Sechshundertfünfzig Jazz-Plattencover aus der Sammlung des portugiesischen Produzenten Joaquim Paulo, die 25.000 LPs umfassen soll. Alle aus dem Zeitraum von 1940 bis 1990, also aus der großen Ära der Langspielplatte, die den Eindruck nährte, Jazz sei hauptsächlich aufgenommene Musik, fixierte Musik. In der Tat 50 Jahre Jazz- und Musikgeschichte, die sich auch als Geschichte der bedeutenden Labels darstellt: Blue Note, Verve, Impulse, Prestige, CBS, Storyville, CTI und so weiter. Und 50 Jahre Grafik, Design, Stilisierung, Ästhetik, Erinnerung, Nostalgie. Dazu eine Art Katalog mit Raritäten, Verschüttetem, Vergessenem und plötzlich wieder aufregend Aktuellem. Ein Buch, dass man, gesetzt man ist Jazz-Liebhaber, nur bei extrem sittlicher Festigung durchlesen darf, weil man ansonsten in Gefahr läuft, Haus und Hof beim Nachkaufen von Musik, die man verdrängt hatte, die fehlt oder auf die man neugierig geworden ist, durchbringen kann.
Im Ernst: Der grandios aufgemachte, von Julius Wiedemann herausgegebene Prachtband, der zum ersten Mal einen Überblick über alle wichtige Cover Art des Jazz bietet (und nicht nur eine Bild-Historie einzelner Plattenfirmen), ist ein derart gewaltiges Panorama dieser Musik, dass es gleichzeitig viel mehr ist: Ein Panorama der Stile, der ästhetischen Avantgarden und des Lifestyles, ein Spiegel der zeitgenössischen und aktuellen Kunst eines halben Jahrhunderts. Von Pop-Art bis Montagen, von digitaler Kunst bis zu eleganter Abstraktion erweist sich in dieser Zusammenschau ausgerechnet die angebliche Minderheiten-Musik "Jazz" als zumindest mitten im visuell-künstlerischen Mainstream schwimmend.
Interessant ist an dieser Zusammenstellung, dass die Auswahl der ästhetisch relevanten Plattencover und somit diese Geschichte des Jazz, die dieser Band erzählt, keineswegs deckungsgleich ist mit der Geschichte des Jazz, wie sie Jazzhistoriker oder -kritiker erzählen würden. Das heißt: Grandiose Cover wurden für Musik entworfen, die man damals (und vielleicht heute noch) also abscheulich, "kommerziell", zumindest aber als fragwürdig oder wenig relevant bezeichnen würde.
Oder für Musik und Musiker, die heute völlig vergessen sind, damals aber erhebliche bildkünstlerische Energien freisetzten. Selbst Spezialisten tun sich mit Namen wie Gil Mellé, Dudley Moore, Don Randi, Neal Creque, Vi Redd und etlichen anderen schwer. Und warum ein paar grauenhafte Produktionen wie solche mit Gabor Szábo, George Duke oder Jonah Jones so wunderbare Hüllen bekamen, bleibt auch heute noch ein Rätsel.
Immerhin, in dem Band sind aufschlussreiche Interviews enthalten, die solche verschiedenen Sichtweisen demonstrieren. Ein Art Director wie Bob Ciano, der wesentlich das Erscheinungsbild der Plattenfirma CTI prägte, bevor er in den Print-Sektor (zum Esquire und später zu Time Life) wechselte, hat eine total andere Einschätzung von Musik und Bild und von den Bilder, die zur Musik entworfen werden, wie zum Beispiel der geniale Toningenieur Rudy van Gelder, der eine fast unglaubliche Menge der relevantesten Musik der Zeit aufgenommen hat - Miles Davis, Thelonious Monk, John Coltrane und alle anderen, für die unterschiedlichsten Labels.
Wichtig ist auch, dass das Buch die verschiedenen Designer und Künstler benennt, ihren Stil, ihre Handschriften und ihre Intentionen schlicht durch die Menge der Abbildungen sichtbar und vergleichbar macht. Ganz besonders zu loben ist da der weite Blick von Paulo und Wiedemann, der nicht nur die großen amerikanischen Künstler wie Reid Miles, Robert Guidi, Robert Flynn oder John Hermansader im Fokus hat, sondern auch zum Beispiel deutsche Genies wie Heinz Bähr, der das Bild von MPS oder die große Barbara Wojrich, die das kühle, wunderbare, bis heute tragfähige Erscheinungsbild von ECM entwickelt hat. Genauso zu preisen ist, dass sich der Band zudem noch um osteuropäische Labels und Künstler kümmert, um die Platten von Krzystof Komeda in Polen, Johnny-Cretu Raducanu auf dem rumänischen Electrocord-Label oder seines (trotz des ungarischen Namens) rumänischen Landsmanns Jancsi Körössy. Oder um Janko Nilovic aus dem damaligen Jugoslawien, wo es bei Selection Records eben auch Top-Design gab, wie wir sehen.
Kleine Holperer der nicht immer sattelfesten Übersetzerin, bei denen dann aus Friedrich Gulda schnell mal ein Australier wird, statt ein Österreicher, seien bei der Materialfülle von Herzen verziehen. Wie gesagt: Man muss vor diesem Buch warnen: Es frisst Zeit und Geld. Aber wenn man irgendwas mit Jazz zu tun hat oder mit Design oder gar mit beidem, dann muss man es einfach haben.
Joaquim Paulo/Julius Wiedemann Jazz Covers. Deutsch von Katrin Kügler. Taschen, Köln 2008, 495 S., 29,99 EUR
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