Ende September 2017 waren alle gegen uns. Die Hauptstadtpresse, der Großteil der Mitarbeiter des Theaters. Die Intendanten der anderen Häuser, Schauspieler, Musiker, Künstler der Stadt. Die Intellektuellen und Dichter. Die normalen Leute, fast alle meine Freunde, ganz Berlin, ganz Deutschland. Und dann kamen auch noch die Besetzer. Seit Wochen war die Rede davon, aber dann kamen sie eben wirklich. Die Sonne schien gleißend hell an dem Tag, und als ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr, fuhr ich schnell.
Als ich ankam, erklärte mir die liebe Kollegin, die aus München gekommen war, einen zackigen Bob trug, teure Schminke und immer alles wusste und nie irgendwas verstand, dass es um drei losgehen sollte. Und dann sagte sie entrüstet: „Du guckst ja so, als würdest du dich darauf freuen!“ Tat ich das? Ich wollte wohl, dass es weitergeht, immer weitergeht. Aber wahrscheinlich doch auch, damit es endlich aufhören konnte. Vor ein paar Monaten hatte ich den Job als Redaktionsleiter im Team Dercon angenommen. Chris Dercon war vom Londoner Museum Tate gekommen und wurde von der damals in Berlin regierenden SPD als Nachfolger des Intendanten und Regisseurs Frank Castorf eingesetzt. Castorf hatte die Volksbühne über 20 Jahre lang sehr erfolgreich geleitet. Dercons Ernennung wurde von himmelschreiendem Protest begleitet. Von „einer Handlung gegen den Willen des Volkes“ war zu lesen und einem Angriff auf die Tradition der Bühne und des deutschen Sprechtheaters durch einen „Kosmopoliten“, der keinen Sinn für die Verwurzelungen der Volksbühne habe.
Die Besetzer kamen an diesem Tag mit circa 30 Leuten, aber im Hintergrund kamen immer mehr. Einige sprangen aus den vorgefahrenen Robben-und-Wientjes-Planwagen. Vom Look her studentisch, AStA-haft. Etwa fünf hatten blaue Mao-Jacken an, sie schienen die Anführer zu sein. Und sie hatten den dicken, glatzköpfigen Türsteher von dieser Nobeldisco dabei, der in den 90ern immer vor den richtigen Clubs stand. Mit langen Fahrradschlössern und Ketten riegelten sie die großen Eingangstüren im Kassenbereich von innen ab, vor den Seiteneingängen postierten sie ihr Wachpersonal, sodass ihnen in null Komma nichts der ganze Südteil des Gebäudes gehörte. Dann schleppten sie haufenweise alte Plastikstühle, riesige Töpfe, Biertische, Gaskocher, Sofas, Stehlampen aus den 70ern, einfach Unrat und viele Schlafsachen hinein. Zwei Polizisten standen am Rande. Der eine entgegnete meinem fragenden Gesicht in leierndem Ton, er könne vorerst kein Problem erkennen. Es waren große Zeiten. Und sie wurden immer noch größer.
Ein paar Tage später ging ich mit meiner Freundin und ihrer Tante, die aus den USA zu Besuch war, in die Volksbühne. Mittlerweile schaute die ganze Welt auf den Monolithen in der Mitte der deutschen Hauptstadt. Das linke Kunstkollektiv mit dem Namen „Staub zu Glitzer” hatte sich temporär eingerichtet.. Überall lagen Leute im Kreis herum und diskutierten oder schliefen oder beides. Die Tante, die von deutscher Kultur wenig verstand, fragte, warum diese Lumpen hier mich und meinen Boss am Arbeiten hinderten? Ich versuchte es ihr zu erklären. Ich hatte durchaus Sympathie für die Besetzer, fand sie aber auch scheiße, überhaupt war ich mir in diesen Tagen oft unsicher, wer ich war. Ein Agent zwischen den Fronten? Ein gemeiner, ordentlich bezahlter Söldner oder ein Avantgardist, weil ich versuchte, die Wirklichkeit mit all ihren Widersprüchen zu leben? Ich wurde jedenfalls Beobachter des größten Kulturkampfs der Nachwendezeit, in dem sich die politischen Koordinaten der kommenden Zeit auf merkwürdige Weise verschoben. Wussten die Besetzer, welche Geister sie riefen?
