Alles ist verwandelt

Kunst Edward Hopper stand immer für Verlassenheit und Melancholie des modernen Individuums. In Basel wird er jetzt zum Herold der nächsten Apokalypse
Ausgabe 05/2020

Es ist vorbei, das Zeitalter des Individualismus. Tom Oliver, Professor für Angewandte Ökologie, beschrieb das letzte Woche sehr schlagend im Guardian: Er sei ein Kind der 80er, Teenager in den 90ern, seine prägenden Jahren fielen also zusammen mit dem individualistischsten Zeitalter, das es auf Erden jemals gab. Im Angesicht australischer Buschbrände, schmelzender Polkappen und des menschengemachten Klimawandels sei dieses nun aber an sein Ende gekommen, das wesentliche Gefühl des Individuums heute: Schuld. Und der aktuell herrschende Blick auf das Eigene, Innerliche, das „Selbst“, „Ich“ und „Mein“ – eben nicht mehr so das Ding. Dass man sich zu einer solchen Analyse nun aber auch den Maler Edward Hopper euphorisch nickend vorstellen kann, das ist wahrlich eine Neuigkeit. Aber dieser Hopper (1882 – 1967), auch das wusste man nicht, bevor man die just eröffnete Blockbuster-Show in der Schweiz gesehen hatte, konnte ja offenbar in die Zukunft sehen.

Edward Hopper gilt als einer der coolsten Maler der Welt. Jeder kennt seine Gemälde. Nicht unbedingt aus Museen, sondern von Postkarten, aus Designhotels und Postern in Jugendzimmern. Fast jeder hat sich selbst schon einmal verwandelt gefühlt in einen dieser Hopper’schen Großstädter, die gemeinsam einsam und entfremdet in Bars, Cafés, an Straßenecken oder im Zugabteil sitzen. Traurig fühlte man sich schon, aber eben auch cool. Seine Nachtschwärmer (1942), sein berühmtestes Bild, umweht die laute Stille und schwere Sehnsucht des 20. Jahrhunderts. Die Bilder handeln davon, ob es vor der Massenkultur mal ein Glück gegeben hat und wann es mit der großen Leere begann.

Verblüffende Sturheit

Doch die eigentliche Frage so einer Ausstellung ist ja, ob man diesen Postkarten-Hopper noch einmal anders sehen könnte. Oder, wenn man schon die echten, wahnsinnig wertvollen Hoppers in Europa mal zu sehen bekommt – wie man diese dann sehen würde. Was hat der amerikanischste aller Maler uns Anfang 2020 zu sagen? In dem Moment, in dem die Vereinigten Staaten und der Individualismus auf sein Ende zugehen?

Es ist bis heute verblüffend, mit welcher Sturheit der 1882 geborene Hopper (ausgebildet als Illustrator, zu Anfang in einer Mad-Men-Werbeagentur arbeitend) lebte und dann eben die Aquarelle und Ölgemälde der 1910er bis 1960er Jahre zusammenmalte, die hier zu sehen sind, während in der ganzen Zeit seines Schaffens wesentliche Strömungen der Avantgarde die Idee von Kunst komplett umpflügten. Zuerst der Surrealismus und später mit dem Abstrakten Expressionismus die erste amerikanische Kunstrichtung von Weltrang zertrümmerten althergebrachte Ideale – Hopper ignorierte sie lässig. Fuhr stattdessen mit seiner Frau und einem alten riesigen Buick durch Nordamerika, malte das mehr oder weniger realistisch ab, und das war schon damals im Grunde das Rückschrittlichste, was man sich überhaupt ausdenken konnte. Dieser Hopper. Mit seinen Schinken. Die hier in Basel noch als Landschaft zusammengefasst werden. Landschaft! Das ödeste, unzeitgemäßeste, altbackenste Genre überhaupt.

Und dann passiert plötzlich etwas. Drei Räume und 18 Gemälde (von einer kleinen frühen Straßenszene aus Paris einmal abgesehen) muss man hinter sich lassen, bis einem ein Mensch begegnet! Vorher Felsen in fast zu hellem, fast toxischem Licht stehend, schlackige Weiten und Meeresufer, die nie Überblick herstellen, die immer nur aussehen wie ein Ausschnitt und deswegen merkwürdig beklemmen. Irrwitzig menschenleer ist dieses Amerika, doch fast immer voller kleiner Zeichen der Zivilisation. Schwarze Autos, zurückgelassen; Telegrafenmasten, unverbunden; immer wieder Schienen, die wie verlassene Fremdkörper in der Landschaft liegen. Einsam stehende Häuser, ohne Türen, als hätten sie den Menschen hinter sich und seine Traurigkeit für ihn übernommen. Der Mensch hat sich der Natur eingeschrieben, sie zugerichtet. Aber man denkt hier, bei diesem Hopper, schon mal ohne ihn weiter. In der Ausstellung wirkt er wie ausgeschnitten.

