Dass man die im Dunkeln sieht

Ausstellung Alfred Hitchcock wusste, wie man sich als schrulligen Genius inszeniert. Eine Berliner Ausstellung zeigt nun die Werkstatt, die hinter dem Mythos gestanden hat

Kaum ein anderer Kulturschaffender hat es vermocht, im Kino Vertreter der Avantgarde und das breite Massenpublikum gleichermaßen so zum Schwärmen zu bringen wie Alfred Hitchcock. Der Regisseur ist der Konsenskünstler der kulturindustriellen Sphäre seit der beharrlichen Fürsprache der französischen Nouvelle ague und vor allem durch François Truffauts Interviewbuch (Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?). Den jungen Franzosen imponierte Hitchcock zuerst als visionärer Schöpfer seiner Filmwerke – schließlich entsprach dieses Konzept vielem, was der Autorenfilm seinerzeit propagierte.

Dass durch dieses Image viele erstklassige Mitarbeiter mit ihren Arbeitsanteilen in dem großflächigen Schatten des Regisseurs verschwanden, wodurch die Marke Hitchcock erst geschaffen werden konnte, zeigt nun eine Ausstellung im Berliner Museum für Film und Fernsehen: Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt.

Sie präsentiert Hitchcock als Inszenierungsmanager, der mit großer Meisterschaft verschiedene Drehbuchautoren (unter anderem John Steinbeck oder Thornton Wilder), Kostümbildnerinnen, Kameramänner oder Komponisten miteinander kombinierte und teilweise auch gegeneinander ausspielte. In der angenehm kleinen Schau, die den genauen Blick auf die Exponate lohnt, ja geradezu fordert, sind über 200 Zeichnungen, Storyboards, Skizzen zu Kameraeinstellungen, Drehbücher und Korrespondenzen ausgestellt. Sie dokumentieren, wie viel die Filmklassiker von Notorious bis Frenzy der Vor- und auch der Eigenarbeit der beteiligten Künstler verdanken. Es scheint allerdings oft, als hätten die Kuratoren ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen und gefürchtet, das geniale Werk erführe durch ein paar Kratzer an Hitchcocks Denkmal eine allzu große Delegitimierung: Nicht selten finden sich in den Wandtexten relativierende Beschwörungen, die Hitchcock letztlich wieder als übergroßen Zampano erscheinen lassen.

Dabei dokumentieren die Exponate doch selbst, wie sehr dem Regisseur daran gelegen war, durch Selbstvermarktung das Bild seines Kreativitätsmonopols bei der Filmproduktion zu schaffen. Für den Film Der unsichtbare Dritte wurden im Nachhinein szenische Skizzen angefertigt, die Hitchcock vor dem Film erstellt haben sollte, um der Presse zu suggerieren, der Film habe vor den Dreharbeiten Einstellung für Einstellung fertig im Kopf des genialischen Meisters bestanden. Auch fällt auf, wie prominent Hitchcock im Vergleich zu seinen Stars auf den Filmplakaten vertreten war. Bei der Publicity, die ebenfalls Thema der Schau ist, wird deutlich, dass Hitchcock die Presse ebenso zu verführen wusste wie sein Publikum. Er versorgte den Boulevard mit Informationen über die Konjunkturen seines Körpergewichtes oder ließ sich beim behäbigen, fast wankenden Spaziergang filmen.

Die Ausstellung macht deutlich, dass Hitchcock sich immer mit einem Tross von begabten Künstlern umgab. Sie folgt damit einer Intention des Nouvelle-Vague-Autoren Jean-Luc Godard, der durch Schnitttechnik und Verfremdungseffekte die Produktionsprozesse der Filme und das Geschehen hinter den Kulissen sichtbar gemacht hat. Hätte er damals Hitchcock interviewt, hätte das Buch wohl gehießen: Mr. Hitchcock, wie habt ihr das gemacht?

Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt Filmmuseum Berlin, bis 10. Mai

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