Toooor! Oldie Kai Havertz spielt auf Inka Stürmer, die zieht direkt ab. Unhaltbar für die Torhüterin von Brasilien!“ So ruft es die Stimme eines Moderators während eines möglichen deutschen WM-Eröffnungsspiels. Zuschauerrekord vor den Fernsehern des Öffentlich-Rechtlichen, den es Gott sei Dank immer noch gibt. In der Zukunft. Wenn das Ende des reinen Männerfußballs besiegelt ist.
Wetten, dass vielleicht schon nächstes Jahr in Katar, mit Sicherheit aber 2030 die erste Fußballweltmeisterschaft stattfinden wird, bei der Männer beim größten globalen Sport- und Medienereignis nicht mehr nur gegen sich antreten, sondern die besten Männer und Frauen ihrer Nationen in einem Team spielen?
Das mag noch abwegig klingen, schaut man aber genauer hin, spricht alles für diese These. Mit dem Siegeszug von Gendergerechtigkeit und Geschlechterdiversität wird das bereits heute oftmals anachronistisch anmutende Männerspiel schon bald keinen „Sinn“ mehr ergeben. Die Stimmen werden sich mehren, die es zuerst als unangenehm und später als nicht hinnehmbar empfinden, dass ein so großes mediales Ereignis immer noch in diesem Repräsentanzrahmen stattfindet. Dass ausschließlich Männer durchs Bild laufen, wenn Millionen zuschauen. Gemischte Expert*innenrunden im TV, wie sie bei dieser EM überhaupt erstmals stattfinden, sind hier Vorläufer einer zwangsläufigen Entwicklung.
Aber wie steht es mit den Körpern?, wird man fragen. Sind Frauen und Männer nicht einfach so verschieden gebaut, dass dies keine Gendertheorie wegerklären kann? Wer sich die Spiele dieser EM anschaut, sieht richtig: Gefragt sind gigantische Modellathleten mit so muskulösen und dynamischen Bodys wie noch nie zuvor. Wie sollten Frauen mit Typen wie Erling Haaland oder Romelu Lukaku mithalten? Ab der Pubertät können Mädchen nun einmal nicht mehr so schnell sprinten, so hoch springen oder ihren Körper so brachial zum Abschirmen des Balles einsetzen wie Jungen. So jedenfalls der aktuelle Stand der Wissenschaft.
Wer jedoch etwas genauer hinschaut, erkennt auch etliche Abweichungen von der neuen Norm. Es laufen dort spindeldürre Feingeister wie Havertz und es finden sich sogar „Brocken“ wie ein Süle in der Aufstellung. Nach dem Viertelfinalspiel der Italiener schrieb eine Zeitung über deren eher klein gewachsene Spieler: „Fußball kann wunderbar unter 1,70 Meter sein. Man kann Fußball spielen wie ein Riese und man kann außergewöhnliche Dinge in einem kleineren Körper tun, der aber bewundernswert den Ball herumschleudert.“
Und der Körper ist schon längst nicht mehr alles. Mindestens so wichtig ist die Spielintelligenz, wie sie ein Kimmich besitzt, oder ein Thomas Müller, von dem es trotz seiner versiebten Großchance gegen England heißt, er könne die Räume auf dem Feld auf außergewöhnliche Art „lesen“. Seit etwa zwei Jahren geht es beim Fußball sehr viel um die Handschrift der Trainer. In deren Strategien kommt es auch auf Werte wie Erfahrung an und darauf, aufgrund einer einmaligen Fähigkeit in ein bestimmtes „System“ zu passen. Den Ausschlag für die Wahl geben nicht mehr nur Muskeln, sondern auch eher weiche Kriterien. Und diese, das sagt Ihnen auch jeder Fußballtrainer, können Frauen genauso gut und schlecht erfüllen wie Männer. Es erschließt sich schon heute nicht und wird sich in zehn Jahren erst recht nicht mehr erschließen, warum Fußballspielerinnen den Raum nicht potenziell ähnlich deuten können wie Thomas Müller.
Nun ist dies kein Plädoyer für den Frauenfußball. Der Autor weiß natürlich, dass es diesen schon lange gibt. Es geht darum, dass die Evolution des Fußballs das Tor für die Mixed-Mannschaft in diesem Moment geöffnet hat. Eine Weltmeisterschaft, in der Männer und Frauen in einem Team spielen und dieses von einen großen Teil der Menschheit mit Spannung verfolgt wird, wäre nicht nur das Abbild einer besseren Welt. Es wäre auch einfach interessanter. Es heißt, keine Welt vor der unseren sei so ausdifferenziert und stelle zugleich so komplexe und flexible Anforderungen an ihre Bewohner*innen. Über den modernen Fußball, darin Spiegel der Gesellschaft, lässt sich dasselbe sagen.
Kraft und Talent stellen dabei natürlich immer noch wichtige Merkmale dar, sind aber längst nicht mehr allein ausschlaggebend. Und sind Frauen nicht deshalb heute auch ganz selbstverständlich Soldatinnen (gemeinsam, nicht getrennt von den Soldaten), weil sich die Wahl der Waffen, weil sich die ganze Idee der Kriegsführung verändert hat? Eine gemischte Mannschaft würde neue, extrem aufregende Strategien und Ideen ermöglichen. Es wird das alte Spiel bleiben. Und ein anderes werden.
Auch wenn heute im Fußball vermutlich immer noch eine Mehrheit gern möchte, dass alles so bleibt, wie es ist, hält das den Fortschritt nicht auf. Das kulturelle Klima tendiert klar zur gemischten Mannschaft. Aber auch die Sponsoren, also diejenigen, die alles bezahlen und mit dem riesigen Wettkampf Geld machen, werden die fluide WM präferieren. Einfach deshalb, weil in der gemischten Mannschaft ein Geschlecht mehr seinen Platz finden und damit auch die „andere“ Hälfte der Weltbevölkerung, die bisher mit Fußball recht wenig anfangen konnte. Mehr Spieler*innen bedeuten mehr Zuschauer*innen, bedeuten mehr Käufer*innen.
Ab heute stellt sich für Sie also die simple Frage: Wollen Sie zu jenen vielen gehören, die es vor 200 Jahren für eine absolut absurde Idee von Verrückten hielt, dass Frauen Romane schreiben, und vor 100 Jahren, dass Frauen Regierungen wählen, und vor 20 Jahren, dass auch mal Frauen in der Wirtschaft den Hut aufhaben? Oder wollen Sie Ja sagen zur Zukunft des Fußballs?
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