Fremde Mieter unerwünscht

Wohnungen & Einwanderung Das Jahr der Flüchtlingskrise ist vorbei und die Unterkünfte werden knapp. Gleichzeitig stehen in Deutschland Millionen Wohnungen leer. Ein Kommentar in Wort und Bild

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Das erste Jahr der Flüchtlingskrise ist vergangen und langsam wird der Raum in den Erstaufnahmeeinrichtungen knapp. Etwa 1,1 Millionen Flüchtlinge kamen laut Bundesinnenminister Thomas De Maizière 2015 nach Deutschland, längst sind die eilig errichteten und frei gemachten Notunterkünfte überfüllt. Gleichzeitig stehen in Deutschland etwa 1,5 Millionen Wohnungen leer.

Die wenigen Einwanderer, die etwa als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden, dürfen sich inzwischen eine eigene Wohnung suchen. Das Problem ist nur: Sie finden keine.

Meine Nachbarn: 20 Mann in 3 Zimmern

Neuerdings habe ich Flüchtlinge als Nachbarn. Nette Jungs, betont zurückhaltend und höflich – sie wären ein echter Kulturschock für besorgte Bürger, entsprechen sie doch bis auf Haar- und Hautfarbe überhaupt nicht dem gängigen Klischee des arroganten frauengrapschenden Muselmanen.

Mitunter wuselten in der eher kleinen Wohnung erstaunlich viele Flüchtlinge aus aller Herren Länder durcheinander, besonders in den Stoßzeiten; Flensburg war für die wenigsten Flüchtlinge die erklärte Traumstadt, sondern eher eine Zwischenstation für Menschen mit dem Wunschziel Schweden. Als unsere skandinavischen Nachbarn die Grenzen dicht machten, wurde es eine Zeit lang sehr lustig bei uns im Hof.

In diesen Wochen wohnten die Flüchtlinge öfter mehrere Tage lang mit zwanzig Mann oder mehr in einer Dreizimmerwohnung. Dabei ist Flensburg für seinen Leerstand regelrecht berühmt – manchmal schimmeliger Leerstand, aber ein guter Anteil der Wohnungen ist für Hartz-IV-Empfänger schlicht zu teuer und für Arbeitnehmer mit einem Durchschnittsgehalt nicht bezahlbar.

Wenn Flüchtlinge Wohnungen kaufen wollen

Vor einigen Wochen traf ich meinen Nachbarn auf dem Weg durch die Stadt. Er ist Syrer, aus Aleppo, das weiß ich inzwischen. Er stand vor einem mehrstöckigen Haus – im Erdgeschoss ein Imbiss, in den oberen Stockwerken Wohnungen – und suchte offenbar nach etwas. Mit Händen und Füßen und in gebrochenem Deutsch, das interessanterweise besser ist als sein Englisch, konnte er mir erklären, er wolle das Haus kaufen und versuchte, den Besitzer ausfindig zu machen. Im ersten Moment war ich baff. Der Flüchtling will das Haus kaufen? Im zweiten Moment wurde mir klar: Auch reiche und wohlhabende Menschen fliehen vorm Krieg, wenn nicht sogar vor allen anderen. Vielleicht hatte er ja tatsächlich das nötige Kleingeld.

Was ein Grundbuch ist, habe ich ihm wohl nicht klar machen können – mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob gegen den Kauf von Immobilien durch Kriegsflüchtlinge nicht irgendeine bürokratische Fußangel existiert. So versuchte ich ihm die subtileren Feinheiten der deutschen Bürokratie näher zu bringen, indem ich mit ihm im Internet einen etwas detaillierteren Baurechner durchging.

Ich hatte keine Ahnung, ob das Haus überhaupt zum Verkauf stand – entscheidend war, ihm zu erklären: DA musst du zu einem Anwalt, der kostet Geld; DA musst du zum Gericht, Gebühren zahlen; DAFÜR brauchst du einen Notar, der will auch bezahlt werden. Er verstand und nickte. Zum Ende hin immer langsamer und weniger motiviert. Offenbar geht ein Häuserkauf in Syrien leichter vonstatten.

Integration beginnt mit einer festen Bleibe

Das liegt nun schon länger zurück und ich hätte gar nicht weiter darüber nachgedacht, hätten sich nicht seit Kurzem wieder die Meldungen zu dem merkwürdigen Widerspruch aus Wohnungsleerstand und Notstand bei der Flüchtlingsunterbringung gehäuft. Denn in vielen Fällen scheitert die Integration offenbar bereits am Wohnungsmarkt, wie auch das politische Satire-Magazin „quer“ vom BR feststellt.

