Randnotiz zum Wohnungsmarkt

Bremsen & Haie Bald ein Jahr ist die Mietpreisbremse in Kraft. Seitdem hat sich nicht viel geändert: Der Wohnungsmarkt ist eine Goldgrube für Vermieter. Ein Kommentar in Wort und Bild

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Randnotiz zum Wohnungsmarkt

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Auf dem deutschen Wohnungsmarkt herrscht ein bizarres Bild von Wohnungsnot und Überfluss an Leerstand. Das ZDF beruft sich auf Schätzungen von 1,5 Millionen leer stehenden Wohnungen während demgegenüber bis 2020 jährlich etwa 400.000 neue Wohnungen gefordert werden; nicht zuletzt, um dem umso höheren Bedarf vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise zu begegnen.

Ich genieße in Flensburg zugegebenermaßen einen günstigen Wohnungsmarkt; eine Wohnung in Hamburg oder München wäre für mich undenkbar, weil unbezahlbar. Die meisten Erfahrungen mit den großen Unterschieden auf dem bundesweiten Wohnungsmarkt habe ich etwa über Freunde, die zum Studieren in die Großstadt zogen.

Zwei Anekdoten zur Einleitung

Fall 1: Die Studentin in Hamburg

Eine Bekannte lebt als Studentin in Hamburg. Wegen des hohen Studienumfangs ist es nicht möglich, nebenbei einen Job auf die Reihe zu bekommen. Stattdessen also BAFöG und WG, weitab von der Uni – wobei eine Stunde Anfahrt für Hamburg nicht ungewöhnlich ist. Obwohl sie sich mit zwei anderen die WG teilt, geht die Hälfte ihres Studiengeldes für die Miete drauf – für eine vergleichbare Wohnung zahlt man in Flensburg etwa ein Drittel.

Sie erzählte mir, dass sie bei der Wohnungssuche teilweise mit zwanzig anderen in der Schlange stand, nach Einkommensnachweisen und einem unbefristeten Arbeitsvertrag gefragt wurde und schließlich in 9 von 10 Fällen als Studentin scheiterte; Studenten wären zu unstet, unzuverlässig, kein Interesse. Ein Szenario wie beim Bachelor: Ein pervers verschobenes Machtgefüge.

Fall 2: Der Hartz-IV-Empfänger in Flensburg

Ein Bekannter ist ALG-II-Empfänger, mit Depressionen und bis auf Gelegenheitsjobs ohne Arbeit. Im fensterlosen Bad schimmelt es schon seit längerem. Sein Vermieter, ein Privater, reagiert nicht auf Briefe, wenn mal was ist. Auf der anderen Seite meldet sich der Vermieter auch nie, was natürlich angenehm ist – solange die Miete bezahlt wird. Die zahlt das Jobcenter. Einen Anwalt kann sich mein Bekannter nicht leisten. „Wenn’s schlimm kommt, muss ich in Vorleistung gehen. Wenn’s ganz schlimm kommt, bekomme ich die Kohle am Ende nicht vom Vermieter zurück. In jedem Fall bin ich die Wohnung los.“ Das Schimmelproblem interessiert beim Jobcenter niemanden. Eine andere Wohnung gibt es auch nicht: Nichts frei – oder die freie Wohnung ist zu groß.

Eingebetteter MedieninhaltKarikatur: „Schimmel an der Wand“; Quelle: www.timoessner.de

Die beiden Beispiele mögen profan wirken, stehen aber stellvertretend für buchstäblich Millionen von Menschen in Deutschland. Das geht schon länger so und geht von Schimmel an den Wänden über unnutzbare Flächen (etwa unter Dachschrägen) bis zu völlig überhöhten Mieten für oftmals tatsächlich zu kleine Wohnungen. Für ALG-II-Empfänger kann es bedeuteten, dann man eine (etwa schimmelfreie) Wohnung nicht vom Jobcenter bewilligt bekommt, weil sie laut Vergleichsliste zu groß und damit zu teuer ist. Allerdings weichen Mietverträge allzu oft in der Angabe der Wohnfläche von der Wirklichkeit ab – und das ist ein ernsthaftes Problem.

