Blühende Landschaften im Osten versprach Helmut Kohl vor 30 Jahren. Das Ergebnis ist bekannt. Derzeit sieht es aber so aus, als könnte – Ironie der Geschichte – Kohls Versprechen 30 Jahre später doch noch eingelöst werden: Die Elektromobilität blüht im Osten Deutschlands. Nicht nur baut Tesla in Grünheide bei Berlin das größte Werk für E-Autos in Europa, Ostdeutschland insgesamt entwickelt sich zum europäischen Schwerpunkt beim Elektroantrieb.
BASF baut in Brandenburg gerade ein Werk zur Kathodenfertigung, zwei der größten chinesischen Batteriehersteller errichten Fabriken in Sachsen-Anhalt und Thüringen, die US-Firma Microvast produziert bereits in Ludwigsfelde, bei Tesla in Grünheide sollen ab dem Sommer eine halbe Million Fahrzeuge vom Band laufen, anderthalb Jahre nach Baubeginn. Dort plant Elon Musk in einer weiteren Ausbaustufe auch die größte Batteriefabrik Europas. Bis 2023 ist eine Produktionskapazität von 100 Gigawattstunden geplant, die später auf 250 Gigawattstunden erhöht werden soll.
An der Entwicklung lässt sich ablesen, dass die Elektromobilität nun Fahrt aufnimmt. Die Autokonzerne erhoffen sich einen E-Auto-Boom und sind auf der Suche nach der Perpetuierung ihres Geschäftsmodells, Millionen Fahrzeuge an Endverbraucher zu verkaufen. Elektroautos sind vergleichsweise einfach konstruiert, die größte technische Herausforderung ist die Batterie. Sie wird zur Schlüsseltechnologie, weil sie für Gewicht und Reichweite entscheidend ist. Und für die Gewinnspannen der Hersteller.
Verbaut werden derzeit vor allem Lithium-Ionen-Akkus, nicht viel anders als diejenigen in Smartphones und Laptops. Maßstab für die Qualität der Batterien ist deren Energiedichte, also die Menge an Energie, gemessen in Kilowattstunden (kWh), die pro Gewichtseinheit gespeichert werden kann. „Batterien sind die strategische Komponente des Elektroautos. Daher ist es höchst sinnvoll, dies in Eigenregie zu machen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen. Wer die besten Batterien baut und diese gewinnbringend und in großer Stückzahl auf den Weltmarkt bringen kann, dürfte die Automobilindustrie für das nächste Jahrzehnt dominieren.
Dieses Rennen aber ist noch nicht entschieden: Die Entwicklung bei der Batterietechnik ist im Gegensatz zum weitgehend ausentwickelten Verbrenner hochdynamisch. Effizienzsteigerungen bei der Zellproduktion, höhere Energiedichten, Einsparungen bei der Integration von Zellen in Batteriepacks und die Entwicklung selbsttragender Batteriepacks sind nur einige Aspekte, bei denen es noch viel Optimierungspotenzial gibt.
Ein, zwei, viele Grünheides
Das wirkt sich auch auf die Preise aus. Kostete die 40-kWh-Batterie des ersten Tesla-Modells S aus dem Jahr 2012 noch 23.000 Euro, werden für einen vergleichbaren Energiespeicher heute nur noch rund 3.000 Euro fällig. Laut Bloomberg ist der Preis für Lithium-Ionen-Akkus seit 2010 real um 89 Prozent gesunken, noch vor 2024 wird Prognosen zufolge die Marke von 100 US-Dollar pro kWh erreicht sein, ein Wert, bei dem E-Autos endgültig auch in der reinen Anschaffung günstiger als vergleichbare Verbrenner werden.
Batterieherstellung ist ein hoch automatisierter Prozess, Panasonic (Japan), Tesla (USA) und CATL (China) sind die Marktführer, Asien dominiert mit mehr als 80 Prozent Anteil den Weltmarkt. Von den zehn größten Herstellern stammen die meisten aus China, gefolgt von Korea, Japan und den USA. In Europa besteht derzeit eine Fertigungskapazität von 30 Gigawattstunden gegenüber 345 Gigawattstunden in Asien. Die weltweite Nachfrage wird voraussichtlich von 142 Gigawattstunden im Jahr 2018 auf 2.333 Gigawattstunden im Jahr 2030 steigen, das entspricht etwa 100 Großanlagen zur Batterieherstellung.
China plant dreimal mehr Batteriefabriken als der Rest der Welt zusammen. Von den weltweit 70 angekündigten Gigafabriken befinden sich 46 in China. Auch bei der Lade-Infrastruktur kann das staatliche Infrastrukturprogramm punkten, in China stehen dreimal mehr öffentliche Ladestationen als in den USA. Tesla baut derweil sein Werk im brandenburgischen Grünheide, das einmal das größte Industrieunternehmen der Hauptstadtregion sein wird. VW versucht mittlerweile, Tesla einzuholen und zu überholen, den anderen steht eine Mischung aus überstürztem Aufspringen auf den Zug und Verlusten von Marktanteilen bevor. Auch die größte Batteriefabrik Deutschlands soll in einer nächsten Ausbaustufe in Grünheide entstehen, bis 2023 sind 100 Gigawattstunden anvisiert, genug für 1,4 Millionen Autos, später dann ein Ausbau auf bis zu 250.
Deutsche Unternehmen winkten beim Thema Batteriezellfertigung lange ab, Zulieferer Bosch waren die Markteintrittskosten zu hoch, und Daimler sah die Batterien als Gimmick, das man besser billig in Asien zukauft. Spätestens 2020 wurde klar, dass das ein Fehler war.
