr geschrieben, Schriftsteller wie Len Deighton oder Brian Freemantle seien in Vergessenheit geraten. Korrekt ist, dass diese und andere wichtige Autoren des Politthrillers, insofern man darunter Spionageromane versteht, tatsächlich tief in der Zeit der Blockkonfrontation verankert sind. Doch so richtig stimmte diese Sicht der Dinge noch nie. Die Welt war schon vor 1989 komplizierter, und der Politthriller seit Graham Greene, Eric Ambler, Ross Thomas oder Robert Littell hatte schon längst andere Felder entdeckt: Innenpolitik, Lateinamerika, Asien, Big Business und das Eigenleben der „Dienste“, deren Tätigkeit sich immer mehr gegen die jeweils eigene Bevölkerung richtet. Spätestens nach dem Watergate-Skandal verstand man sie als eigendynamische, von Paranoia getriebene Apparate, die keiner Kontrolle mehr gehorchten. James Gradys epochaler Roman Die sechs Tage des Condor (1974) setzte den Standard, hinter den man nur auf Kosten blauäugiger Naivität zurückfallen konnte.
Totaler Überwachungsstaat
Mit seinem neuen Buch Last Days of the Condor (2015) schreibt Grady diese Paranoiageschichte nun fort. Unter dem Patriot Act ist alles denkbar – die verschiedenen Geheimdienste arbeiten fröhlich gegeneinander und sind bisweilen so geheim, dass sie selbst nicht mehr wissen, wer ihre Herren und Meister sind. Womit wir in der Gegenwart angekommen wären. Den totalen Überwachungsstaat extrapolieren Daniel Suarez’ Roman Control (2014) und Martin Burckhardts Score (2015) in dystopischer Weise. Vor allem Letztgenannter diskutiert die Dialektik zwischen dem technisch optimierten Menschen und den letztlich totalitären Implikationen, die ein solches Konzept birgt. Auch wenn beide Romane die Handlung in eine nicht allzu ferne Zukunft verlegen, betreiben sie dennoch das Kerngeschäft eines wichtigen Zweigs des Politthrillers: Mit literarischen Mitteln stellen sie jene Fragen, die sich hinter den sichtbaren Wirklichkeiten und allgemeinen Konsensen verbergen. Es ist jene Sorte von Politthrillern, die hauptsächlich von Skepsis und Subversion gegenüber den jeweils offiziellen Lesarten der Realität angetrieben wird. Im Kontrast dazu gibt es noch eine zweite Kategorie. Diese Politthriller stehen eher im Einklang mit machtgestützten Positionen, verstärken sie sogar noch. In den Anfängen des Genres waren es etwa die Romane William LeQueux’, John Buchans oder Ian Flemings, aus denen ein strammer Patriotismus sprach. Heute stehen Autoren wie Tom Clancy oder Patrick Robinson für diese Tradition. Zum Entsetzen vieler Leser fügte sich jüngst auch Don Winslow mit seiner Söldnerschwarte Vergeltung in sie ein.
Der erste, subversive und weitaus interessantere Zweig leitet sich von Eric Ambler her, ebenso brillante Schriftsteller wie Ross Thomas oder Robert Littell haben die Kunst der kreativen und intelligenten Zersetzung von Weltbildern zum höchst erkenntnisfördernden Programm gemacht. Spott, Sarkasmus, Komik, Stil und hohe Sachkompetenz fließen in ihre Prosa ein, die nicht groß erklären muss, wie es auf der Welt zugeht. Dafür brauchen sie ein kompetentes Lesepublikum, das sich auskennt und deshalb den subversiven Anteil dieser Romane zu schätzen weiß. Eric Ambler mit seinen Thrillern aus der Makroökonomie (Das Intercom-Komplott, Bitte keine Rosen mehr), Robert Littells Die kalte Legende oder die Artie-Wu-/Quincy-Durant-Romane von Ross Thomas, sie alle untersuchen jene Bruchstellen in den Konsensen dieser Welt, an denen ihre Protagonisten dann zur intellektuellen Sabotage ansetzen.
Das ist ein großer Unterschied zu Büchern, die reale Missverhältnisse aufgreifen, um sie dann mittels fiktionaler Rahmenhandlung zu skandalisieren. Meist Themen, die einer informierten Öffentlichkeit bereits bekannt sind. Wolfgang Schorlaus „Ökothriller“ oder Oliver Bottinis Roman über die Machenschaften der deutschen Waffenindustrie (Ein paar Tage Licht, 2014) gehören in diese Kategorie. Ihr Problem ist meist die Lehrhaftigkeit, ihr Wille zur Aufrüttelung. Also das, was Jörg Fauser am Beispiel des von ihm missverstandenen Eric Ambler als das Erklären, „wie es zugeht auf der Welt“, beschrieben hat. Politthriller dieser Bauart setzen das Wissen um die Verhältnisse voraus und entfalten auf dieser Grundlage ihr literarisches Spiel. Der Untergang der Welt, wie bei vielen Actionthrillern à la Ian Fleming oder Jon Land, in denen ein Held den Globus vor Wahnsinnigen retten muss, steht bei der Ambler-Linie eher nicht zur Debatte. Wohl aber geht es um subkutane Tendenzen in den jeweiligen Gesellschaften, wenn nur genug halluzinative oder visionäre Kraft in den Texten steckt. Paranoia ist ein sehr sinnvolles intellektuelles Werkzeug.
Die notwendige Kühle
Interessant ist auch eine gewisse Renaissance jener Politthriller, die genauso als Thriller oder Kriminalroman gelabelt sein können. Besonders südafrikanische (Mike Nicol, Andrew Brown, Malla Nunn) und lateinamerikanische Texte (Raúl Argemí) sowie die Erben des Néo-Polar (von Jean-Patrick Manchette bis Dominique Manotti) haben eine starke Tradition solcher Hybride aufgebaut. Hybride, deren Zugehörigkeit zur einen oder anderen Gruppierung von „Kriminalroman“ uneindeutig ist. Bei uns schreiben, außer den schon Erwähnten, etwa Christian von Ditfurth oder D. B. Blettenberg politische Kriminalromane. Neuere Stimmen wie Martin Maurer oder Orkun Ertener bewegen sich in politthrillerartigen Gefilden. Merle Kröger hat in ihren letzten beiden Büchern Grenzfall und Havarie eine ganz eindeutige politische Agenda, und Zoë Becks Schwarzblende strahlt die dem Thema (IS-Terror und dessen innenpolitische Dimensionen in Großbritannien) notwendige lakonische Kühle aus, die Literatur von bloßer politischer Meinung und Empörung über die Schlechtigkeit der Welt unterscheidet.
Dass momentan unser eigener Bundesnachrichtendienst noch nicht ganz (wenn auch so allmählich und in raren Einzelfällen schon immer) ins Visier des Politthrillers gerät, liegt vermutlich an der Unauffälligkeit und Biederkeit, für die der Dienst in der Öffentlichkeit bekannt ist. Anfragen und den Ruf nach Kontrolle kann man ignorieren oder abschmettern. Wäre ich paranoid, würde ich so etwas als Mimikry verstehen, als besonders raffinierte Tarnung in einer auf stiller, jedoch fataler Effizienz basierenden realpolitischen Konstellation. Aber das könnte natürlich schon wieder ein Trugschluss sein. Politthriller, wenn sie gut sind, haben eben keine Antworten. Dafür stellen sie die wirklich gemeinen Fragen. Und je eleganter sie das tun, desto größer ist der Schmerz.
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