Eine dumme Frage

Kulturbetrieb Warum Kunst uns nicht mehr empört – und warum doch
Ausgabe 08/2020
Das kunterbunte „Bouquet of Tulips“, die eigentlich aussahen wie Marshmallows – manche sagten sogar: After –, wirkte auf viele völlig unangemessen
Das kunterbunte „Bouquet of Tulips“, die eigentlich aussahen wie Marshmallows – manche sagten sogar: After –, wirkte auf viele völlig unangemessen

Foto: Theirry Chesnot/Getty

Kürzlich in einem Restaurant. Kulturmenschen reden miteinander, kulturelle Themen. Was man so redet. Man kennt sich aus. Einer dieser Menschen kennt sich nicht so gut aus, verdient aber mehr Geld als die übrigen. Er ist Arzt, und weil er wenig versteht, und vielleicht auch, weil er mehr Geld verdient als die anderen, fragt er dann einfach drauflos, so in etwa: Kunst sorgte früher regelmäßig für Aufregung. Sie provozierte, manchmal pflügte sie die Gesellschaft um, fügte ihr gute Ideen zu, sprengte Grenzen und kritisierte die Verhältnisse. Wieso ist das bloß heute nicht mehr so?

Eine dumme Frage, wirklich. Alle (außer er) sind sich einig und werfen entsprechend abgeklärte Blicke über den Tisch. Man fragt so was doch nicht. Man fragt ja auch nicht, warum heute nicht mehr so revolutionäre Lieder erfunden werden wie A Day in the Life von den Beatles oder ein Album wie Kraftwerks Trans Europa Express. Oder Hip-Hop. Oder die verdammte Walstein-Sonate von Beethoven! Gott. Ja. So war das nun mal. Man bestellt noch was zu trinken. Man trinkt. Dumme Frage.

Allerdings eine, die dann wächst, im Kopf, in den Abend hinein, in die Nacht und bis zum nächsten Morgen. An dem man dann geträumt hat von den wütenden Gemälden von Jackson Pollock, Pop-Art-Andy, Fluxus-Performances und dem Oberförster und Grünen-Gründer Joseph Beuys, all diese Superkünstler, die ein bisschen mehr von der Welt zu wollen schienen. Vielleicht war das ja gar nicht so eine dumme Frage.

Zweifellos lässt sich ohne Weiteres feststellen, dass in dem gegenwärtigen Zeitalter nach der Postmoderne in allen kulturellen Genres die radikalen formalen Brüche und Neuerungen vollzogen scheinen und die daran geknüpften Kämpfe gekämpft. Es gibt weniger Radau, man diskutiert komplexe Detailfragen und übt sich in Verfeinerung. Vieles ist bereits aufgebrochen, auseinandergenommen und dann de- oder rekonstruiert. Oder umgekehrt. Das finden Leute, die Streit und Action gut finden, ziemlich langweilig. Sie erklären Kulturpessimistisches. Geht es gar nicht weiter? Halten wir einfach an!?

Aber ganz so, merkt man dann zwei Tage im Schwimmbad unter Wasser, ist es ja doch nicht. Denn es gibt den Skandal und die Empörung schon noch. Zuletzt entzündete sie sich etwa an der Stele des „Zentrums für politische Schönheit“, in der angeblich die Asche von Holocaust-Opfern lagerte, dem Nobelpreis für Peter Handke oder auch an der Statue, die Jeff Koons für die Opfer des Bataclan-Terrorangriffs in Paris aufgestellt hat (das kunterbunte Bouquet of Tulips, die eigentlich aussahen wie Marshmallows – manche sagten sogar: After –, wirkte auf viele völlig unangemessen). Interessant ist, dass der Streit, der dabei aufkommt, heute immer im Kern ein moralischer ist. Dürfen die das? Auch wenn jetzt über die NS-Vergangenheit (und deren Vertuschung) bei Berlinale und Documenta diskutiert wird, geht es um Bewertungen menschlichen Handelns und letztlich Fragen politischer Korrektheit. Manhattan, das hysterische Zentrum westlicher Kunst, liegt seit einiger Zeit im Selbstzerfleischungsmodus, es wütet die „Cancel Culture“, die Künstler, die nicht auf politischer Linie sind, an den Pranger stellt. Die Kunst beschäftigt sich heute mit ethisch-sittlichen Fragen statt mit Formenzertrümmerung. Und hantiert dabei mit ehedem systemfremden Unterscheidungen (gut/böse, rechts/links). Man ruft den Arzt an, dankt ihm. Der Arzt ist der Schlauste. Er fragt, ob man nicht mal wieder essen gehen wolle. Man verneint, lieber nicht.

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