Wir standen also dort herum, da kam einer der Besetzer auf uns zu, ein süßer, schwelgerischer, stark schwitzender Mensch, und übergab uns sehr freundlich das rote Programmbuch, das ich gerade eben als Redakteur begleitet hatte. In dem Buch schrieben wir auf, wie wir uns die Zukunft der Volksbühne vorstellten. Auf das Cover hatte jemand mit schwarzem Edding „Mein Kampf “ geschrieben. Ich sah mich um und merkte, dass alle das rote Programmbuch trugen – und überall „Mein Kampf“ drauf. Der Tante konnte ich das nicht mehr erklären. Aber dann freute ich mich darüber und sagte zu ihr: „So was gibt es einfach nur hier. Das Unerklärliche!“
Über dem Treppenhaus, in dem wir damals standen, war ein großes Transparent entrollt, darauf stand: „Make Berlin Geil Again.“
Breite Front gegen den Boss
Auch das war nicht einfach zu verstehen. Warum bezogen sich die doch linken Besetzer auf Trump? Vieles ging eben durcheinander. Klar war: Es gab eine breite Front gegen meinen Boss, die sich in einer Flut schlimmer und kluger Feuilletonbeiträge und kritischer Kunstkommentare entlud, die zum Teil doch ziemlich nachvollziehbar erklärten, warum nicht funktionieren konnte, was mein Boss sich ausgedacht hatte. Noch bevor der Linken-Politiker Klaus Lederer sein Amt als Kultursenator antreten sollte, hatte er bereits ankündigt, Dercon passe nicht zur Volksbühne, sein Vertrag wäre zu prüfen.
Doch unterhalb dieser noblen Meinungsführer fand sich besonders im Internet alsbald ein riesiger Mob zusammen. Jeder schnauzte dort seine Meinung, offenen Hass und alle möglichen verstrahlten Verschwörungstheorien hinein, die knalligsten Ergebnisse präsentierte unser Internetbeauftragter wöchentlich in einem Meeting. Er war ziemlich am Ende. Denn wo der Internetbeauftragte versuchte für Aufklärung zu sorgen, wohlmeinend zu kommentieren und beidem täglich nicht hinterherkam, entfaltete sich das schwarz glänzende Reich, in dem die radikale Linke und die radikale Rechte zusammen gegen den neoliberalen Feind kämpften. Gegen syrische Laiendarsteller, jüdisches Geld, die SPD, Start-up-Business, Tanz auf einer Theaterbühne, geschlechtergerechte Sprache, englische Sprache, die Vertreibung normaler Menschen aus Berlin-Mitte und die bildende Kunst an und für sich. Und vor allem dagegen, dass ein Kosmopolit nun das deutsche Sprechtheater übernehmen wollte und also natürlich zerstören musste.
Sie agierten im Modus einer Kulturschutztruppe, die am Tage wetterte und nachts Fäkalien an unsere Bürotüren schmierte. In den Zeitungen konnten man lesen, dass es in Deutschland nicht möglich wäre, dass alte Linke und neue Rechte gemeinsam auf die Straße gingen und was kaputtschlugen, wie in Frankreich. Aber auf den Schnellstraßen von Facebook und Twitter trafen sie sich nun genau an dem dunklen Waldstück, wo man scharf rechts zur Volksbühne abbog. Sie waren das Volk. Und das würde man ja wohl noch sagen dürfen.
Nach vielen groben Fehlern und großen Missverständnissen musste mein Boss gehen. Die Protestler trugen einen Sieg davon, sie hatten den neoliberalen Kosmopoliten aus der Stadt gejagt.
Nur ein Bürger
Dieser Tage versammeln sich um die Volksbühne erneut Hunderte Demonstranten. Wenn ich das Haus samstagnachmittags anfahre, habe ich ein Déjà-vu: Eine Schar von Leuten hält Transparente hoch und demonstriert für und gegen so allerhand. Sie nennen es Hygiene-Demos oder auch Hygiene-Spaziergänge, und es ist im wahrsten Sinne ein „gäriger Haufen“, wie man ihn in Deutschland lange nicht gesehen hat. Radikale Impfgegner finden sich hier, 5G-Gegner, AfD-Politiker, viele Ältere, wild Verzottelte, junge Hools, aber auch einige in der hochpreisigen, wetterfesten Kleidung der Mittelschicht. Auf selbst gemalten Plakaten steht „Widerstand 2020“, einer ruft gegen das Rothschild-Regime, eine Christengruppe singt ein Lied zur Klampfe, ein Mann mit einer Zigarre und T-Shirt gibt Interviews vor zig Kameras und Mikrofonen. Ich frage ihn, ob er zu den Organisatoren gehöre. Nein, er sei nur ein Bürger, lacht er freundlich.
Sie reden und sie senden. Nach irgendwohin. Es hängt eine dunkle, verwirrte Euphorie in den Straßen um die Volksbühne. Die Mainstreammedien nennen die Demonstranten wohl zu Recht Querfront, was traditionell den Moment meint, in dem sich eigentlich verfeindete, links- und rechtsgerichtete Lager spontan zusammentun. Polizei ist heute auch viel da. Zwischen den Beamten sitzen einige im Schneidersitz auf dem Boden und meditieren für das Grundgesetz. Denn das ist es, was die Protestler zusammenführt, sie glauben: Was uns als Schutz der Bevölkerung gegen das Virus verkauft wird, richtet sich gegen unsere Demokratie. Im Gespräch werden dunkle Mächte und große Lügen angedeutet; das Verbrechen und die Verschwörung der Bundesregierung, powered by Bill Gates, das wäre ja offensichtlich. Deutschland im September 2020, für sie hier logischerweise eine Merkel- oder eben Corona-Diktatur.

Foto: Christian Mang/Imago Images
Auch ein Déjà-vu: Vor drei Jahren galt Frank Castorf vielen als Lichtgestalt. Seit man denken konnte, war er, der gebürtige Ostberliner, Intendant der Volksbühne gewesen. Die Dercon-Gegner glaubten nicht, dass er freiwillig abgetreten war, für sie wurde er durch eine Kabale vom Thron gestürzt. Castorf blieb das charismatische Genie, das sich hinter dem Vorhang meldete und mit seinen Worten Kraft gab. In diesen Tagen macht er sich erneut zum Stichwortgeber. Im Spiegel nannte er die Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 eine „Kampagne“. Castorf möchte sich wie alle hier am Platz nicht von der Kanzlerin sagen lassen, dass er die Hände waschen muss. Sogar Trump findet er jetzt super, „weil der aus der Reihe tanzt“. Der große Regisseur hat eine große Sehnsucht nach „republikanischem Widerstand“ und einem „wahnsinnigen Bürgeraufstand“.
Bei Verstand muss man sagen: Es sind andere Leute als damals, die sich heute am Rosa-Luxemburg-Platz treffen. Der Geist und Versammlungsort ist jedoch derselbe. Neben Castorf sind weitere prägende Leute von vor drei Jahren wieder federführend. Wie Hendrik Sodenkamp, der damals eine blaue Mao-Jacke trug und heute die Hygiene-Demos mitorganisiert und als Herausgeber der Zeitung Demokratischer Widerstand in Erscheinung tritt, in der auch der bekannte Philosoph Giorgio Agamben schreibt.