Es geht nicht nur um ein paar Quadratmeter Raum

Dabei geht es nicht nur um ein paar Quadratmeter im Einzelfall, denn hochgerechnet auf das ganze Land ergeben sich ganz andere Dimensionen: Bei etwa 40 Millionen Wohnungen ergeben selbst 2 Quadratmeter Abweichung zu je 5 Euro Kaltmiete rechnerisch schon eine Mietpreisdifferenz von 400 Millionen Euro – pro Monat.

Außerdem dient die angegebene Wohnfläche nicht nur zur Berechnung der Miete. So richtet sich etwa die Höhe der Beiträge für die Hausratversicherung nach der Grundfläche. In Mehrfamilienhäusern oder Wohnanlagen werden die Mietnebenkosten für das Gesamtobjekt üblicherweise auf die einzelnen Mieter nach Wohnfläche verteilt. „Bei einem zu hoch angesetzten Wert ist also auch der Anteil an den Nebenkosten zu hoch.“

Ortsübliche Vergleichsmiete („Mietspiegel“)

Die ortsübliche Vergleichsmiete bzw. der Mietspiegel funktioniert nur im Zusammenspiel mit der Mietpreisbremse und ist gewissermaßen ihre Basis. Dafür wird über einen gewissen Zeitraum in einem bestimmten Wohngebiet der ortsübliche Durchschnitt der Miete berechnet, wie dieser Herr aus der Immobilienbranche am Beispiel Köln erklärt (Video, ca. 4 Min.).

In vielen Städten, Gemeinden und Wohngebieten Deutschlands gibt es allerdings noch keinen Mietspiegel, was unter anderem daran liegt, dass die Verwaltungen oftmals keine oder nur teilweise Daten von den privaten Vermietern und Immobilienunternehmen geliefert bekommen.

Eine Bemerkung zur Mietpreisbremse

Die Mietpreisbremse trat zum 01. Juni 2015 in Kraft und sollte die teilweise prekäre Wohnungssituation vor allem in Großstädten entlasten. Nach einigen Jahrzehnten des Nichtstuns dämmerte auch Politikern in Wahlzeiten, dass die Wohnungsnot in Großstädten wie München, Hamburg, Frankfurt am Main oder Berlin ein unerträgliches Maß erreicht hatte. Gleichzeitig hatten die armen Abgeordneten in Berlin auch die Lobbyisten der Immobilienwirtschaft im Nacken.

So wurde das legislative Produkt zwar als „Mietpreisbremse“ symbolträchtig und medienwirksam vermarktet, aber unterm Strich führte sie nicht zu einer breit spürbaren Entlastung des bundesweiten Häusermarktes, da die Mietpreisbremse in den meisten Städten und Gemeinden gar nicht zum Tragen kam – eine Lachnummer als Gesetz und eine schriftliche Einladung für die Satiriker der Republik:Eingebetteter Medieninhalt

NRD extra3: Christian Ehring zur Mietpreisbremse

Ähnliches gilt für das sogenannte Bestellerprinzip, das Wuchergebühren für Makler verhindern soll, die besonders in den prekären Wohnungsmärkten nahezu keine Arbeit bei der Vermittlung haben, aber mitunter teilweise mehrere Monatsmieten als „Vermittlungsprovision“ verlangen. Mieter bzw. Wohnungssuchende mussten sich den Erwartungen der Makler jahrelang regelrecht beugen, standen brav mit geputzten Schuhen und Einkommensbescheinigung samt polizeilichem Führungszeugnis Schlange für jede noch so unbarmherzige Bruchbude.

