Wörtches Crime Watch No 24

CRIME WATCH Gerg Seeßlen: Copland. Geschichte und Mythologie des Polizeifilms. Schüren-Verlag, Marburg 1999. 529 Seiten, DM 48.-

Nach Wolfgang Schweigers erster Annäherung an das Genre des Polizeifilms (von 1989) hätte Georg Seeßlen zehn Jahre später zur Feinarbeit am gleichen Gegenstand übergehen können. Zum Beispiel, das Genre vernünftig zu definieren (vielleicht auch zu verwer fen) oder seine ästhetischen En t wicklungs linien zu be schreiben. Liest man jedoch die Einleitung zu Seeßlens Copland. Geschichte und Mythologie des Polizeifilms, steht man fassungslos vor einem Verhau, der vorgibt »Ideolo giekritik« zu sein, aber bloß al berne und wirre Klischees pro duziert.

Der Klassenstandpunkt soll laut Seeßlen alles erklären. Der Polizist »als Subjekt einer durchaus terroristis chen Macht« schützt »die Interessen einer Klasse, der er nicht angehört«. Weil er ein »Kleinbürger« ist, muß er schmerz haft erfahren, »daß seine Klasse aus einem strukturellen Betrug errichtet ist«. Das frustriert ihn. Ergo, schließt Seeßlen »können ehrliche Polizeifilme nur von gewalt tätigen, reaktionären, blinden und selb st zer störerischen Cha rak teren han deln«. Tun sie das nicht, sind sie nicht ehrlich. So einfach ist das. Der Grad von »Ehrlichkeit« eines Filmes (ein seltsames Kriterium) ergibt sich aus der ideologisch richti gen oder falschen Situierung seiner Figuren. Basta. Womit auch der Diskurs über letztlich jede Art von Kunst im Binären geendet hat. Würde sich Seeßlen aller d ings selbst ernst nehmen, müßte er diese Meßlatte im Folgenden an hunderte von Cop-Movies aus aller Welt anlegen. Tut er aber nicht, sondern erzählt lediglich Filme nach. Manchmal anhand von nicht trennscharfen Kategorien (»Black Cops« und »Ethnic, Gender Cops«), manchmal bloß chronolo gisch.

Konsistenz ist nicht unbed ingt ein Vorzug des Buches, dessen in haltliche und formale Schlampigkeit schon zusam mengehören. So zitiert Seeßlen (oder doch Seesslen? Umschlag und Titelblatt sind sich da nicht einig) mehrfach einen gewissen Jerome Chatwyn (im Glossar taucht dann Jerome Charyns Name richtig geschrieben auf) mit dessen Holly woodgeschichte Movieland. Vom Ro mancier Charyn und seinen Cop Novels um Isaac Sidel hat Seeßlen deutlich keine Seite gelesen. Sonst könnte er nicht einfach so be haupten, daß Cops in der Kunst nur sel ten »epis che« Figuren sein können. Weil er sich aber auch in direkt auf Charyns Bruder bezieht, der in der Tat beim NYPD war, verknoten sich (nicht nur) an diesem Punkt drei Ebenen heil los: Man weiß nie genau, von was Seeßlen eigentlich redet. Von der Realität, von Literatur oder von Film ? Sind seine Aussagen über den Kleinbürgerstatus des Polizisten und seine Seelenlage Aussagen über »echte« Polizisten ? Wenn ja, welche ? Gestützt auf welche Empirien ? Oder interpretiert Seeßlen die Wirk lichkeit wie einen Film, gemäß seiner naiven Klassen-Parameter oder ir gendwelcher anderen ?

In ein solch wirres Gemisch aus Fakten und Interpretation passen dann kom plexere Phänomene schon gar nicht hinein. Zwar stellt Seeßlen etwa den »Drehbuch-« und »Romanautor« Joseph Wambaugh vor, verpaßt aber dessen große liter arische Leistung seiner Cop-Romane: Die Groteske als ästhetis ches Verfahren zu entdecken, um »Polizei« aus der Alternative von platter Wider spiegelung und Märchen als Thema re alistischer Kunst zu etablieren. Das hatte schließlich Folgen. Allerdings nicht für Aldrichs Choirboys (die Wambaugh stets für Geblödel hielt), son dern für TV-Serien wie Hill Street Blues etcetera. Apropos Fernsehserien: Auch da erweist sich Seeßlen nicht gerade als »synäs thetischer« Denker und übersieht die Interdependenzen von Movie und TV. Deswegen finden künst lerische Meilen steine wie Cracker oder Homi cide bei ihm nicht statt. Wohl aber Dumpfbacken produk tio nen wie Wal lace- und Cotton-Filme, seit en lang.

Copland ist ein unscharfes Panorama dessen, was je an Cops über die Leinwand getobt ist. Seeßlen ist ein manis cher Film gucker. Das ist schön und nüt zlich. Aber gerade diese Materialflut läßt sich nicht ein fach vom Zettelkasten in ein Buch um füllen. Ein paar durch dachte Frage stel lungen und Struk turierun gen hätten geholfen.

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