Glyphosat im Bier

Gift & Reinheit Seit einigen Tagen kursiert die Meldung: Glyphosat im Bier! Während der Agrarminister Entwarnung gibt, schlagen Umweltverbände Alarm. Ein Kommentar in Wort und Bild

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Glyphosat im Bier

Foto: torange.biz / CC

Vor einigen Tagen ließ das Münchner Umweltinstitut verlauten, dass Proben verschiedener Biersorten erhöhte Werte des Pflanzengifts Glyphosat aufweisen.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hält lt. Süddeutscher Zeitung die „Rückstände für erwartbar und unbedenklich“.

Eingebetteter MedieninhaltKarikatur: „Glyphosat im Bier“; Quelle: www.timoessner.de

Verbraucher und Medien nehmen die Meldung nicht ganz so leicht: Die Medien einerseits, weil sie das Thema Glyphosat bereits länger beobachten und der Einschätzung von Industrie und Politik dazu längst nicht mehr trauen.

Die Verbraucher andererseits, weil ihnen klar ist, dass tonnenweise Chemikalien auf den Äckern, die unsere Nahrungsmittel hervorbringen, nicht bis zur Ernte spurlos verschwinden. Zudem haben zahllose Skandale der Nahrungsmittelindustrie, der chemischen und der pharmakologischen Industrie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gezeigt, dass sich Langzeitvorsorge und Nachhaltigkeit in der Regel einem schnellen Profitstreben beugen müssen.

Die Rolle der Verbraucherschützer

Das Bundesinstitut für Risikobewertung legt diesbezüglich ein besonders trauriges Schauspiel vor. Ungeachtet der Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eine klare krebserzeugende Wirkung des Pflanzengifts nachweist, stützt sich das BfR in erster Linie auf Studien der Industrie – mit erwartbarem Ergebnis. So behaupten die obersten Verbraucherschützer in Deutschland entgegen der vermutlich in den Augen des BfR inkompetenten WHO, unter Berufung auf die Hersteller des Pflanzengifts, mit Glyphosat wäre alles in Ordnung und die WHO würde unwissenschaftlich argumentieren:

„(Ist) die Einstufung von Glyphosat als Kanzerogen Gruppe 2A (probably carcinogenic to humans, wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen) für das BfR auf Basis der vorliegenden Informationen wissenschaftlich schlecht nachvollziehbar und offenbar nur mit wenigen Studien belegt.“ („Löst Glyphosat Krebs aus?“ Mitteilung 007/2015 des BfR vom 23. März 2015)

Diese Strategie ist laut eines Kommentators im „Deutschlandfunk“ am 26.02. typisch für die Industrie: Man legt eigene (gekaufte) Gutachten vor, die bis zum letzten verteidigt werden, während man bei Gegengutachten das Haar in der Suppe sucht.

Dabei hat das MDR-Magazin „fakt“ spätestens im Oktober 2015 in einem Bericht über den BfR-Bericht zu Glyphosat belegt: „Bundesinstitut hat falsch informiert“

Grenzwerte für Glyphosat

Einen Grenzwert für Glyphosat im Bier gibt es übrigens derzeit nicht. Die MRL-Liste der EU umfasst eine ganze Reihe von Produkten, in der Regel Obst und Gemüse, für alle nicht gelisteten Produkte wird stattdessen auf den „Rückfallwert“ zurückgegriffen, wie das Magazin „quer“ des Bayrischen Rundfunks sehr schön erklärt: „Von wegen Reinheitsgebot“ (Video, ca. 5 Min.)

Es gibt also einen allgemeinen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm (µg), sowie spezifische Grenzwerte für bestimmte Produkte, in der Regel zwischen 0,05 Milligramm pro Kilo (mg/kg) bei Fleischprodukten und 0,1 mg/kg bei Obst, Gemüse und auch Hopfen.

Schaut man jedoch bei anderen Grundprodukten für Bier, liegen die Grenzwerte dagegen weitaus höher: 10 mg/kg bei Roggen (Listennummer 0500070) und sogar 20 mg/kg für Gerste (Listennummer 0500010).