„Zu teuer? Zahlt doch das Amt!“

Diese werden besonders in Ballungsgebieten trotzdem jederzeit vermietet – und im Zweifelsfall gibt es da einen Mieter, der immer pünktlich zahlt: So haben sich einige Vermieter regelrecht auf ALG-II-Empfänger spezialisiert, denn Jobcenter und ARGE zahlen in der Regel ungeprüft den Regelsatz. Wie das Objekt aussieht, ist aus Kosten- und Zeitgründen schlichtweg nicht zu überprüfen, und es interessiert die Mitarbeiter der Behörden vermutlich auch nicht – schließlich müssen sie selbst da ja nicht wohnen. Zudem sind „Hartz-IV’ler“ oft von den Umständen demoralisierte Menschen, die sich in der Regel nicht gegen unzumutbare Mietzustände wehren. Sollte sich doch einmal einer hervorwagen und auf das Mietrecht pochen, antwortet der Vermieter einfach: „Das zahlt doch das Amt!“

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Karikatur: „Das Amt zahlt“; Quelle: www.timoessner.de

Wohnflächenschwindel: Dachschrägen, Schätzungen und fehlende Flächen

Ein anderes und vermutlich ebenso weitreichendes Problem sind fehlerhafte Angaben bei der Wohnflächenberechnung. Dieser „Wohnflächenschwindel“ ist eine Gesetzeslücke, die der Bundesgerichtshof einst schuf – paradoxerweise, um eine bestehende Lücke zu schließen.

„Der Wohnflächenschwindel hat bereits erhebliche Ausmaße: Einer Untersuchung der Dekra zufolge sind etwa 80 Prozent der Wohnungen in Deutschland bis zu 10 Prozent kleiner als im Mietvertrag angegeben. ‚Für diese Vermieter ist das BGH-Urteil ein Milliardengeschenk‘, so DMB-Direktor Siebenkotten.“

Dieses recht ernüchternde Urteil des Deutschen Mieterbundes bestätigt auch der SWR Marktcheck im Oktober 2015: „In vielen Fällen ist der Wohnflächenschwindel kein Betrug, sondern legal. […] Erst bei Wohnflächenabweichungen von mehr als 10 Prozent hat die Mietsache einen Mangel und erst dann hat der Mieter einen Anspruch auf Minderung der Miete.“

Der Grund ist ein durchaus profaner: Es ging dem Bundesgerichtshof mit der ursprünglichen 10-Prozent-Toleranz um die Festsetzung einer Grenze, ab welcher man eindeutig von einem Mangel sprechen konnte. Der BGH gab damit also eigentlich keinen Spielraum, sondern wollte diesen eindämmen, wie Thomas Hannemann, von der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien des Deutschen Anwaltvereins, im SWR Marktcheck erklärt: „Alles, was mehr als 10 Prozent ist, da wird die Gebrauchsbeeinträchtigung unwiderlegbar vermutet.“

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SWR Marktcheck: „Mietpreis-Abzocke: Wenn die Quadratmeter falsch angegeben sind“

Es war also eine Entscheidung, die Rechtssicherheit für Mieter und Vermieter gleichermaßen bilden sollte, wo es die deutsche Bürokratie bisher nicht geschafft hatte.

Die 10-Prozent-Hürde kippt

Doch schon wenig später kippte der Bundesgerichtshof mit einem Urteil am 18. November 2015 seine eigene Zehn-Prozent-Toleranzgrenze bei der Wohnflächenberechnung.

Demnach gilt ab sofort deutschlandweit die tatsächliche Wohnfläche zur Berechnung der Miete. Damit soll eine Rechtsgrundlage nach dem Gleichheitsprinzip geschaffen werden, die lange fehlte – das ist zunächst positiv. Zudem soll die Miethöhe auf diese Weise langfristig verlässlich und maßgeblich für die Mietpreisbremse in einer wachsenden Zahl von Städten und Gemeinden werden.