Einer seiner Mitstreiter, der Journalist Anselm Lenz, schrieb damals energisch gegen Dercon und für die Sache der Besetzer. Nun ist auch er Herausgeber der Zeitung, die in einer Auflage von 380.000 Exemplaren umsonst verteilt und als momentan größte Wochenzeitung Europas angepriesen wird.
Die Zeitung ist die Stimme einer neuen außerparlamentarischen Opposition, einer neuen APO. Die Spenden kämen von Medizinern und Juristen, im Leitartikel wird gegen die „verfassungsbrüchige Regierung“ empfohlen: „Masken ab!“ Rhetorisch wird gefragt: „Wo warst Du bei Corona?“ Antwort, na klar: „In der Opposition.“
Als Redaktionssitz wird die Postadresse der Volksbühne angegeben, das Haus selbst dementiert. Den Zeitungsmachern ist das egal. Um den 1. Mai herum wurde Lenz von Ken Jebsen für dessen Anti-Mainstream-Organ KenFM interviewt, der immer ein offenes Ohr für Verschwörungstheoretiker hat. Sie kommen auch auf die Volksbühne zu sprechen. Von dem Interims-Dingsbums sei nicht viel zu erwarten. Der aktuelle Intendant Klaus Dörr könne gar nicht für das Haus sprechen, denn „das ist unser aller Theater, Punkt“.
Das mochte ich damals an den Besetzern. Diese grandiose, völlig hanebüchene Behauptung, dieses Theater würde allen gehören. Von ungefähr kommt der Anspruch nicht, er bezieht sich auf die Gründungsgeschichte des Hauses. Allein durch Spenden der Mitglieder des Vereins Freie Volksbühne, sogenannte Arbeitergroschen, konnte der kolossale Bau des Theaters 1913 finanziert werden. Seitdem gilt es als Epizentrum proletarischer Kultur. Der Theaterreformer Erwin Piscator begründete hier das politische Theater, setzte Bühnenkunst im Auftrag der KPD in Szene. Zuletzt eben Castorf, Pollesch, Schlingensief und Sophie Rois, die die Sprache und die Haltungen meiner Generation spiegelten und formten. Jeder, der in dieses Haus zum Arbeiten geht, verändert sich. Es ist ein magischer Ort. Die Arbeiter, die ich dort traf, sind mit einem beeindruckenden Selbstbewusstsein und natürlichem Widerstandsgeist ausgestattet. Das war oft nervig, aber es war auch stur und schön. Überhaupt traf ich in der Volksbühne zum ersten Mal die Leute meiner Familie und meines Dorfes wieder, die ich vor Jahren verlassen hatte: Arbeiter und Handwerker. Ihnen war ich nun suspekt. Draußen die Linken, mit deren Ideen ich erwachsen wurde, auch ihr Feind war ich nun. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich stand zum ersten Mal auf der falschen Seite. Und ich fand es verwirrend, aber auch betörend.
Das Raunen
Kurz vor der Besetzung der Volksbühne saß ich mit dem Schriftsteller Maxim Biller, den ich bewunderte, und meinem Boss im Café gegenüber der Volksbühne. Wir redeten, sie redeten, ich hörte zu. Irgendwann sprachen sie über die Deutschen, die gerne dunkel raunen würden. Ich verstand das nicht. Raunen? Die Deutschen? Wer sind die? Und wenn, dann reden sie doch zackig, ordentlich, auf ein Ziel hin. Nein, nein, schauten sie mich an wie einen, der noch nicht alt genug war und kein Kosmopolit: Die Deutschen können nicht klar und deutlich sprechen. Vielleicht können sie es nicht, vielleicht wollen sie es nicht. Sie tun es nicht. Ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, aber so ungefähr war es und ich musste lange darüber nachdenken. Vor etwa einem Jahr schrieb Maxim Biller einen Text über den „Linksrechtsdeutschen“. Auch die Volksbühne kommt darin vor. Biller rechnet mit einem eigentlich aufgeklärten, kulturpolitischen Milieu ab, das sich durch eine schwermütig aufgeblasene, aber nie wirklich vollzogene Vergangenheitsbewältigung mit der neuen Rechten gemeinmacht. Sie teilen deren antimoderne, antiwestliche Positionen. Kann es sein, dass der „Linksrechtsdeutsche“ zum ersten Mal während der Volksbühnenbesetzung auf der Straße in Erscheinung trat? Damals verschwischten sich die Konturen. Es schien sich etwas aufzulösen. Links und rechts waren nicht mehr so klar.
