Allegro Pastell, das vierte Buch des 1983 in Frankfurt am Main geborenen Schriftstellers Leif Randt, erzählt, so jedenfalls sein Verlag, „vom Glück“. Es ist die Geschichte von Tanja und Jerome, die eine Fernbeziehung zwischen Neukölln und Maintal führen, sich extrem gut mit ihren Eltern verstehen und die Oberflächen der Wirklichkeit eines Jahres abgleiten. Jogging durchs Naturschutzgebiet, Emojis verschicken am Handy, viel Badminton, Betrug, sexpositives Ausgehen in Berlin, es ist alles dabei. Und es ist das goldene, glitzernde Nichts, das hier so beschrieben ist wie bisher vielleicht wirklich noch nie. Die Protagonisten haben sich immer etwas zu sagen, meistens das Richtige. Sie haben nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel Geld. Und fühlen sich. Nicht zu sehr. Aber auch nicht zu wenig. Sie nehmen genau dosierte Drogen, in dem perfekt temperierten Roman, über den in der Zeit zu lesen war, dass sich an ihm eine neue Jugendbewegung entzünden könnte und kein Millennial künftig einen Roman schreiben, ohne sich zu Leif Randt zu verhalten. Wer also ist dieser Typ?
Der Freitag: Herr Randt, bereits vor zehn Jahren ging es Ihnen darum, einen „maximal entspannten Text zu schreiben“. Nun, könnte man sagen, ist das gelungen. Erleben Sie sich schreibtechnisch mit Mitte 30 gerade in einer Art Zenit?
Leif Randt: Ich war zwischendurch sicher, mein bestes Buch schon vor knapp zehn Jahren geschrieben zu haben, dann, wenn man beste Bücher schreibt, mit Mitte, Ende 20. Jetzt hat aber eine neue Phase begonnen, scheint mir. Ich traue mich andere Sachen. Ich habe dazugelernt. Ich habe Bock. Circa alle fünf Jahre ein schmales Buch. Das ist das Ziel bis zum Ende des Lebens.
Es geht viel um Awareness im Roman. An welchem Punkt wird Achtsamkeit bzw. Selbstbeobachtung eigentlich zum Problem?
Wenn man selbst darunter leidet, sich unfrei fühlt oder anfängt, darüber etwas zu unterdrücken, das sich dann irgendwann in körperlichen Beschwerden äußert. Ich hatte bisher nie Probleme dieser Art. Ich bin aber auch weniger „woke“, wachsam, als andere.
Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Leif Randt ist ein weißer Westdeutscher, der seine eigene Schüchternheit über die Jahre hinweg durch viel Schreiben und Sprechen überwunden hat. Er mag es, wenn Leute erzählen, er mag Filme, Mode und Katzen.
Welche Musik haben Sie beim Schreiben von „Allegro Pastell“ gehört?
Beim Schreiben selbst fast gar nichts. Aber generell war es in dieser Zeit viel Teenagermusik. Lil Peep, Yung Lean, Bladee, Blink 182 ... Alberne Euphorie und feierliche Depression. Aus Skandinavien und L. A.
Mal grundsätzlich: Was sind Lieblingsautoren oder -bücher?
Ich habe in den letzten Jahren so unfassbar wenige Bücher gelesen, dass ich darauf nicht mit gutem Gewissen antworten kann. Der junge Peter Handke hat mich früher stark begeistert, aber auch den habe ich länger nicht mehr aufgeschlagen. Ich lese für Tegel Media, das ich redaktionell betreue, viele kurze Texte. Und ins Kino oder ins Theater zu gehen, ergänzt sich besser mit dem Schreiben, als Romane zu lesen.
Ich zitiere aus dem neuen Buch: „Es ging in Maintal weder um den Aufbruch noch um Restauration, wahrscheinlich ging es primär darum, nicht gestört zu werden, und diesen Wunsch konnte Jerome – auch wenn es nicht sein größter war – durchaus nachempfinden.“ Was hat es wohl mit der Ruhe auf sich, die durch den Roman streicht?
