Schicksalswahl 2.0

Wahlen in Österreich Wiener Mischung, frisch gemahlen: Kickl, Hofer und Konsorten stinken im blaubraunen Skandalsumpf ab – Strahlemann Kurz hat alle Optionen für die Regierungsbildung

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Im Vorbeigehen: Sebastian Kurz
Im Vorbeigehen: Sebastian Kurz

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Die Resultate der Parlamentswahl in Österreich sprechen eine deutliche Sprache: Die konservative Volkspartei ÖVP, die unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz einen modisch-türkisen Anstrich erhielt, ist der große Gewinner und liegt nun bei ca 37% (+5,7%). Die SPÖ fährt das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und erzielt unter der Führung Pamela Rendi-Wagners nur 21,5% (-5,4%). Die freiheitlichen Skandalnudeln von der FPÖ schmieren verdientermaßen völlig ab (-9,9%) und finden sich auf dem Niveau, auf dem sie vor zehn Jahren dahindümpelten (16,1%). Die Grünen unter Klima-König Kogler ziehen – Gott sei Dank! – wieder ins Hohe Haus ein (13,8%), und auch die liberalen Neos gewinnen mehr als 2% dazu, womit sie rund 8 % der Stimmen ernten konnten – beide Parteien verbuchen das beste Ergebnis, das sie je hatten.

Nun, das Schlimmste scheint vermieden. Eine Neuauflage von türkis-blau (ÖVP-FPÖ) ist nach all den 1.000en unappetitlichen 'Einzelfällen' xenophober Entgleisungen und der demaskierten Kleptokratie- und Staatsunterwanderungs-Tendenzen beinahe ausgeschlossen. Wir danken innigst und hoffentlich abschliessend für die Selbstentleibung – das Experiment mit den Rechtsextremen erweist sich als äußerst volatil, hochnotpeinlich und insgesamt als nach Kräften zu vermeiden. Außer Spesen nix gewesen, könnte man meinen. Dennoch wird es notwendig sein, sich in der Retrospektive nochmals genau anzuschauen, wie groß der Schaden an Demokratie, am Vertrauen in die Institutionen, an Rechtsstaat und der Kultur des öffentlichem Diskurses de facto ist, den der Hochglanz-Kanzler mit der teuer pomadisierten Haartolle und seinem Hang zur Verschwendung von Steuermillionen in Rekordzeit und freilich unter tatkräftiger Mithilfe der kornblumenlauen und Ibiza-gebräunten Chaostruppe angerichtet hat; Und inwieweit die Verrohung des Gemeinwesens, der ehemaligen res publica, die in eine erweiterte interessenspolitische Kampfzone verwandelt wurde, überhaupt reversibel ist.

Ob indes die negative Strahlkraft – das real-existierende Schreckensszenario – des alpenländischen Rechtsexperimentismus ausreicht, um auch in anderen Europäischen Ländern die gemäßigten Parteien an der Macht zu halten (oder sie dorthin zurückzubringen), wird sich erst weisen. Mit Blick auf Ungarn und Polen darf solcherlei Hoffnung getrost als höchst ungewiss gelten, wofür auch das autoritäre Equilibrium, die konservativ-autokratische Nervenschaukel auf EU-Ebene verantwortlich zu machen ist: Ursula von der Leyen wäre ohne Orban und PIS nicht Kommissionspräsidentin; Und umgekehrt wären Fidesz oder der Tscheche Babis ohne EU-Förderungen längst am Ende. Und allein dank des sakrosankten Milliarden-Deals mit Recep Tayyip Erdogan, so will es der Mythos, wurde die wackere Europa nicht schon v0r Urzeiten durch den anbrandenden Flüchtlingstsunami von ihrem stiernäckigen Menschenrechts-Joch (oder Menschenverreckungs-Joch?) heruntergespült.

Bislang fliegt uns das Wiener Polit-Laboratorium also noch nicht krachend um die Ohren, wo zumindest #Kurz-zeitig und durchaus fahrlässig hochexplosive Staats- und Demokratiefeindlichkeit mit chemisch reinem Wirtschaftsliberalismus Hayek’scher Prägung zu einem türkisblauen Knallgas vermengt wurden, das uns den Atem stocken lässt. Allein, es bleibt die Frage, wie stabil die moralische und staatsmännische/-fräuische Autorität eines skrupellosen Eigennutzen-Maximierers ist, wie ihn der kindliche Alt-/Neu-Kanzler täglich zur Aufführung bringt? Und ergo, auf gut Schönbrunner-Deutsch: „Alles Walzer!“ im Operetten-Staate Österreich – oder 'alles Wurscht' beim lieben Augustin, denn ohnehin ist ja alles schon hin?

'Jo-mei, heast, Oida! Jetzt schau'ma mal, dann sehn ma schon. Man bringe den Spritzwein! Freundschaft!'

Fest steht, wir werden ihn nicht missen müssen im nächsten Aufzug auf der Bühne des österreichischen und europäischen Staatstheaters, den ach so geliebten, umjubelten, ja vergötterten Bundeskasperl Basti Kurz, der je nach Windrichtung und Applauslage mal den Hamlet gibt und mal den Macbeth:
"Double, double / toil and trouble / fire burn and caldron bubble [!] ..."
[sicut erat et nunc et semper et in sæcula sæculorum: Austria est in omnibus unus. Amen!]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas Henökl

Associate Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Agder, Norwegen.

Thomas Henökl

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