Hier lauert übrigens eine Umrechnungsfalle: Die Werte für Glyphosat im Bier werden derzeit mit „bis zu 30 µg“ angegeben. 1 µg entspricht 1/1000 mg. Die EU beziffert die Grenzwerte dagegen in mg/kg. Demzufolge liegt die ADI (Acceptable Daily Intake = vertretbare Menge der täglichen Einnahme) für einen Erwachsenen bei 0,3 mg/kg, also 300 µg/kg.

Wie Landwirtschaftsminister Christian Schmidt erklärte, müsste man täglich 1000 Liter Bier konsumieren, um den Grenzwert zu überschreiten. Tatsächlich müsste man vom höchstbelasteten Bier 10 Liter (10 x 30 µg = 0,3 mg), multipliziert mit dem Körpergewicht in Kilo konsumieren, um den Grenzwert zu erreichen.

Eine Bemerkung zu Grenzwerten

Was der Landwirtschaftsminister in seiner Hilflosigkeit vergessen hat zu erwähnen: Glyphosat ist längst auf einer Vielzahl von Produkten und damit buchstäblich in aller Munde. Wie viel kommt da wohl über den Tag zusammen, wenn Sie Brot aus mit Glyphosat behandeltem Getreide frühstücken, dazu Milch trinken, deren Erzeuger ebenfalls mit pestizidbelastetem Kraftfutter versorgt werden, etwas Hochglanzobst vom Discounter bei der Arbeit naschen und Ihr Abendbrot mit Gemüse von heimischen Hochleistungsäckern und einem Gruß aus der chemischen Küche zubereiten?

Eingebetteter MedieninhaltKarikatur: „Monokultur“; Quelle: www.timoessner.de

Außerdem muss ich an dieser Stelle alle enttäuschen, die auf Grenzwerte vertrauen. Denn diese Werte sagen erstens nichts über die individuelle Toleranz aus – also: wie viel Sie persönlich von einer Substanz vertragen, bevor es gefährlich wird – und zweitens sind Grenzwerte selten in Stein gemeißelt. Tatsächlich wussten weder Sie noch ich bis vor wenigen Tagen, wie hoch der Grenzwert für Glyphosat im Trinkwasser in Deutschland ist.

Dieser ist übrigens ein regelrecht verdächtiger Wert: 0,1 µg/Liter ist in der Regel der kleinste Wert, der mit standardmäßigen Laborverfahren in Lebensmitteln festgestellt werden kann, bevor die Untersuchung richtig teuer wird. Der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm besagt im Grunde genommen: „So wenig wie möglich, am besten gar nicht enthalten.“

Ein besonders böses Beispiel zu Grenzwerten konnte man im Nachspiel zur Atom-Katastrophe in Fukushima beobachten. 2011 wurden die Grenzwerte für Cäsium-Belastung bei Lebensmittelimporten aus Japan in die EU erhöht: „So wurde der Grenzwert für Milcherzeugnisse von 370 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) auf 1000 Becquerel heraufgesetzt.“

Die Preisfrage lautet nun: Wurden die Grenzwerte erhöht, weil Sie oder Ihre Kinder als Verbraucher plötzlich mehr Strahlenwerte vertragen? Oder wurden die Grenzwerte erhöht, weil plötzlich keine Produkte mehr unterhalb der Grenzwerte aus Japan geliefert werden konnten?

Gefahr von Wechselwirkungen

Eine der größten Gefahren von Glyphosat ist, dass nicht bekannt ist, welche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen im menschlichen Körper drohen. Der Grund ist einfach: Es gibt dazu keine Studien. Es gibt allerdings Studien an bspw. Fröschen, die beunruhigende Ergebnisse hervorbringen und die durchaus auch auf den Menschen übertragbar sind; dabei geht es insbesondere um Mutationen im Embryonalstadium. Es scheint, als würde das Pflanzengift Glyphosat die gesunde Entwicklung des Ungeborenen negativ beeinflussen.