Ob sie links oder rechts stehen, scheint die Demonstranten vor der Volksbühne nicht zu kümmern. Sie rufen einfach Widerstand, wie Pegida. Einige haben einen Alu-Bommel am Cowboyhut oder Revers befestigt, manche tragen ihn als Kette um den Hals. Mir wird erklärt, dass sei der Querdenker-Bommel. Ob ich von Bodo Schiffmann gehört habe? Der sei Arzt, gegen Corona, und der würde jetzt eine Partei gründen, „Widerstand 2020“. Aktuell führt er auf seiner Webseite fast 100.000 Mitglieder, Tendenz rapide steigend. Schiffmann hat den Querdenker-Bommel erfunden, der HNO-Arzt trägt ihn auch in seiner Praxis. Um die Volksbühne herum tragen sie ihn, um sich zu erkennen. Als Gleichgesinnte. Und Ermöglicher einer anderen, alternativen Welt. Es fühlt sich gefährlich an hier, wie eine offene Wunde, dunkel, leuchtend rot und wie Zukunft. Keiner scheint zu wissen, warum man so ganz genau zusammensitzt. Aber eine große Erwartung sättigt die Luft. Nicht alle sind komplett verspulte Rechte. Eine Frau trägt einen Hut mit durchgestrichener AfD-Sprechblase. „Vor zehn Jahren wäre es doch undenkbar gewesen, dass sie hier gemeinsam mit Nazis stehen, oder?“, frage ich sie. „Nazis?“, antwortet sie. „Ich sehe jetzt auf Anhieb keine.“ Und wenn es welche gäbe, wäre das doch nur ein Abbild der Gesellschaft, wir seien doch alle Menschen.
Was in der Politik zu Faschismus und Totalitarismus führt, ist auf der Bühne genau richtig, hat der Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann zur besten Castorf-Zeit aus der Volksbühne herausgebrüllt. Es waren herrliche, postmoderne Zeiten, in der sie alles, was sie links und rechts am Wegrand fanden, in größter Kreativkonzentration durch ihren messerscharfen Fleischwolf gedreht haben. Heute passiert das unter völlig anderen Vorzeichen. Vor drei Jahren war der „Widerstand“ zu guter Letzt ein Spiel mit Symbolen und Stimmungen, die Castorf’sche Ästhetik nachahmend, als Kunst ein Flop, aber durchaus mit politischen Folgen. Den Volksbühnen-Besetzern war wichtig, dass sie queer sind, jetzt hat es ein e weniger, quer. Aber jetzt ist kein diskursiver Kulturkrieg, jetzt ist Seuche, jetzt ist der Ernstfall. Und um die Volksbühne herum plädieren sie Seite an Seite mit Rechtsnationalen für deutsche kulturelle Identität und Selbstermächtigung, gegen Weltoffenheit, Internationalität, letztlich gegen das Zivilisatorische. Sie wollen keine Masken tragen und keinen Abstand halten. Ihre Distanzlosigkeit ist Prinzip – unmittelbare Nähe suchen, verschmelzen, wieder Masse werden. So nah ran, dass man nichts mehr erkennt.