Der arme Tankwart

Was mit einem passiert, wenn man durch diese Ausstellung läuft, lässt sich am genauesten wohl vom Ende her erzählen, vom zweitberühmtesten Bild aus, das schlicht und einfach Gas heißt, deutsch „Benzin“. Eine Tankstelle, Hopper hat sie 1940 gemalt, er war 57 Jahre alt. Und nirgends wird deutlicher, wie die Zeit die Zeichen verändert. Wim Wenders hat zu Ehren der Ausstellung einen wuchtigen und schönen 3-D-Film beigesteuert, anhand dieses Bildes erzählt er dort eine halb trostlose, halb poetische Beziehung, die natürlich nichts wird. Eine Frau stellt er dazu, sie fährt an die Tankstelle, zieht an einer Zigarette, redet nicht mit dem Tankwart, fährt wieder ab und hinterlässt ein bisschen Rauch und Schwermut. Tankstellen verfügen für den Film deshalb über so viel Verführungskraft, weil sie Nicht-Orte waren, an denen verschiedenste Menschen in verschiedensten Zuständen zusammenkommen. Heute aber kommt dort niemand mehr zusammen. Heute ist die Tankstelle Modernitätsverlierer, zermalmt zwischen batteriebetriebenen, bald autonom fahrenden Autos, Carsharing-Angebot und einem Nahverkehr, der ein Comeback erlebt. Als das Bild gemalt wurde, standen sie metaphorisch und groß für eine kraftvolle Automobilisierung der Welt, in die immer mehr hineingepumpt werden konnte. Das schwarze Gold ist ein Auslaufmodell, es steht nun für einen alten Fortschritt, der die Welt kaputtgemacht hat. Zu letzter metaphorischer Größe ließ sie sich hinreißen, als sich der Kampf der Gelbwesten am Benzinpreis befeuerte.

Schaut man das Bild heute an, geht der Blick über den kleinen armen Tankwart hinaus, der Fokus geht stattdessen auf den Kampf, der auf dem Bild zwischen dem künstlichen Licht des Wartehäuschens und der sanften Abenddämmerung ausgetragen wird. Es ist der Kampf zwischen Natur und Kultur. Schwarz-grün dröhnend dahinter der Wald, über dessen Horizont das rote geflügelte Pferd fliegt, in der Mythologe reiten auf ihm die Dichter. Hopper, weiß man, liebte den Naturdichter Robert Frost und konnte Goethes Wandrers Nachtlied auf Deutsch rezitieren: „Über allen Gipfeln / Ist Ruh’, /In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; /Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur! Balde /Ruhest du auch.“

Düster klingt der Goethe – und der unergründliche Tod, er kommt nun auch aus Hoppers amerikanischem Wald, der einem hier ständig wiederbegegnet. Selbst die Blicke seiner berühmten Frauenfiguren verändern sich unter diesem Eindruck. Die Frau am Fenster, im berühmten Cape Cod Morning (1950), richtet ihren Blick nach draußen, ins Unbewußte und Unbeherrschbare, wieder gen schwarzen Wald. Wie soll man ihr maskenhaftes Gesicht heute anders interpretieren, als sähe sie den Klimawandel bereits um die Ecke kommen? In High Noon (1949) steht eine einsame Frau vor einem einsamen Haus, um sie herum gelblich verdorrtes Gras im gleißenden Licht nie endender Glühsommer. Hier schaudert es einen nicht mehr vor Trauma und Tristesse der 50er Jahre, nicht mehr Situationen sind das, in denen menschliche Kommunikation auf Entfremdung und individuelle Isolation abgetastet werden. Dies ist nicht mehr der Hopper des melancholischen Individualisten, dem die Gegenwart nur mit dem Überzug cooler Verpanzerung zu ertragen ist. Aus dem neusachlichen Hopper der Oberflächen und Befindlichkeiten erscheint plötzlich viel größer, was der Maler uns zu denken gibt. Alles wirkt verwandelt.

Denn jedes Bild verändert sich durch die Gegenwart, und hier auch durch die kluge kuratorische Konzeption. Die Grundstimmung ist plötzlich nicht mehr Melancholie, sondern Apokalypse. Hoppers Gemälde handeln schon immer auch von dem, was Hopper nicht zeigt. Die wenigen Menschen, und in dieser Ausstellung sind es einmal auch Möwen, sie schauen erschreckt aus dem Bild heraus, auf das, was noch kommt. Der Maler lässt Dinge verschwinden, weil es ihm immer schon auf etwas Größeres ankam, das so groß und so traurig war, dass es auf eine einzige Leinwand gar nicht passte. In Basel wird er nun zum Transzendentalisten und Futuristen, der mit unserem Unterbewussten spielt. Hopper, der Metaphysiker eines menschenleeren Amerika. Dessen paar Relikte man abbauen will und mit neuen Kollektiven befüllen. Die alten Schinken, sie eignen sich plötzlich als Hintergrund für die Revolution.

Info

Edward Hopper Fondation Beyeler, Basel, bis 17. 5. 2020

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