Die Tücken der Lücken

Gleichzeitig bleiben einige Probleme bestehen, wie die SWR-Redakteure Heidi Keller und Elke Harter hervorheben:

Demnach gibt es keinen Standards zur Wohnungsvermessung, Nischen oder Kamine werden oft unterschiedlich berücksichtigt. „Wie man mit Balkonflächen, Dachschrägen und Terrassen umgeht, ist ebenfalls nicht eindeutig geklärt. Eine professionelle Vermessung verursacht erhebliche Kosten. Der Deutsche Mieterbund schätzt deshalb, bei zwei von drei Wohnungen stimmte die im Mietvertrag genannte Quadratmeterzahl nicht mit der Realität überein.“

Lobbyisten wie der Eigentümerverband Haus und Grund halten außerdem eine Toleranzregelung wie die 10-Prozent-Grenze weiterhin für nötig. Mit dem Rückblick auf die Geschichte der Mietpreisbremse darf man also noch eine Menge Bewegung im Berliner Abgeordnetenhaus erwarten.

Der Witz ist: Angeblich besteht die 10-Prozent-Toleranz weiterhin auch nach der neuen BGH-Entscheidung, etwa bei der Festsetzung der Miethöhe oder der Anpassung der Betriebskostenabrechnungen bei Neuvermietung. Da wundert es nicht, dass der Mieterbund an der Stelle Nachbesserung verlangt. Eine evtl. Mieterhöhung ist jedoch wiederum an bspw. ortsübliche Staffeln für Mietpreissteigerungen gebunden, was auch wieder ganz unterschiedlich ausfallen kann.

Bei Verdacht einfach selbst nachmessen

Insgesamt werden diese offenen Punkte sicherlich noch die Gerichte beschäftigen. Bis dahin kann man festhalten, dass mit einer Mieterhebung nach der tatsächlichen Wohnfläche zunächst Fairness in krassen Fällen geschaffen wurde und Mieter bei starken Abweichungen (auch ungeachtet der 10-Prozent-Grenze) eine Rechtsgrundlage durch ein BGH-Urteil bekommen. Für die nun folgende Zeit winken sicherlich eine Menge Aufträge für Vermesser wie Architekten.

Auf jeden Fall lohnt es sich, selbst einmal nachzumessen:

„Wenn im Mietvertrag keine Berechnungsmethode angegeben ist, kann sich der Mieter auf die Wohnflächenverordnung berufen. Balkone und Terrasse werden zu 25 Prozent angerechnet, bei besonders guter Lage oder Ausstattung bis zu 50 Prozent. Flächen mit einer Höhe von einem bis zwei Meter dürfen nur zur Hälfte angerechnet werden. Beträgt die Raumhöhe weniger als einen Meter, zählt die Fläche nicht. Auch Speicher, Keller- oder Abstellräume außerhalb der Wohnung zählen nicht zur Wohnfläche.

Da laut des Deutschen Mieterbundes gut zwei Drittel der Mietverträge falsch berechnet sind, besteht zumindest die Möglichkeit für eine Mietrückforderung bzw. eine Angleichung der Miete. Dazu kann man sich im Baumarkt ein Lasermessgerät besorgen, optimalerweise kann man ein geeichtes Gerät ausleihen. Damit lässt sich zumindest für einen Preisrahmen unter 50 Euro ein Verdacht bestätigen oder verwerfen. Wenn er sich bestätigt und die Rechnung eine drei- oder vierstellige Differenz in der Jahresmiete ergibt, lohnt es sich vermutlich auch, in einen Architekten und einen Anwalt zu investieren.

Der Politik sei in der Zwischenzeit dringend nahegelegt, den Wohnungsmarkt endlich mit eindeutigen, schlupflochlosen Gesetzen zu regeln. Es erstaunt mich als Bürger eines Landes, das sich ein 180-seitiges Kleingartengesetzbuch leistet, dass die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum – eine der essentiellen Kernaufgaben einer staatlichen Verwaltung – inzwischen offenbar komplett einem Markt überlassen wurde, der sich zum Vorteil einer Gewinnmaximierung verselbstständigt hat. Nicht zuletzt mit Blick auf die Versorgung der Flüchtlinge mit Wohnraum wird uns dieses Problem als Gesellschaft in Zukunft noch stärker beschäftigen und droht zu einem kritischen Faktor für den sozialen Frieden zu werden.

Video-Tipp:

ZDF zoom: „Versagt die Mietpreisbremse?“

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NDR CHECKer: „Quadratmeter-Abzocke: Tipps für Mieter“

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Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

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