Schmidt stimmt für Glyphosat

Gift & Gemüse Von Wählerwillen, Alleingängen und Wirtschaftsmacht

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Gestern hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Brüssel die entscheidende Stimme für eine weitere Zulassung von Glyphosat auf EU-Ebene abgegeben und damit einen Eklat ausgelöst. Das Entsetzen und die Empörung einer Vielzahl von Politikern über Parteigrenzen hinweg waren sogar glaubwürdig.

Rohrreiniger auf Äckern und Wiesen

Denn beim Thema Glyphosat sind sich Bürger und Abgeordnete ausnahmsweise in weiten Teilen einig, und es herrscht breite Ablehnung gegen die Verwendung eines chemisch beständigen Totalherbizids mit der Nebenwirkung als Pestizid. Ursprünglich wurde Glyphosat übrigens als Rohrreiniger entwickelt – es kann natürlich niemand ahnen, dass es Probleme verursacht, wenn man jährlich tonnen- und hektoliterweise Rohrreiniger auf eben jene Äcker und Wiesen ausbringt, die unsere Lebensmittel hervorbringen sollen. Dieser Punkt sollte völlig ausreichend sein für ein Verbot in der Landwirtschaft, da braucht es eigentlich nicht einmal eine Krebsrisikostudie.

Minister mit vielen Skandalen

Böse Zungen behaupten nun, Schmidt wäre lediglich ein Lautsprecher der Industrie, mit viel Hohlraum für ordentlich Resonanz, damit es auch schön klingt, wenn man oben Münzen einwirft. Andere Stimmen meinen, der Landwirtschaftsminister versuche bloß, sich öffentlich etwas bekannter zu machen. Dabei gibt es einige Themen, die in Christian Schmidts Zuständigkeit fielen bzw. fallen und jeweils dadurch auffielen, dass Verbraucher-, Tier- oder gar Umweltschutz derart außer Acht gelassen wurden, dass Handel und Industrie stets lachend davon profitierten: das „Tierwohl“-Label, der Skandal um Bayern-Ei, die Kontroverse ums Kükenschreddern, die anhaltende Kontroverse um Geflügelhaltung, die Milchpreiskrise, Nitrit/Nitrat-Überdüngung in der Landwirtschaft, MRSA-Seuche in Schweineställen, Marktverzerrungen durch Agrarsubventionen, Monokulturen für Biogas und Rohstoffpreisexplosionen (Stichwort E10-Benzin) auf dem Weltmarkt. Es gab also nicht zu wenig Arbeit für Herrn Schmidt in den letzten Jahren.

Eingebetteter Medieninhalt
Karikatur: „Schmidt stimmt für Glyphosat“; Quelle: www.timoessner.de

Während in den sozialen Medien schnell die Stimmung gegen Kanzlerin Angela Merkel hochkochte, was man zunächst als Reflex abtun konnte, brachte der Rechecheverbund aus SZ, NDR und WDR heute eine Meldung, die insgesamt am besten mit politischem Sprengstoff zu bezeichnen ist. Tatsächlich hat sich Merkel noch im Sommer in einer Rede vor dem Bauernverband für Glyphosat ausgesprochen, während sie nun öffentlich die empörte Mutti zum Besten gibt.
Ein Kommentator bei Twitter hat den Vorgang vereinfacht, aber erschreckend treffend zusammengefasst:

1. Schmidt kriegt den Auftrag, für Glyphosat zu stimmen
2. Ein Shitstorm entbrennt
3. Merkel feuert Schmidt
4. Schmidt bekommt eine neue Anstellung in der Industrie
5. Merkel steht gut da
6. Glyphosat wurde durchgewunken
7. Plan hat perfekt geklappt

„Same procedure as every year!“

Es klingt wie eine Verschwörungstheorie, leider sieht der Vorgang ganz nach einem abgekarteten Spiel aus. Es ging schlichtweg darum, den kunstvollen Balanceakt zwischen der Durchführung einer wirtschaftsfreundlichen Politik gegen die Sicherheit und den Willen der Bürger und der Wahrung des Anscheins von staatmännischer Vernunft zu vollbringen. Das hielt nur so lange, bis sich die ersten an die berühmten „Nachrichten von gestern“ erinnerten und noch einmal in den Zeitungsarchiven zu lesen begannen. Das ist übrigens nicht neu: Wenn es um deutsche Wirtschaftsinteressen geht, war die Bundesregierung um Kanzlerin Merkel erstaunlich wandlungsfähig in ihrer öffentlich dargebotenen Meinung – was man am Beispiel Dieselgate gut festmachen kann. Die deutsche Einflussnahme in Brüssel zugunsten der Autoindustrie wich deutlich von dem maßregelnden Tonfall ab, der auf nationaler Ebene Richtung VW, Audi & Co. angewandt wurde, um der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass diesmal aber wirklich Konsequenzen drohten. So ist abzusehen, wie Christian Schmidts Alleingang taktisch inszeniert, der Landwirtschaftsminister als politisches Bauernopfer von seiner ungeliebten Funktion befreit und mit einem goldenen Händedruck Richtung chemischer Industrie verabschiedet wird. Ein Werdegang von geradezu Schröder'scher Qualität. Das einzige, was viele daran noch wundert, ist, dass sich die Politik noch über Politikverdrossenheit wundert.

PS

Es lohnt sich übrigens, bei solchen Themen einmal ganz unvoreingenommen auf die Parteispendenliste des Deutschen Bundestages zu schauen. Dort findet man etwa die Spenden des Verbands der Chemischen Industrie e. V. (VCI) über 50.000 EUR im August 2017:
SPD: 70.000,00 EUR
FDP: 75.000,00 EUR
CDU: 150.000,00 EUR
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Timo Essner

Flensburger Jung, zweisprachig aufgewachsen, dritter Sohn von Literaten.Karikaturist und freier Redakteur in diversen Publikationen on- und offline.

Timo Essner

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden