Das Internet rastete aus, und es war recht tröstlich, dass das endlich einmal nicht nur am Virus lag, sondern an dem Virus und Britney Spears. Eigentlich am Virus, an Britney Spears und dem Kommunismus.
Auf Instagram teilte die Sängerin für sie extrem untypischen Content, ein Bildchen nämlich, auf dem stand: „Wir werden uns gegenseitig füttern, den Reichtum umverteilen, streiken“. Ihr eigener Kommentar dazu: „Gemeinschaft wird die Mauern überwinden“, plus drei Rosen-Emojis. Die drei roten Rosen gelten in den Vereinigten Staaten als Symbol der sozialistischen Bewegung.
Das Posting lässt nun zwei Schlüsse zu: Die 38-Jährige, die in den 1990er Jahren wohl der größte Popstar des Planeten war, hat nun endgültig die Pfanne heiß. Was nicht so weit hergeholt ist, seit 2008 steht sie nach mehreren psychischen Zusammenbrüchen unter der Vormundschaft ihres Vaters und, so erklärte es mir die Spears-Spezialistin Ricarda Messner, praktisch in einer Art Quarantänebeziehung zur Welt. Oder aber, wie das linke Magazin Jacobin nahelegte: Die Leute hören auf Prominente. Menschen, die normalerweise nicht mit der sozialistischen Idee in Berührung kommen, würden nun von der Sängerin aufgefordert, ernsthaft einen Generalstreik in Erwägung zu ziehen. Mit 23,7 Millionen Anhängern auf Instagram wäre sie da massiv hilfreich.
Hat sich die Sängerin wirklich von einer erzkonservativen Bush-Anhängerin zur klarsichtigen Progressiven gewandelt? Genau diese Frage der Verwandlung beschäftigt aktuell sehr viele Menschen. So sagte der Zukunftsforscher Matthias Horx: „Ich werde derzeit oft gefragt, wann Corona denn ‚vorbei sein wird‘ und alles wieder zur Normalität zurückkehrt. Meine Antwort: Niemals. Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Diese Zeiten sind jetzt.“
Wie wird uns das verändern, was gerade passiert? Womöglich lässt sich eine Antwort in dem Blick finden, den wir auf Prominente werfen. Denn die sind nicht nur immer schon gesellschaftlicher Sehnsuchtsspiegel, sondern auch Verstärker. Wenn wir hören, dass Prinz Charles und Boris Johnson positiv auf das Virus getestet wurden, genau wie NBA-Star Kevin Durant, das Bond-Girl Olga Kurylenko und Oliver Pocher – und in Insta-Storys der berühmte Schauspieler Tom Hanks uns an seinem Krankheitsverlauf teilhaben lässt –, verstehen wir genauer, dass es das Virus gibt. Der Kopf kann die Information auf diesem Weg in sein Herz schließen. Es wird dann wahr. Durch die unwahrsten Figuren, die unsere Gesellschaft hervorbringt. Als Lupe und als Leiter. Dabei sind die Reichen und Schönen jetzt gezwungen, genau dasselbe zu machen wie wir alle: sich dabei zuzusehen, wie ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Manchmal fällt uns etwas Lustiges ein, manchmal auch ihnen: Madonna tanzt rum und sieht operiert aus, Robbie Williams macht Quarantäne-Karaoke. Wenn Selena Gomez allerdings aus ihrer Luxusküche eine Handwasch-Challenge, #SafeHands, startet oder Gigi Hadid ein Selfie mit abblätternder Beauty-Goldmaske macht, #stayhome, hinterlässt das auch schlechte Gefühle, die später vielleicht nicht so einfach wieder einzufangen sind. Der Unterschied zwischen Haben und Nichthaben wird dieser Tage nun mal frappierend.
In Kriegs- und Krisenzeiten wollen wir keinen Quatsch. Voyeurismus ist nicht interessant. Es entwickeln sich passende Prominente. Heraus stechen der Virologe Christian Drosten und der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Jeder kennt die beiden. Allein durch ihre Körper, Stimmen und ihr Charisma füllen sie unsere Projektionsflächen. Während der schlaksige Drosten mit den Wuschelhaaren zum genialen Erfinder und Erklärcharakter wird, agiert Wieler mit dem respektablen Schneid eines adeligen Geheimbündlers (geboren ist er an einem Ort namens Königswinter). Er, der Ultrawissenschaftler (und nicht Jens Spahn), wird den Dampfer Deutschland durch den Sturm und wieder auf Kurs bringen. Drosten ist der Typ, der kurz vor knapp noch ein Gegenmittel an den Start bringt, das alle immun macht, und dann wird er so hübsch verwirrt und jungenhaft in die Kamera lächeln wie dieser Typ bei James Bond, der 007 immer die irren Waffen baut.
Vieles wird sich durch die Krise verändern. Die Vielfliegerei. Womöglich verschwindet ein jahrhundertelang eingeübtes südeuropäisches Begrüßungskusskuss-Ritual vom Erdboden. Aber Celebrity-Kultur und Gossip nicht. Erst durch sie schaffte der Homo sapiens es an die Spitze der Nahrungskette. Alle Top-Historiker wissen: Sprachkompetenz wurde vor 70.000 Jahren nicht entwickelt, um sich über Löwe und Büffel zu unterhalten, sondern über die Artgenossen. Die Verbreitung von Klatsch und Tratsch ermöglichte verlässliche Informationen über vertrauenswürdige und eben nicht vertrauenswürdige Mitmenschen. Erst dadurch konnten die Sapiens ihre Clans vergrößern und komplexere Formen der Zusammenarbeit entstehen. Das Wichtigste auf der Welt bleiben so auch in Zukunft: andere Leute. Auch und gerade wenn sie so unerreichbar sind wie aktuell.
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