Mid-Age is hitting me. Mir tut das gut, zwischendurch Zeit an Orten zu verbringen, die wenig Entertainment bieten. Zudem ist die Sehnsucht nach Meditation ein Thema. Klar sein, fokussiert. Ich finde das erstrebenswert.
Spüren Sie manchmal Ambitionen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?
Zunehmend. Ich habe große Lust, an neuen Systemen mitzudenken. Eine kybernetisch geregelte Planwirtschaft, die dennoch Anreize zu Innovationen gibt. Zum Beispiel. In den Zwanzigern wird viel passieren.
Zur Person
Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt am Main, lebt in Maintal-Ost und Berlin. Nach den sanften Sci-Fi-Romanen Schimmernder Dunst über CobyCounty (2011) und Planet Magnon (2015) ist nun Germany’s next Lovestory erschienen: Allegro Pastell (Kiepenheuer & Witsch, 288 S., 22 €)
Wie erleben Sie die Corona-Epidemie?
Ich bin ziemlich fasziniert, habe aber auch Sorge um meine Eltern. Die sind beide über 70. Solange man noch spazieren gehen darf, ist es auszuhalten. Ausgangssperre wäre schlimm. Zugleich sehe ich die Vorgänge als Chance. Eventuell stellt die Gesellschaft darüber fest, dass die Welt gar nicht zusammenbricht, wenn nicht alle ständig arbeiten gehen. Außerdem werden Entwicklungen hin zu digitalen Versammlungsorten jetzt beschleunigt, glaube ich.
„Mit welchen Farben, Formen und Gesten konnten sie sich im Frühjahr identifizieren – diese grundsätzlichen Fragen setzten sie im Frühjahr 2018 ziemlich unter Druck.“ Streng genommen haben die Protagonisten in Ihrem Roman wirklich überhaupt keine Probleme, oder?
Tanja wird manchmal unkontrolliert sauer. Jerome hadert mit Teilen seiner Vergangenheit. Beide stehen beruflich unter Druck. Aber Probleme im engen Sinne sind das nicht. Was ihnen auch hilft, ist, dass sie eben nicht außergewöhnlich reich sind. Sie sind nur halbwegs abgesichert durch ihre Eltern, müssen aber keine Vermögen verwalten oder so. Ja, es geht vielleicht niemandem besser als Tanja und Jerome.
Kürzlich habe ich eine junge Redakteurin kennengelernt, die bei einer großen Modezeitung Themen wie Gender, Poc, Rassismus aufs Tapet bringt. Sie war sehr ausgeglichen und sagte oft „Ich finde nur fair, dass …“ oder „Das ist fair“. Ich mochte das sehr. Das war so ein „Allegro Pastell“-Wort. Wie „stabil“, „aufrichtig“ „nice“ oder „sinnvoll“. „Es war ein fairer Austausch“, steht auf S.178. Oder ein Satz wie: „... dann hatten sie die Globalisierung zu gleichen Teilen umarmt und verdammt“. Es geht immer um Balance. Andererseits, eigentlich ist unklar, wie die Protagonisten etwa zur Frauenquote stehen. Eigentliche Frage: Haben Sie ein Lieblingswort im Roman?
Ich bin Waage mit Aszendent Waage. Eventuell ist das der Hauptgrund für meine Poetik des ständigen Abwägens, Ausgleichens und Auflösens. Auf einige wirkt das neurotisch, aber ich leide nicht darunter. Vernünftig sein, sich dabei aber nicht langweilen – das ist auch eine Haltung der Charaktere in Allegro Pastell. Ein Lieblingswort habe ich nicht. Frauenquote: gut.
