Hundertsechzig Jahre und kein bisschen weise

Grokowääh & Grabenkämpfe Die SPD zerlegt sich nach 160 Jahren Parteigeschichte derzeit im Laufe weniger Wochen in einem karnevalsreifen Kindertheater. Ein Kommentar

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Wenn der Vorhang fällt ...
Wenn der Vorhang fällt ...

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Ja, es gibt offenbar gerade nur ein Thema und inzwischen geht es den meisten Menschen im Land einfach nur noch gehörig auf die Nerven: SPD, rauf und runter. Nicht einmal stundenlange Dauersendungen zu Karneval oder den Olympischen Winterspielen reichen da noch aus zur Sedierung des Bewusstseins.

Die SPD-Führung auf Bundesebene hat es in wenigen Monaten geschafft, das Renommée einer 160 Jahre alten sozialdemokratischem Partei mit unelegantem Hüftschwung einzureißen – gegen alle Zeichen der Zeit, gegen die eigene Basis und entgegen der Versprechen an die Wähler. Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem, Altersarmut, Pflegenotstand, Infrastrukturzerfall, Investitionsstau, sozialer Unfrieden – alles Schnee von gestern, heute geht es scheinbar nur noch um die Alterssicherung von ausgedienten Parteikadern.

Die „Erneuerung“ der SPD: Satz mit X

Während die Leitmedien von links bis rechts jedoch den Juso-Chef Kevin Kühnert zurück in den Kindergarten schreiben, liefern sich die Kindsköpfe an der Parteispitze ein beispielloses Kasperletheater, das pünktlich zum Karneval mit einem beleidigten Sigmar Gabriel den Hauptakt eröffnete und im Auftritt der Schwester von Martin Schulz einen unfassbaren Zenit erreichte. Das inzwischen weit verbreitete Zitat von Sigmar Gabriel bekommt dabei einen erbärmlichen Beigeschmack, da sich heute ein Machtmensch zum Opfer stilisiert, der sowohl seinen Wählerauftrag als auch seine Wahlversprechen wiederholt ignoriert und gebrochen hat.

Das korrigierte Zitat

Besonders deutlich wird es, wenn man in Gabriels beleidigter Jammerei über den Werteverfall nur einen Begriff ersetzt. Was in der SPD gerade passiert, ist zu einhundert Prozent hausgemacht und die logische Konsequenz aus der Agenda 2010, Rekordwaffenexporte (auch in Drittländer, Krisen- und Kriegsgebiete) unter einem SPD-geführten Wirtschaftsministerium und einer Abgrenzung von den Bürgern durch den Bruch von Wahlversprechen zum Vorteil von persönlichen Posten und Pensionen – von Gerhard Schröders Abgang ins russische Gasgeschäft über die Ernennung des ungeliebten Olaf Scholz zum Finanzminister bis zum Aufstieg und Fall des politischen Kontorsionisten Martin Schulz.

„Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang mit den Wählern geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt.“ – Sigmar Gabriel [korrigiertes Zitat]

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Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

Timo Essner

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