Bruchlandung im Einheitsstaat

Vorerst ausgebremst Wie Piloten und Fluglotsen des DDR-Luftfahrtunternehmens "Interflug" um einen Teil ihrer Rente gebracht werden

Der alte Militärflughafen Finowfurt bei Eberswalde ist im Winter kein behaglicher Ort. Die alten schneeüberzogenen Hangars wirken wie überdimensionierte Iglus, während das Flugfeld zur letzten Ruhestätte einiger flugtechnischer Dinosaurier geworden ist: Neben Hubschraubern und Jagdflugzeugen komplettiert eine Passagiermaschine das bizarre "Stillleben". Auch wenn deren Außenhaut viel von ihrem früheren Weiß eingebüßt hat - der rote Schriftzug ist noch gut erkennbar: hier überdauert die Interflug der Zeiten Lauf. Davon nur mäßig beeindruckt umkreisen zwei ältere Herren das Fahrwerk dieser Tu 134, greifen an die Reifen, checken Bremsen und Radkästen wie bei einer Vorflugkontrolle und steigen schließlich ins Cockpit. Dieter Oehme übernimmt den Pilotensitz, für Jahrzehnte war das sein Platz, allerdings in einer IL 18, später dann der IL 62. Neben ihm Bernhard Tippel, der nicht zum fliegenden Personal gehörte, sondern vom Tower in Berlin-Schönefeld aus Starts und Landungen dirigierte.

Klimmzüge der BfA

Zueinander gefunden haben Oehme und Tippel erst nach Wende und Interflug. Oehme flog zuletzt mit ehemaligen DDR-Regierungsmaschinen des Typs IL 62 im Auftrag der Bundeswehr Politiker und Beamte von Bonn nach Berlin und wieder zurück, gelegentlich auch ins Ausland. Er tat das für ein eher mäßiges Honorar - "ein Pförtner im Bundestag" verdiene mehr, habe ihn ein CSU-Parlamentarier nach einem Blick in seinen Vertrag einfühlsam aufgebaut, erzählt Oehme. 1993 war dann Schluss, die Maschinen wurden für ein paar Tausend DM verkauft, auch wenn sie Millionen wert waren, ihr Pilot ging in den Vorruhestand. Tippel koordinierte ab 1991 als Flugsicherheitsingenieur Flüge der noch in Ostdeutschland stationierten russischen Truppen mit dem zivilen Luftverkehr. Wie für seine Branche üblich ging er 1994 mit 55 in Pension.

Als beide schließlich das reguläre Rentenalter erreichten und die so genannte Kontenklärung bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) anstand, um die Höhe ihrer Altersbezüge zu bestimmen, waren Oehme und Tippel überzeugt, die "technische Intelligenzrente" aus DDR-Zeiten zu erhalten. Darauf - so Oehme - "hatten wir uns ja all die Jahre bei der Interflug verlassen" - außerdem gab es den Einigungsvertrag wie auch ein diesbezügliches Urteil des Bundessozialgerichts von 1998. Als Voraussetzungen für einen entsprechenden Rentenbezug wurden darin die Qualifikation und Tätigkeit als Ingenieur sowie die Zugehörigkeit zu einem Betrieb genannt, der in die DDR-Zusatzversorgungssysteme eingezahlt hatte. Doch als Oehme und Tippel ihre Anträge vorlegten, wurden die wiederholt zurückgewiesen, bis beide vor dem Sozialgericht klagten. Die BfA, so Oehme, unternehme in dieser Sache "wahre akademische Klimmzüge, um das Recht zu ihren Gunsten verschieben zu können".

So werden die Ansprüche von Interflug- Ingenieuren mit der Begründung abgelehnt, die Luftfahrt werde in gesetzlichen Erlassen der DDR über die Intelligenzrente aus den Jahren 1950 und 1951 nicht erwähnt. Tatsache ist jedoch, dass es zu diesem Zeitpunkt beiden deutschen Staaten per Besatzungsstatut der Alliierten noch verboten war, zivile Luftfahrt zu betreiben. Das änderte sich 1955, als daraufhin in der DDR die VEB Deutsche Lufthansa gegründet wurde. Erst 1958 folgte die Interflug, zunächst war damit eine Charterfluggesellschaft gemeint, erst ab 1963 die DDR-Fluglinie, nachdem ein Rechtsstreit mit der BRD um den Namen "Lufthansa" vor dem Europäischen Gerichtshof verloren ging.