Eingebetteter MedieninhaltKarikatur: „Mohammed ist als Mieter unerwünscht“; Quelle: www.timoessner.de

Im Beitrag „Wohnungskampf: Anerkannte Asylbewerber finden keine Bleibe“ vom 28.01.2016 besucht das Magazin eine Gruppe Flüchtlinge. Vierundzwanzig Personen teilen sich ein Haus, zu viert oder fünft schlafen sie nachts in je einem Zimmer. Privatsphäre? Fehlanzeige. So bestätigt der 27-jährige Ibrahim, der sich als anerkannter Flüchtling eine Wohnung suchen dürfte und diese auch vom Amt bezahlt bekäme: „Vielleicht 80 Prozent, sie sagen: ‚Für Flüchtlinge – nein‘.“

Eingebetteter Medieninhalt

Das andere Extrem: Goldgrube Flüchtling

Andere Vermieter haben da weniger Skrupel, wie man unlängst lernen durfte. So entdeckten einige Immobilienbesitzer im Tagesgeld für Flüchtlingsunterkünfte eine wahre Goldgrube. Wir erinnern uns an die Berichte über schlichtweg chaotische Zustände am Berliner LaGeSo, eine Kontrolle der Unterkünfte stand da lange Zeit ganz weit unten auf der Liste. Nach einigen Wochen wurden kritische Stimmen lauter, die vorrechneten, „wie Vermieter in Berlin Flüchtlinge abzocken“ – und damit letztlich den Steuerzahler; die Folge waren unrealistisch aufgeblähte Wohnkosten für teilweise unbewohnbare Flüchtlingsunterkünfte. Das schadet gleich doppelt: Denn die extremen Kosten schüren einerseits weiter fremdenfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung und binden andererseits hohe Geldsummen, die andernorts für die Flüchtlingshilfe dringend fehlen.

Dabei war Berlin längst kein Einzelfall. Auch der Bayrische Rundfunk berichtete bereits im Juni 2015 im Magazin „report München“ von einem Tagegeld von 28 Euro pro Person. Der geneigte Leser kann sich ausmalen, in welchen Bruchbuden die Flüchtlinge untergebracht wurden oder – falls die Phantasie nicht ausreicht – den Beitrag noch einmal anschauen. Mit dem Titel „Abgewohntes Haus, große Miete: Das Geschäft mit Flüchtlingsunterkünften“ trifft es die Redaktion schon ganz gut:

Bis zu 80 Personen teilen sich eine Behausung, die höchstens als bessere Baustelle bezeichnet werden kann, und eine einzige Dusche, die nicht richtig funktioniert. Bei den Szenen fühlte ich mich an „Ganz unten“ von Günter Wallraff erinnert.

Eingebetteter MedieninhaltKarikatur: „Das Amt zahlt“; Quelle: www.timoessner.de

Die Städte und Gemeinden waren selten blind für die Wirklichkeit, sondern hatten einfach zu wenig Zeit, um rechtzeitig zu reagieren. So wurden die Flüchtlinge zunächst vorübergehend untergebracht – wie auch immer – und in der Zwischenzeit händeringend nach dauerhaften Lösungen gesucht. Da allerdings wenige Vermieter freiwillig an Flüchtlinge vermieten mögen, wurde vielerorts notgedrungen auf Wohncontainer zurückgegriffen.

Folgerichtig schlagzeilte die Welt im Oktober 2015: „Containerhersteller verzehnfachen Preise für Unterkünfte“; trotzdem waren Wohn-Container bereits im November Mangelware.

In Berlin hat das LaGeSo inzwischen die Tagesätze gekürzt und fordert in einigen Fällen Rückzahlungen von Vermietern, außerdem hat der Senat Wirtschaftsprüfer eingesetzt.