Das BfR sträubt sich allerdings gegen Untersuchungen; es gab vor einiger Zeit eine Aktion von Aktivisten, die belastete Urinproben untersuchen lassen wollten. Man musste dem BfR die Proben regelrecht aufdrängen und es wurde mit insgesamt 182 untersuchten nur ein Bruchteil der eingereichten Proben akzeptiert. Da der BUND dem BfR dabei auf die Finger schaute, konnte man Glyphosatnachweise nicht verschweigen. Dennoch beharrt das BfR trotzig in einer Stellungnahme:

„Die Studienergebnisse des BUND sind plausibel und liefern einen Hinweis darauf, dass es eine Hintergrundbelastung mit Glyphosat gibt, die jedoch weit unterhalb eines gesundheitlich bedenklichen Bereichs liegt.“

Wir halten fest: Wir nehmen Glyphosat über eine Vielzahl von Produkten auf, Wechselwirkungen mit anderen Substanzen (etwa anderen Pestiziden oder dem im Bier enthaltenen Alkohol) sind nicht untersucht, der Grenzwert ist für den individuellen Einzelfall untauglich und basiert aufgrund von fehlenden Langzeitstudien am Menschen vermutlich auf dem Horoskop der Tageszeitung, dem Orakel von Delphi oder den Angaben der Hersteller.

Die Bundesregierung auf Seiten der Hersteller

Die Nachricht über Pestizid in des Deutschen liebsten Brot kommt zu einer Zeit, die für Glyphosat-Hersteller wie Monsanto, Bayer, BASF oder Syngenta höchst ungünstig ist. So wollen sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung demnächst über eine Neuzulassung für Glyphosat auf EU-Ebene für weitere 15 Jahre entscheiden.

„Bei einer namentlichen Abstimmung stimmten am Donnerstag 446 Abgeordnete gegen den Antrag der Grünen-Fraktion, die eine ‚voreilige‘ Neuzulassung von Glyphosat durch die EU-Kommission stoppen wollte. 117 Abgeordnete stimmten für den Antrag der Grünen, drei enthielten sich. Anfang März will die EU endgültig für Europa darüber entscheiden.

Auch der Bundeslandwirtschaftsminister stützt sich lieber auf die Aussagen des umstrittenen BfR und gibt allgemeine Entwarnung. Christian Schmidt ist allerdings als Landwirtschaftsminister bisher höchstens dadurch aufgefallen, dass er den Verbraucher mit unzähligen Erziehungsprogrammen konditionieren möchte („Volksbelehrung: Wie die Politik erziehen will“; Video, ca. 9 Min.).

Die Verantwortung beim eigenen Ressort zu suchen, scheint dagegen nicht seine Stärke zu sein.

Eingebetteter MedieninhaltKarikatur: „Agrarminister Schmidt und seine Experten“; Quelle: www.timoessner.de

Dabei werden sogar auf den Webseiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) weitaus vorsichtigere Töne angeschlagen:

„Selbst bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung von Pflanzenschutzmitteln können Rückstände auf dem jeweiligen Lebensmittel verbleiben. Dies gilt grundsätzlich für jede Pflanzenschutzmittelanwendung.“

Auf die selbst gestellte Frage „Unter welchen Voraussetzungen darf Glyphosat in der EU und Deutschland angewendet werden?“ antwortet das BMEL:

„Grundsätzlich gilt: bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln müssen vielfältige Regeln beachtet werden, um

  • die gewünschte Wirkung zu erzielen,
  • die Sicherheit für Verbraucher und Anwohner zu gewährleisten und
  • den Naturhaushalt nicht unvertretbar zu belasten.“

Das sollte man im Umkehrschluss als Warnung verstehen: Substanzen, die im Verdacht stehen, diese Regeln aufgrund ihrer chemischen Beständigkeit und biologischen Wirkung nicht einhalten zu können, sollten gezielter untersucht werden – und eine Entscheidung zur Lebensmittelsicherheit sollte stets den Verbraucherschutz im Blick behalten.

Lese-Empfehlungen

Naturschutzbund Deutschland (NABU): „Fragen und Fakten zu Glyphosat“

Deutschlandradio Kultur: „Pflanzengift Glyphosat: Von der Wunderwaffe zum Gesundheitsrisko“

Korrektur:

Bei der Umrechnung stand bisher 1 µg = 1000 mg. Richtig muss es heißen: 1/1000 mg (1 Mikrogramm = 1 Millionstel Gramm).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

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