Ausdrücklich waren in einer Durchführungsbestimmung zur DDR-Intelligenzrente von 1951 Ingenieure bei Eisenbahn und Schifffahrt in das Versorgungssystem einbezogen worden. Mit anderen Worten, hätte die DDR schon damals Betriebe der zivilen Luftfahrt unterhalten dürfen, wäre dieses Gesetz auch für Ingenieure des VEB Deutsche Lufthansa gültig gewesen. Später wurde entsprechend verfahren: Etwa 1963, als ein Erlass des DDR-Verkehrsministers verfügte, dass Antragsvordrucke für den Bezug der Intelligenzrente bei "den Hauptverwaltungen der Schifffahrt, der Wasserstraßen... und der zivilen Luftfahrt vorrätig zu halten" seien.

1.200 Euro hier - 3.500 dort

Um im Rechtsstreit mit der BfA bestehen zu können, haben sich inzwischen ehemalige Piloten und Ingenieure der Interflug zusammengeschlossen. Mit der Akribie von Detektiven gelang es ihnen unter anderem, die Betriebsakte ihrer Fluglinie bei der Staatlichen Versicherung der DDR aufzuspüren, die für die Einnahme der Beiträge wie die Auszahlung der Intelligenzrenten zuständig war und diese Aufgabe nach der deutschen Einheit an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu übergeben hatte. Aus dieser Akte war zu ersehen, dass dieselbe BfA, die hartnäckig jeden Anspruch von Piloten und Fluglotsen der Interflug auf das Zusatzversorgungssystem leugnet, noch am 25. Februar 1991 von eben dieser Interflug 14.500 DM an Beiträgen für das Versorgungssystem der technischen Intelligenz kassiert hat.

Für ein weiteres Argument, um Interflug-Mitarbeitern die fälligen Renten zu verweigern, sorgt die Behauptung, die Interflug sei kein volkseigener Betrieb gewesen, sondern eine GmbH. Das Unternehmen falle deshalb nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom April 2002 "auf Grund seiner Gesellschaftsform nicht unter den Anwendungsbereich dieses Zusatzversorgungssystems", denn Anspruch auf die technische Intelligenzrente haben nur Mitarbeiter einstiger Volkseigener Betriebe (VEB). In der Tat hatte die DDR die Interflug als GmbH gegründet, um damit zu verhindern, dass Flugzeuge im Ausland von Gläubigern beschlagnahmt werden könnten. Innerhalb des Landes spielte die Gesellschaftsform der GmbH keine Rolle, da wurde die Interflug als volkseigener Betrieb behandelt. Ebenso, wie es später pikanterweise auch die Bundesregierung und die Treuhand hielten. Letztere hatte die Liquidation der Interflug 1990 dem Konkursverwalter Jobst Wellensieck übertragen, der in einem Gutachten vom März 2002 die Auffassung, wonach "es sich bei der Fa. Interflug wegen der Bezeichnung als GmbH gerade nicht um einen volkseigenen Betrieb handeln würde", als "fehlerhaft" bezeichnete.

Das Verhalten von BfA und Sozialgerichten korrespondiert augenscheinlich mit jener aufgeheizten Debatte, bei der seit längerem vehement beklagt wird, wie sehr die Renten aus den DDR-Zusatzversorgungen die öffentlichen Kassen belasten. Nur hat die Bundesrepublik Deutschland mit dem Einigungsvertrag von 1990 die Ansprüche aus eben diesen Systemen garantiert, auch wenn seinerzeit die finanzielle Dimension möglicherweise unterschätzt wurde. Seither gilt, dass sich die neuen Länder und der Bund entstehende Kosten im Verhältnis 2 : 1 teilen. So fließen mittlerweile etwa 25 Prozent der Mittel für den "Aufbau Ost" - sprich: zwei Milliarden Euro pro Jahr - in diese Rentenanteile. Das Lamento darüber mag aus Sicht der hochverschuldeten Ost-Länder verständlich sein, gerechtfertigt ist es nicht. Denn, so Dieter Oehme, "man sollte zwischen den Rentenansprüchen und den finanziellen Lasten trennen". Ohnehin hat das Bundesverfassungsgericht mit etlichen Entscheidungen die Rechtmäßigkeit von Renten aus Zusatzversorgungen bestätigt, für die einst DDR-Betriebe die erforderlichen Beiträge abführten. Offenkundig soll die laufende Debatte über die aus DDR-Regelungen resultierenden Verpflichtungen den politischen Druck auf die BfA verstärken, neue Anträge auf Zahlung der Intelligenzrente abschlägig zu beantworten.

Unbotmäßig sind die Forderungen von Oehme und Tippel indes keineswegs. Sie erhalten derzeit Altersbezüge von je 1.200 Euro - mit der Intelligenzrente wären es etwa 110 mehr. Hätte Oehme als Pilot bei der Lufthansa gearbeitet, würde er heute ein Ruhestandseinkommen von 3.500 Euro beziehen. Soviel nur in diesem konkreten Fall zu der gern kolportierten Geschichte vom reichen Ostrentner.


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