Beschlagnahmungen und Bürgerengagement

Die Frage um Wohnraum für Flüchtlinge wurde gegen Ende 2015 schließlich so dringend, dass etwa zur selben Zeit einige Bürgermeister und Bürgerinitiativen bereits begannen, laut darüber nachzudenken, ob man in Ausnahme- oder Härtefällen nicht sogar Häuser beschlagnahmen sollte – und sie taten es. Frei nach dem Motto „Wohnraum für Flüchtlinge: Endlich Kampf gegen Leerstand“ könne man so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Dringend benötigten Wohnraum schaffen und gleichzeitig der Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken. Böse Zungen unkten gar, in Ostdeutschland stünden ganze Ortschaften frei, die seit der Landflucht nach der Wende regelrecht aussterben. Nicht zuletzt würde die Frage auch die vielen ehrenamtlichen Helfer entlasten, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung längst zu regelrechten Integrationsmanagern geworden sind und neben Behördengängen die Flüchtlinge auch bei der Wohnungssuche unterstützen. Jeder, der einmal auf Wohnungssuche war, weiß wie anstrengend es sein kann. Das zusätzlich zu all den anderen Aufgaben für gleich mehrere Leute zu erledigen? Ein Wahnsinn.

Ehrenamtliche Helfer können nur eine Übergangslösung sein

Langfristig muss man die ehrenamtlichen Helfer durch festangestelltes und entsprechend finanziertes Fachpersonal ersetzen. Es kann nicht die Aufgabe der Zivilbevölkerung sein, staatliche Aufgaben zu übernehmen und chronisch strukturelle Defizite auszugleichen. Das Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe bindet seit gut einem Jahr etwa 700.000 Menschen nahezu in Vollzeit ein.

Diese Menschen haben Familie, Jobs und ein Privatleben, die sie teilweise oder vollkommen dem ehrenamtlichen Engagement unterordnen. Das ist ehrenhaft, aber unbezahlt.

Jobmotor Flüchtlingskrise

Es zeigen sich erfreulicherweise erste positive Impulse mit Tiefenwirkung als direkte Folge aus der Arbeit mit Flüchtlingen. So freute sich das Flensburger Tageblatt kürzlich, die „Flüchtlingskrise beschert Flensburg mehr als 100 Jobs“ und zählt dazu auf:

„Je 20 neue Arbeitsplätze bei Arbeiterwohlfahrt (Awo) und Diakonischem Werk, allein rund 50 zusätzliche Stellen bei der Stadt und weitere bei der Arbeitsagentur, im Jobcenter, in den DaZ-Zentren (Deutsch als Zweitsprache) der Schulen oder im Bewachungsgewerbe: Die Flüchtlingskrise hat in Flensburg seit dem Herbst bereits eine dreistellige Zahl neuer Arbeitsplätze geschaffen.

Das Tageblatt verweist als Beispiel auf drei Mitarbeiterinnen, die selbst einst als Ausländer nach Deutschland kamen und heute ihr eigenes Geld damit verdienen, die neuen Einwanderer bei ihrer Integration zu unterstützen. Dieses Modell verspricht sich langfristig in vielen Bereichen positiv auszuwirken, denn eine professionelle Flüchtlingshilfe ist vor allem wichtig in drei essentiellen Bereichen der Integration: Erstens als Kultur- und Sprachmittler, also als „Brücke“ zwischen Einwanderern und Eingesessenen. Denn selbstverständlich gibt es anfangs Reibungspunkte, die nur durch gegenseitiges Kennenlernen gelöst werden können, und dafür ist die Sprache eine wichtige Basis. Zweitens als Ansprechpartner für offizielle Fragen und Behördengänge. Drittens und nicht zuletzt als Vorbilder – denn an diesen Beispielen integrierter Ausländer sehen die Neuankömmlinge, dass sie es in Deutschland zu etwas bringen können, für eine gute Leistung Wertschätzung und Respekt ernten können und sich ein eigenes Leben aufbauen können – in einer lebenswerten Wohnung.

Wohnraum für Flüchtlinge: So können Sie helfen

Der WDR hat in einem Beitrag der Sendung „Servicezeit“ eine Reihe guter Ratschläge gesammelt, wie man einen Flüchtling in einer privaten Wohnung aufnehmen kann, ohne etwa juristische Konsequenzen fürchten zu müssen. Der Beitrag „Wohnungen an Flüchtlinge vermieten: So können Sie konkret helfen“ geht dabei etwas detaillierter auf das Thema ein. Wer sich also direkt in seinem Heimatort engagieren möchte und noch ein Zimmer oder sogar eine Wohnung zur Verfügung stellen kann, hilft den integrationswilligen Gästen ganz entscheidend mit auf den Weg in einen selbstständigen Alltag in Deutschland.

Musik-Tipp: Georg Kreisler - Der Ausländer

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

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