Vor allem aus den Krisen kann man lernen. Wenn die demonstrativ zur Schau gestellte Harmonie gestört ist, lässt sich verstehen, warum die einst verfeindeten Parteien CDU und Grüne seit zehn Jahren erfolgreich zusammenarbeiten – in einer Stadt, in der sich grüne Hausbesetzer und schwarze Hardliner einst so unversöhnlich gegenüberstanden wie nirgendwo sonst in der Republik.
Dass diese Koalition bis heute hält, so lange wie in keiner anderen großen deutschen Stadt, das hätten wohl nur die wenigsten Beobachter für möglich gehalten. Geht es nach dem Willen vieler Schwarz-Grüner, dann soll die Zusammenarbeit auch nach der Kommunalwahl am 6. März 2016 fortgesetzt werden.
Sind die Differenzen von einst in der Bankenhauptstadt etw
kenhauptstadt etwa einer umfassenden Harmonie gewichen?Nicht ganz, denn gerade wenn es um Themen von großer gesellschaftlicher Relevanz ging, wurden immer wieder Risse im schwarz-grünen Gefüge deutlich. So wie im November letzten Jahres. Bis dato hatte die Koalition das Thema Flüchtlinge unbeschadet überstanden. Alles hätte weiter geräuschlos über die Bühne gehen können, doch die Opposition im Frankfurter Parlament, dem Römer, wollte dieses Spiel nicht mitspielen. Sie ahnte, dass die Flüchtlinge das schwarz-grüne Gleichgewicht ins Wanken bringen könnten.Also stellte die Linke einen Antrag auf einen „sofortigen Winterabschiebestopp“ für Geflüchtete, dem auch die SPD zustimmte. Natürlich gab es bei den Grünen Sympathien für diesen Vorschlag – und eigentlich hätte die Ökopartei „dem Antrag ohne Probleme zustimmen“ können, wie der Fraktionsvorsitzende Manuel Stock sagte. Sie tat es aber nicht, denn die CDU sah die Sache etwas anders. Das Knirschen im sonst so gut geölten schwarz-grünen Getriebe war deutlich zu vernehmen. Also vermied die Koalition eine eindeutige Positionierung. Die Entscheidung über den Abschiebestopp wurde vertagt.Besonders die zweite Generation der Frankfurter Grünen verkörpert diese vom Willen zur Macht getragene professionelle und verlässliche Zusammenarbeit mit der CDU. Über Jahre wurde gegenseitiges Vertrauen aufgebaut, beide Parteien sind bedacht, Probleme intern zu klären, statt offen aufeinander loszugehen. Der Frankfurter Pragmatismus wirkte bis in die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden und taugte vor gut zwei Jahren der ersten schwarz-grünen Koalition in einem deutschen Flächenstaat als Vorbild. Er könnte auch ein Modell für den Bund sein.In Frankfurt (wie auch in Hessen) war diese kalkulierte Harmonie für Schwarz-Grün überlebenswichtig, denn zum Machterhalt waren Kompromisse nötig – die besonders die Grünen teils schmerzlich trafen. Zwar durfte sich die Partei weitgehend unbehelligt von der CDU bei den Themen Verkehr und Bildung austoben und konnte so etwa die Inklusion an Schulen vorantreiben und den öffentlichen Nahverkehr zulasten des Autoverkehrs stärken. In der Wirtschaftspolitik feierte man sogar gemeinsam mit der CDU Erfolge. Doch das erkaufte die Partei seit Anbeginn damit, dass sie sich bei Abstimmungen über den Ausbau von Europas drittgrößtem Flughafen enthielt – seit dem Kampf um die Startbahn West in den 1980ern ein für Frankfurter Grüne höchst emotionales Thema. Diese Aufgabe der eigenen Ideale haben viele Flughafenkritiker der Ökopartei nie verziehen.Emotionen am FlughafenDennoch feierten die Grünen in Frankfurt bisher große Erfolge. Bei der letzten Kommunalwahl 2011 wurden sie – auch unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima – mit 25,8 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Um diesen Erfolg nicht zu gefährden, muss die Partei den Spagat zwischen urgrünen Überzeugungen und dem schwarz-grünen Pragmatismus immer wieder aufs Neue üben, besonders jetzt, vor der Wahl.Und so ging der Streit um den Winterabschiebestopp zunächst auch weiter. Im Dezember besetzte eine linke Initiative ein leerstehendes Haus, noch am selben Abend räumte die Polizei unsanft das Gebäude. Während die CDU jubelte, kam von den Grünen Kritik. In einem