Krieg ohne Bilder

INTERNET Auf Websites und Mailinglisten finden sich ungefilterte Informationen aus dem Kriegsgebiet

Seit die jugoslawische Bundesregierung die Eurovision-Satellitenverbindung unterbrechen ließ, ist es technisch unmöglich geworden, Fernsehbilder ins Ausland zu übertragen; seit Journalisten aus NATO-Ländern Jugoslawien verlassen mußten, können westliche Reporter nicht mehr vor Ort recherchieren. In dieser Situation ist das Internet zur wichtigsten direkten Verbindung nach Jugoslawien und in den Kosovo avanciert. Nur auf Websites, Mailinglisten und per direkter e-Mail hat man Zugang zu Augenzeugenberichten aus der Krisenregion

Einer der wenigen Berichterstatter aus dem Kriegsgebiet lebt in einem Kloster: Vater Sava Janjic ist Mönch in einem 663 Jahre alten Kloster im Süden des Kosovo. Auf der Website seines Klosters (http://www.decani.yunet.com/home.html) finden sich Links zu einem Live-Chat und einer Mailingliste (http://www.eGroups.com/list/decani/), die Augenzeugenberichte direkt aus den bombardierten Gebieten in der ganzen Welt verbreitet. Schon kurz nachdem die ersten Marschflugkörper auf Pristina gefallen waren, gab es auf der Liste einen ersten Bericht aus der bombardierten Stadt: »Die Bomben fielen wie Regen auf Pristina. Fünf von ihnen konnte man sehen. Sie sahen aus wie Flammen und kamen herunter wie Sternschnuppen.« Auch auf einer anderen Liste (http://www.egroups.com/list/kosovo-reports/), die der Amerikaner Steven Clift eingerichtet hat, sind Berichte aus Jugoslawien zu finden, genauso wie Debatten zwischen Serben und Albanern aus den verschiedenen Teilen des Landes.

Das amerikanisch-deutsche e-zine Rewired (http://www.rewired.com) veröffentlicht das e-mail-Tagebuch einer serbischen Literaturprofessorin aus Belgrad. »Die Nacht nach dem ersten NATO-Schlag war ruhelos«, schreibt Vladislava Gordic. »Wir sind die ganze Nacht hin und her gerannt. Von unserem Haus zum Luftschutzkeller und wieder zurück, um ein paar Stunden zu schlafen. Wenn ich nach Hause komme, ist das erste, wonach ich greife, nicht etwas zu essen, sondern die Tastatur von meinem Computer. So lange wie wir noch Strom haben, so lange das Telefon noch funktioniert, und mein Modem (das schon ganz schön alt ist) noch geht, werde ich weiter schreiben, um das hier festzuhalten ...« Zwei Tage später heißt es: »Heute schreibe ich online, weil ich nicht weiß, wann und wie ich wieder eine Internet-Verbindung bekommen werde. Bitte, wer immer das liest, tut etwas, um diese Apokalypse zu verhindern ...«

Schon vergangene Woche hatte die jugoslawische Regierung den Radiosender B92, das einzige kritische, unabhängige Medium in Jugoslawien, schließen lassen. Seit der Sender nicht mehr terrestrisch sein Programm ausstrahlen kann, verbreitet er Nachrichten im Internet (http://helpB92.xs4all.nl) über einen holländischen Servercomputer. Auch auf Englisch können die Meldungen von B92 inzwischen per e-Mail bezogen werden (http://brazil.tcimet.net/cgi-bin/lwgate/ODRAZB92E/).

Für Jugoslawen kann es freilich auch gefährlich oder sogar lebensbedrohlich werden, kritische Äußerungen unter ihrer e-Mail-Adresse im Internet zu veröffentlichen. Die amerikanische Website Anonymizer.com () hat darum das Kosovo Privacy Project (http:// www.anonymizer.com/kosovo) eingerichtet. Von dieser Site können Jugoslawen anonyme E-mails verschicken, ohne befürchten zu müssen, daß ihre Äußerungen später gegen sie verwendet werden können. Diese Form selbstorganisierter Gegenöffentlichkeit funktioniert allerdings nur, solange Jugoslawien überhaupt noch Zugang zum Internet hat. Und auch der ist durch die NATO-Bomben bedroht. Telekommunikationsexperten befürchten, daß die Netz-Infrastruktur Jugoslawiens durch das Bombardement zerstört werden könnte. Nicht nur das Telefonnetz ist zur Zeit vollkommen überlastet, auch die wenigen Internet-Backbones in dem kleinen Land könnten durch die Bomben zerstört werden. Die vier größten Internet Serviceprovider sind mit dem Rest der Welt nur durch drei Landverbindungen und einen einzigen Satellitenlink verbunden. Wenn diese Verbindungen zerstört würden, wäre die letzte direkte Verbindung Jugoslawiens aus dem Land heraus unterbrochen.

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