Am dritten Tag der Besetzung wurde die AfD in den Bundestag gewählt. „Der Geist der AfD ist an diesem Wochenende nicht nur in den Bundestag eingezogen, sondern auch in die Volksbühne. Sie argumentieren wie rechtsradikale Verschwörungstheoretiker, die sagen, sie geben Deutschland den Deutschen zurück“, schrieb der Journalist Frédéric Schwilden. Ich fand nicht, dass das stimmte. Ich fand, in der Volksbühne saßen junge Menschen, die das Richtige wollten. Sie waren nur am falschen Ort. Jetzt mögen die Demonstranten am richtigen Ort sein, aber sie wollen das Falsche.
Eine frühere Version dieses Textes enthielt einen Falschnennung des Namens des Kunstkollektivs „Staub zu Glitzer” und eine missverständliche Formulierung zur Arbeit von Anselm Lenz. Beides wurde nachträglich korrigiert
Kommentare 8
Verzwickte Lage. Über den »Volksbühne«-Konflikt von 2017 will ich nicht urteilen – auch weil mir dafür zu viel unterschiedliche Parameter im Raum rumschwirren. Allerdings scheint mir die von oben aufgezwungene Einsetzung eines Intendanten, mit dem keiner zusammenarbeiten wollte, nicht gerade der weiseste Weg zu sein, ein Problem zu lösen. Was praktisch bedeutet: Dercon und Lederer sind in diesem Spiel sicher nicht die rundum Guten. Vielmehr hat das Gemälde neben Schwarz und Weiß ganz viele Grautöne.
Die im Beitrag aufgeworfene (und auch ein Stück weit beantwortete) Frage, inwiefern Sowas zu Sowas führt, ist noch schwieriger zu beantworten. Rückblickend betrifft das sicher auch die – schon damals schwer zu beantwortende – Frage zu den Ereignissen 2017. 2020 haben wir nun den Salat – aus »queer« ist »quer« geworden, und wer mit Impfgegnern und Holocaustleugnern gemeinsame Sache macht, hat mit dem Lager des Fortschritts sicher nicht mehr viel gemein.
Was hilft? Der sogenannte »Widerstand 2020« dürfte sich – nach der AfD – als neues Demokratie-Problem entpuppen: im bestmöglichen Fall sowas wie Cinque Stelle, im schlechteren, wahrscheinlicheren »Lega light«. Lassen wir die Ideologie beiseite und kaprizieren uns auf die Forderungen. Da wabert und anti-merkelt es vor allem; die konkreten Anliegen sind mit den aktuell auf den Weg gebrachten Lockerungen zum Teil bereits erfüllt und somit gegenstandslos.
Was mir an der neuen Bewegung auffällt, ist die völlige sozialpolitische Abstinenz. Sicher – da wird viel von Grundrechten geraunt, von Bill Gates, neuer Weltordnung und so weiter. Konkret – vom Einkassieren der COVID-19-Restriktionen einmal abgesehen – steht diese Bewegung (sofern sie eine ist; im Internet kann man immer viel daherposaunen) allerdings bemerkenswert nackig da.
Alle gereizt, etwas? Für Küchenpsychologie fühle ich mich gemeinhin nicht so zuständig. Allerdings scheint es mir schon so, dass einer Reihe Leuten – vor allem netzaffinen – die aktuelle Krisenlage schwer aufs Gemüt zu schlagen scheint.
es mag überschneidungen mit links geben, aber auf "freiheit" zu pochen, auf "grundrechte" usw, das ist im kern (neo)liberal.
warum zieht der autor diese verbindung nicht?
r.zietz ist zuzustimmen: es gibt keine (linken) sozialpolitischen aussagen dieser sog. bewegung, somit ist sie nicht links, auch wenn einige der figuren sich als links betrachten oder v.d. medien als links bezeichnet werden, um die linke mit querfrontvorwürfen zu diskreditieren und zu spalten.
den spin gibt es ja schon sehr lange (extremismustheorem).
wie sich die diversen berichte über diese demos/bewegung lesen handelt es sich um eine rechtsliberalnationale melange, was daran wirklich links sein soll erschließt sich mir nicht.
und castorf: durfte den maestro vor 10jahren kennen lernen, abseits seiner großen verdienste um das theater/die volksbühne ein patriarchaler, eitler, alter, weißer mann, dessen aussagen zu z.b. corona nicht zu ernst genommen werden sollten.
