Ebola in Afrika: Gefahr erkannt, wenig getan

Epidemie-Bürokratie Die Ebola-Seuche breitet sich weiter aus. Während sich die Helfer vor Ort aufopfern, wird ein Teil der Hilfe in der Bürokratie aufgerieben. Ein Kommentar in Wort und Bild

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So (University Medical Center in Groningen) sollte es sein, doch die Realität sieht vielerorts anders aus
So (University Medical Center in Groningen) sollte es sein, doch die Realität sieht vielerorts anders aus

Foto: REMKO DE WAAL/ AFP/ Getty Images

Als im März diesen Jahres die ersten Meldungen über einen erneuten Ausbruch der Ebola-Seuche in West-Afrika die Runde machten, waren die Reaktionen noch mannigfaltig und von Aktionismus geprägt: Es galt, der Epidemie in kürzester Herr zu werden, bevor ein kritisches Ausmaß der Ausbreitung eine Eindämmung der Krankheit unmöglich machen würde. Über ein halbes Jahr später droht Ebola nun den Kampf zu gewinnen.

Mitte Oktober meldete die ARD tagesschau, dass den Hilfsorganisationen in den betroffenen Regionen inzwischen das Geld für die lokalen Hilfskräfte ausgeht. Die Helfer gehen oftmals völlig unzureichend geschützt von Haus zu Haus und holen die sterblichen Überreste der Ebola-Opfer ab. Neben der psychischen Belastung durch die Arbeit mit Leichen und den Anfeindungen der Bevölkerung, leben die Helfer mit der ständigen Angst vor einer Infektion. Nun droht an vielen Stellen diese wichtige Arbeit wegzubrechen, weil die Löhne ausbleiben.

Soforthilfe kommt nicht an
Merkwürdig an der Meldung ist, dass die deutsche Bundesregierung noch im Oktober vermeldete, dass im laufenden Jahr gut 18 Millionen Euro an Soforthilfe bereitgestellt würden. Davon wurden etwa 6 Millionen Finanzhilfe zweckgebunden für die Bezahlung eben jener Hilfskräfte an die übrigens finanziell äußerst klamme WHO überwiesen.

Wer sich ernsthaft bemüht, die Zahlen nachzuprüfen und die versprochenen Hilfen chronologisch zu ordnen, muss sich auf lange Recherche-Nachtschichten einstellen.

Die Meldungen über Willensbekundungen schwanken von 16 Millionen, dann wird auf 7 Millionen zurück gerudert, eine Woche später verspricht die Bundesregierung insgesamt 18 Millionen Euro. Inzwischen verspricht das Auswärtige Amt ein Gesamtvolumen von 100 Millionen in Form von Material, Personal und finanzieller Unterstützung.

An großen Zahlen mangelt es also nicht. Warum kann sich das Virus trotzdem nahezu ungehindert ausbreiten?`

WHO und Ärzte ohne Grenzen: Bürokraten vs. Praktiker
Im August schloss die WHO ein Labor für Tropenkrankheiten in Sierra Leone, nachdem sich ein Mitarbeiter infiziert hatte – im Zentrum der Epidemie und während zigtausende Erkrankte und Gefährdete gegen die Seuche kämpften.

Das mag zunächst als sinnvolle Schutzmaßnahme betrachtet werden. Allerdings hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) in der gleichen Zeit ihre Kräfte vor Ort verstärkt und die Maßnahmen zur Bekämpfung nach Möglichkeit noch ausgebaut. Schon im Dezember 2013, als die ersten Fälle von Ebola bekannt wurden, schlugen die MSF Alarm – während die WHO sich noch in statistischer Sicherheit wog: Zu wenig Fälle, noch keine Epidemie-Warnung.

Gelassen gegen jede Vernunft
Diese erstaunlich gelassene Reaktion seitens der WHO zieht sich wie ein roter Faden durch das Jahr. Die Gesundheitsorganisation bekämpft Ebola lieber mit den Mitteln der Bürokratie: Man zählt die Toten und warnt vor Reisen in die betroffenen Länder. Die Zahl derer hat sich seit Beginn 2014 auf sechs verdoppelt: Sierra Leone, Liberia, Guinea, Mali, Senegal, Nigeria.

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Diese Karikatur habe ich bereits am 06. September gezeichnet – vor beinahe zwei Monaten. Es konnte ja keiner ahnen, wie zeitlos diese Zeichnung ist. Denn es hat sich seitens der WHO inzwischen nichts Nennenswertes an Hilfsmaßnahmen ergeben, während die Ärzte ohne Grenzen täglich bei der Arbeit vor Ort unter mittelalterlichen Behandlungsbedingungen ihr Leben riskieren. Nun ist es nicht so, dass unsere Bundesregierung nur die WHO mit Geld versorgt hätte. Auch andere Hilfsorganisationen, darunter die Ärzte ohne Grenzen, erhalten Finanz- und Sachhilfen.

Die zentrale Frage lautet vielmehr, etwas überspitzt: Wie viele Amerikaner und Europäer müssen an Ebola sterben, bis die WHO endlich auf die Epidemie in Afrika reagiert?