VW verkündete am 15. März bei einem von Tesla inspirierten „Power Day“, allein in Europa bis 2030 sechs Gigafabriken mit einer Gesamtkapazität von 240 Gigawattstunden bauen zu wollen. Gleichzeitig wird die Produktion einer einheitlichen Batteriezelle, die in 80 Prozent aller Fahrzeuge des VW-Konzerns zum Einsatz kommen soll, angestrebt – bei möglichst hohen Eigenanteilen an der Wertschöpfung und besonderem Augenmerk auf dem Recycling. Denn nur mit immens großen Stückzahlen lässt sich in Zukunft mit Batterien Geld verdienen und gleichzeitig das Ziel, die Kosten der Batterie um bis zu 50 Prozent zu senken, erreichen. Kommt der Schwenk noch rechtzeitig?
Teslas Entscheidung für Grünheide – das heißt auch: für Brandenburg – hatte Signalwirkung. 50 Kilometer von Tesla entfernt baut die BASF SE in Schwarzheide ein Werk für Kathodenfertigung und Batterie-Recycling. Im brandenburgischen Ludwigsfelde wiederum weihte im Januar 2021 der US-amerikanische Batterieproduzent Microvast seine Europa-Zentrale ein. Angepeilt ist dort die Produktion einer halben Million Batteriemodule mit einer Gesamtkapazität von acht bis zwölf Gigawattstunden pro Jahr. „Wir hatten mehr Anfragen nach möglichen Investitionen in Brandenburg als jemals zuvor – und das alles mitten in einer Pandemie“, sagt Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach.
In der thüringischen Haupstadt Erfurt baut der größte chinesische Hersteller CATL derweil ebenfalls eine Batteriefertigung auf. Erster Kunde für die ab 2021 anlaufende Zellproduktion ist die BMW Group, die Zellen im Wert von 1,5 Milliarden Euro bestellt hat. Der europäische Ableger des chinesischen Batteriezellen-Herstellers Farasis Energy etabliert sich in Sachsen-Anhalt. Das Werk in Bitterfeld-Wolfen soll 2022 fertig werden und ist für eine Kapazität von 16 Gigawattstunden ausgelegt. Beliefert werden soll unter anderem Mercedes-Benz, das eine Minderheitsbeteiligung hält. Dazu kommen Produktionsstätten im sächsischen Zwickau (ein VW-Werk für die ID3-Produktion), während in Leipzig BMW ab Mitte 2021 Batteriemodule für die Hochvoltbatterien der elektrifizierten Fahrzeuge der BMW Group in Großserie produzieren will.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kann einem trotzdem leidtun. Wollte er doch, dass wir „Weltmeister werden im Bau von umweltfreundlichen, nachhaltigen Fahrzeugen, mit denen wir unsere CO₂-Klimaziele erreichen können“. Nur um festzustellen, dass die Industrie nicht mitspielen wollte, die Infrastrukturen das nicht hergeben oder Entwicklungen schlicht verschlafen wurden. Jetzt versucht Altmaier diese Defizite mit staatlichen Initiativen, üppigen Forschungsgeldern und vollmundigen Absichtserklärungen wettzumachen, mit durchwachsenem Erfolg.
Wie man Industriepolitik in Sachen E-Mobilität allerdings nicht anpacken sollte, zeigt das Beispiel der „Forschungsfertigung Batteriezelle“ (FFB) in Münster. Hier wollte man die gesamte Wertschöpfungskette rund um Batteriezellenfertigung erforschen. 500 Millionen gab es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, noch mal 200 Millionen vom Land Nordrhein-Westfalen. Der Streit begann schon mit der Standortwahl, fiel die Wahl doch auf Münster, den Wahlkreis von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Mittlerweile ist das Projekt auf Eis gelegt, Unternehmen wandten sich ab, zu spät, zu unkonkret sei die Planung. Ein Branchenvertreter sagte gegenüber dem Tagesspiegel: „Man sollte jetzt die Reißleine ziehen und neu überlegen, wozu die FFB bis zum Ende des Jahrzehnts einen Beitrag leisten könnte.“
Der Batterie-Airbus
Die EU versucht ebenfalls, der asiatischen Dominanz im Bereich Batterien gegenzusteuern. 2019 stellte sie für ein „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse“ 3,2 Milliarden Euro an Förderungen bereit, sieben Länder und 17 Unternehmen sollten die Forschung und Innovation in der Batteriezellfertigung weiterbringen. 2021 folgte eine zweite Runde, nun sind es 42 Unternehmen aus zwölf EU-Ländern, die in einem „European Battery Innovation“-Vorhaben zusammenarbeiten sollen. Es gibt fast drei Milliarden an Fördermitteln, die deutsche Bundesregierung übernimmt die Koordination.
„Deutsche Ingenieure müssen sich jetzt mal steigern“, meint der US-Ökonom Jeffrey Sachs. Unter dem Eindruck der Kehrtwende in der Energiepolitik, die sich mit der neuen US-Administration ankündigt, müssen Deutschland und Europa seiner Ansicht nach schleunigst Gas geben, ein Datum für den Ausstieg aus Kohle und Verbrenner bestimmen.
Im Osten Deutschlands entsteht im Fahrwasser der Tesla-Investition in Grünheide eine ganz neue industrielle Landschaft. An den traditionellen Autoländern in Süddeutschland geht der Trend jedoch vorbei. Es sieht derzeit so aus, als würden die klassischen Standorte ihre führende Rolle verlieren, hat man doch in den Konzernzentralen in Stuttgart, München und Ingolstadt den Elektro-Trend verschlafen.
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