Ihre dichte Beschreibung, rund um die Volksbühne, gefällt mir, ihrem Leser fernab der Bärenstadt, sehr gut. Für mein Gefühl, schreiben Sie zudem stilvoll, Herr Feldhaus.
Sie waren mittendrin und vermitteln den eigenen Zwiespalt, als professioneller Journalist, dann in der Rolle eines Redakteurs für den "Boss". - Nannte man Dercon allgemein so, im Team?
Erschreckend, dass in Deutschland, in der Hauptstadt, selbst die entferntesten kulturpolitischen und kulturellen Geschehnisse, die Diskussion um passende und unpassende Personen mit Verantwortung, die Diskussion um das passende Vorgehen während einer Epidemie, immer noch brutal und faktisch von jeder Seite, mit dem Ligaturbogen zum Dritten Reich versehen wird.
Der "Boss", was immer man von ihm halten mag, war und ist nie ein "Mein Kampf"- Programmatiker gewesen. Casdorf, was immer man vom ihm halten mag, wird kein Rechter, nur weil er, wie andere Intendanten und Impressarios, ein bisschen an der eigenen Größe und Grandiosität arbeitet, auch wenn er Bürger ist. - Ob das eine, an und auf Bühnen und beim Film, immer noch häufiger auftretende Form männlicher Selbstüberschätzung und mangelnder Selbstreflektion ist, mögen klügere und kompetentere LeserInnen bewerten.
Woher kommt das aber? - Ich vermute schon länger, dass es mit der kulturellen Leere zu tun hat, mit der sich diese eigentlich feste, belastbare und widerständige Demokratie, die jene Art Demonstrationen einer Pseudoquerfront locker wegsteckte, in eine Verdruckstheit zwingt, bei der im "Café Deutschland", außer an schaurigen Rückblicken, nichts der Zukunft Zugewandtes und Eigenes diskutiert werden kann.
Verstörend auch, wie wenig Humor, Witz und Hintersinnigkeit die jeweiligen Protagonisten aufbringen. Es wirkt alles todernst und daher lächerlich. Es wirkt alles unbedingt nötig und daher starr.
Beste Grüße
Christoph Leusch
"Verstörend auch, wie wenig Humor, Witz und Hintersinnigkeit die jeweiligen Protagonisten aufbringen. Es wirkt alles todernst und daher lächerlich. Es wirkt alles unbedingt nötig und daher starr."
Bezieht das jetzt nur auf die bösen(?) Querfrontler", oder auch (wie ich es ansonsten nämlich auch sehe) auf die guten(?) "Grundgesetz - Aushebler" ?
"Querfront" ist ein sinnentleerter Begriff geworden, genauso wie "Linke". "Hufeisentheorie" durch die Hinter-, nee, Seitentür.
Schade.
Frank Castorf,
vor 50 Jahren verbanden uns die Poesie und die Lyrik der längst Verstorbenen und die der mit uns Lebenden, denen wir uns verbunden fühlten, nicht nur in der Warschauer Str. 24 im Hinterhof drei Treppen rechts, in der "Mokka Milch Eisbar", im Kaffe "Sybille" oder der Kantine der "Volksbühne".
Ich würde mich freuen Dich in Deinen Wurzeln zu erkennen.
Liebe Grüße aus Düsseldorf am Rhein.
Frank Mögling
Also ich versteh überhaupt nicht um was es hier geht. Da machen ein paar gestörte eine Demo in Berlin und der Freitag schreibt zwei Seiten darüber. Bin mal wieder froh kein Berliner zu sein!