Panik-Festung Europa
Während die Seuche in Afrika wütet, schotten sich die reichen Länder in Europa und Amerika zunehmend ab. Erste Ansteckungs-Fälle auf heimischem Boden versetzten die USA buchstäblich über Nacht in eine kopflose Medienhysterie mit den üblichen reaktioären Panik-Mustern: Einige fordern nun Einreiseverbote für Schwarze, andere vermuten Infektionsrisiken durch illegale Einwanderer aus Mexiko. In Europa reagiert man nicht weniger hilflos: Verdachts- und tatsächliche Fälle in Deutschland, Frankreich, Spanien und Dänemark führten unweigerlich zu Zwischenrufen der Einwanderungsgegner und schnell wurde aus einer sachlichen Frage über Schutzmaßnahmen gegen eine Epidemie eine sinnfreie Diskussion über Armutsflüchtlinge als Seuchenträger.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Ebola wütet in Westafrika, die meisten Armutsflüchtlinge aus Afrika stammen jedoch aus dem Osten und der Mitte des Kontinents. Abgesehen davon, dass dazwischen tausende von Kilometern liegen, schaffen es nur starke, gesunde Menschen die Strapazen dieser oft wochenlangen Odyssee zu überstehen. Außerdem würden diese Menschen betroffene Regionen logischerweise lieber meiden, um sich nicht unnötig einer Ansteckungsgefahr auszusetzen.

Import von Infektionen
Viel wahrscheinlicher ist eine Übertragung hierzulande wie kürzlich in Spanien und zuvor schon in den USA geschehen: In den USA war das Personal nur unzureichend auf den Ernstfall vorbereitet und waren nachlässig im Umgang mit dem Quarantäne-Patienten.

In Spanien war die Infektion einer behandelnden Krankenschwester schlichtweg eine logische Folge einer systematischen Schieflage. Denn unser europäischer Partnerstaat wurde im Zuge der Finanzkrise 2008 zur derart drastischen Renovierungsmaßnahmen gezwungen, dass der Gesundheitssektor ähnlich wie der Arbeitsmarkt komplett zerschossen wurde. Die Krankenhäuser in Spanien laufen gewissermaßen auf Notstrom. Viele Spezialabteilungen wurden geschlossen, Geräte verkauft und in einigen Regionen wurde gleich die komplette Klinik zugemacht – was natürlich eine zusätzliche Belastung für die verbliebenen Häuser mit sich führt. So konnten die Spanier ihren Ebola-Patienten nur isolieren – und mit Aspirin behandeln. Da raufen sich sogar medizinische Laien fassungslos die Haare.

Nun könnte man anmerken, dass es nicht besonders sinnvoll erscheint, Ebola in Form von Infizierten regelrecht zu importieren. Zudem sind auch hierzulande die gut ausgestatteten Spezialabteilungen für Tropenkrankheiten dünn gesät. Aber dies nur am Rande.

Maßnahmen ersetzen keine Grundlagen
Entscheidend für eine erfolgreiche Bekämpfung einer Epidemie sind drei Faktoren: eine aufgeklärte Bevölkerung, eine zeitnahe konsequente Quarantäne von Verdachtsfällen und ein effizientes Gesundheitssystem. Ich sehe da für Deutschland an mindestens zwei Punkten empfindliche Schwächen. Der Informationsstand der breiten Bevölkerung kann nicht besser sein als der ihrer Politiker und Experten. Wenn sich also die Entscheider nicht einig sind, was zu entscheiden ist, macht sich Unsicherheit breit. Das kann man seit einigen Wochen eindrucksvoll an den Schlagzeilen ablesen. Dass wir uns in Deutschland mittlerweile dem traurigen spanischen Standard für Krankenhäuser annähern, wird im Zweifelsfall zu ähnlichen Problemen führen.

Global denken, lokal handeln
Daraus ergeben sich zwei dringende Konsequenzen: Erstens die Bekämpfung der Ebola-Epidemie in West-Afrika vorantreiben und bereits aktive Helfer vor Ort mit Sach- und Geldleistungen unterstützen. Zweitens dem Niedergang der Versorgungs-Qualität in europäischen Krankenhäusern schnell und nachhaltig entgegenwirken. Dafür ist maßgeblich entscheidend, dass man die Bürokratie im Gesundheitswesen abbaut, wo sie ein Hemmnis darstellt – zum Vorteil einer zeitnahen Hilfe und Kostenübernahme im Krankheitsfall.

Nur mit einer soliden, belastbaren Grundstruktur im Gesundheitssektor werden wir auch in Zukunft in der Lage sein, uns selbst zu schützen und anderen zu helfen.

Quellen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/hilfe-der-bundesregierung-ebola-beauftragter-lindner-warnt-vor-mega-aufgabe-1.2165844

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42999/1.html

http://www.heute.de/ebola-infektion-in-spanien-behoerden-unter-druck-35347464.html

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/ebola-klinik

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/diseases/ebola

http://www.stern.de/gesundheit/ebola-90410336t.html

http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/news/zu-diesen-zwischenfaellen-fuehrte-die-angst-vor-ebola-aid-1.4586589

http://www.raab-verlag.de/informationen-aerzte-ohne-grenzen

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/article/fragen-und-antworten-zum-ebola-ausbruch-westafrika-2014

http://www.bbc.com/news/world-africa-28755033

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/09/2014-09-17-ebola.html

http://www.sfgate.com/news/article/Plane-cleaners-strike-at-1-NYC-airport-terminal-5811370.php

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/node/7571

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/HumanitaereHilfe/AktuelleArtikel/140804_Ebola.html

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ebola-epidemie-sorge-vor-ebola-ausbreitung-steigt-13213888.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

Timo Essner

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