Ortsbeirat, dem untersten politischen Gremium der Stadt, stimmten die Grünen gegen die Räumung und für ein selbstverwaltetes Zentrum für Flüchtlinge. Drohte da etwa ein Disput, der am Ende sogar das schwarz-grüne Bündnis gefährden könnte? Die Opposition hatte sich zu früh gefreut. Bei der Abstimmung im Römer votierten dieselben Grünen, die noch eine Woche zuvor im Ortsbeirat für ein migrantisches Zentrum gestimmt hatten, dagegen. Auch der Winterabschiebestopp wurde nun abgelehnt. Stattdessen plädierte die Koalition für „humanitäre Einzelfallprüfungen“.Die Frankfurter Rundschau nannte diese Kosmetik zur grünen Gesichtswahrung einen „dürftigen Kompromiss“ und kommentierte: „Die Grünen zahlen für die politische Macht in der Koalition einen hohen politischen Preis.“ Die Partei scheint sich bei ihrem Spagat immer häufiger selbst zu verletzen. Während die Kompromisse früher bis auf das Thema Flughafen von beiden Seiten meist geschickt kaschiert wurden, häufen sich in den letzten Jahren die Enttäuschungen – und mit ihnen nimmt auch der offene Disput zu.Im Frühjahr 2014 sagte der grüne Bürgermeister Olaf Cunitz, das Klima in der Koalition sei „wirklich schwierig“. Es waren bedenkliche Worte für einen Mann, der wie wenige andere für die schwarz-grüne Machtperspektive steht. Einen vorläufigen Tiefpunkt erlebte das Verhältnis zur CDU bereits im Juni 2013, als die Koalition erstmals unterschiedlich abstimmte. Auch damals ging es um ein Thema von höchster Relevanz: das Demonstrationsrecht und die Bewertung des brutalen Polizeieinsatzes gegen das kapitalismuskritische Blockupy-Bündnis. Während sich die grünen Mandatsträger ein Jahr zuvor bei diesem Thema noch wegduckten und dafür auch aus den eigenen Reihen – etwa von der Frankfurter Ikone von 68ern und Bündnisgrünen, Daniel Cohn-Bendit – heftig kritisiert wurden, stellte man sich nun gegen die CDU.Es war wohl auch der Versuch, die eigene Klientel milde zu stimmen. Denn obwohl die Anhänger der Frankfurter Grünen heute weniger der linksalternativen Szene entstammen, sondern viel eher dem bürgerlich-urbanen und wohlhabenderen Milieu, gehört gerade auch das Flair von Weltoffenheit und Bürgerrechten zum Lebensgefühl der Bio-Bourgeoisie dazu. Ein Garant dafür, diese Klientel nicht zu verschrecken, war lange Zeit Petra Roth, die als liberale CDU-Oberbürgermeisterin ihre Partei modernisierte. Unter ihr stand die Frankfurter CDU für eine fortschrittliche Drogen- und Integrationspolitik. Doch 2012 trat Roth ab – es war ein Wendepunkt für das Bündnis, zumal seither die finanzielle Lage in Frankfurt schlechter wurde.Warnschuss für die GrünenStatt für den CDU-Hardliner Boris Rhein, der von den Grünen unterstützt wurde, entschied sich das Wahlvolk für den SPD-Außenseiter Peter Feldmann. Es war ein Warnschuss, besonders für die Grünen. Die eigene Wählerschaft war eben nicht zu allem bereit und hatte ihrer Partei die Gefolgschaft verweigert. Der neue Oberbürgermeister versucht seither, Schwarz-Grün vor sich herzutreiben. Feldmann legt immer öfter den Finger in die Wunde. So hat der SPD-Oberbürgermeister es geschafft, die von Schwarz-Grün mitverschuldete Wohnungsnot ganz oben auf die politische Agenda der Stadt zu setzen.Indes scheint sich die CDU in gesellschaftspolitischen Fragen nach Roths Abgang eher rückwärts zu bewegen. Immer öfter flackern in der Koalition deshalb Konflikte auf, etwa bei der Cannabis-Legalisierung oder einem möglichen Burka-Verbot. Meist enden diese Streitigkeiten wie im Fall des Abschiebestopps in einem nichtssagenden Kompromiss. Das könnte sich angesichts der vielen Probleme rächen. Denn etwa der Ärger um fehlende Hort- und Schulplätze oder die Wohnungsnot betreffen zunehmend auch die grüne Klientel.Regierungs-Pragmatismus könnte am Ende nicht genug sein und den Grünen schaden. In den neusten Prognosen zur Kommunalwahl büßt die einstige Hausbesetzer-Partei über acht Prozentpunkte ein. Da auch die CDU in den Umfragen verliert, könnte die schwarz-grüne Mehrheit am Main bald dahin sein.