Die Protagonisten sind sehr flexibel, können eigentlich allem etwas abgewinnen. Was sie falsch finden, gibt es nicht oder wird ausgeklammert. Politik kommt nicht vor, aber alle im Buch sind Merkel-Fans, „auf einer affek-tiv-menschlichen Ebene, ohne sie je gewählt zu haben“. Wäre es falsch, zu sagen, das Buch ist im Geiste von Angela Merkel geschrieben?
Ich muss widersprechen. Das Wort „Fan“ ist zu viel. Jerome hat ja sogar eine echte und tiefsitzende Abneigung gegen Merkels Partei, denn beim Wahl-O-Mat landet die CDU unter den demokratischen Parteien immer ganz hinten. Sicher verhalten sich Tanja und Jerome oft pragmatisch, so wie man es auch Merkel unterstellt, aber die These ist mir zu steil, zu zwangssymptomatisierend. Allegro Pastell ist aus einer positiven Grundstimmung entstanden, die Grundstimmung am Ende der Ära Merkel empfinde ich als fragiler, aggressiver, nervöser.
Von wem haben Sie wohl am meisten gelernt?
Von meinen Eltern.
Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie schwierig fanden Sie es, über Sex zu schreiben?
Eher leicht eigentlich.
Für mich verschmelzen die beiden Protagonisten manchmal zu einer Person. Ich kann sie fast nicht auseinanderhalten. Ist das mein Fehler? Oder ein Kunstgriff?
Meistens, wenn ich neu verliebt war, hatte ich das Gefühl, dass mir die andere Person wahnsinnig ähnlich war und man sehr ähnliche Bedürfnisse hatte. Der Trennungsgrund war meistens, dass man doch verschiedene Bedürfnisse hatte.
Gibt es denn gar nichts, über das man sich beklagen könnte?
Im Gegenteil. Es gibt ständig Grund zur Klage. Aber man fühlt sich danach nicht besser und es hilft ja auch nichts. Vielleicht könnte man sagen, dass viele Menschen zu wenig motivierte Kritik äußern. Im Kulturbetrieb wird oft alles erst mal kritisiert, von oben bis unten, das ist der Sport, den man lernt. Ich habe in den letzten Jahren eher versucht, Dinge gut zu finden.
Haben Sie Verständnis für Leser*innen, die das alles total nervig, merkwürdig fremd und kaputt finden?
Total. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre ab einem Alter von 17 gezwungen gewesen, neun Stunden täglich zu arbeiten und wäre mit 22 im Saarland Vater geworden, hätte ich für diese Ü30-jährigen Figuren vermutlich wenig Verständnis. Ich hoffe aber, dass man das Buch auch mit Interesse lesen kann, wenn die beschriebene Welt dezidiert nicht die eigene ist. Wobei Identifikation den meisten Leser*innen ja das Wichtigste ist. Die wenigsten wollen etwas lesen, das ihnen fremd ist. Das ist natürlich irre traurig, aber emotional nachvollziehbar. Differenz macht Angst.
Es ist nun der Spätnachmittag nach der Bekanntgabe des Leipziger Buchpreises, für den Sie als einer der Favoriten galten. Könnten Sie versuchen, das Gefühl zu beschreiben, das Sie in dem Moment hatten, als der Radiomann nicht Ihren Namen gesagt hat, sondern den von Lutz Seiler?
Ich filmte mich im Selfie-Modus für den KiWi-Instagram-Kanal, den ich gerade für drei Tage bespielte. War also ganz auf mein eigenes Gesicht fokussiert und nickte sachlich. Ich habe Lutz Seiler während der drei Nominierten-Lesungen, die wir gemeinsam hatten, als sehr freundlichen und charismatischen Mann kennengelernt, dem ich den Preis gönne. Ich habe seinen Lesungen gerne zugehört, auch den Dingen, die er davor und danach gesagt hat. In Hamburg erzählte er mir, dass auch er einmal die Woche Badminton spielt, immer freitags. No hard feelings at all.
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