Ulay raubte, Deutschland gibt zu spät zurück

Kunst Erst der Diebstahl eines von Hitlers Lieblingsbildern machte es möglich, dass dessen Geschichte erzählt werden konnte
Ausgabe 10/2020

Am Montag ist der Künstler Ulay im Alter von 76 Jahren gestorben. Bekannt wurde der Pionier der Performancekunst vor allem als Kollaborationspartner und Liebhaber der noch viel bekannteren Marina Abramović. Viele Aktionen führten die beiden gemeinsam durch, einmal gingen sie sich 4.000 Kilometer auf der Chinesischen Mauer entgegen, um sich dann für immer zu trennen. Eine der spektakulärsten Aktionen dieses Ulay, der eigentlich Frank Uwe Laysiepen hieß und in einem Bunker in Solingen geboren wurde, ereignete sich 1976 in Berlin. Am helllichten Tag ging der Künstler in die Nationalgalerie, klemmte sich Carl Spitzwegs Der arme Poet (eines DER Lieblingsbilder von Hitler) unter den Arm, rannte aus dem Museum und hängte es an die Wand der Wohnung einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Kreuzberg, das damals noch ein kohledunkles Ghetto war. Dann rief Ulay den Museumsdirektor an, er könne sich das Bild nun einmal ganz neu anschauen. Springer titelte: „Linksradikaler raubte unser schönstes Bild“. Doch mit dem UNSER und mit dem RAUBEN ist es eben so eine Sache. Und davon erzählt ein anderes Spitzweg-Gemälde in diesen Tagen eindrucksvoll.

Anfang der Woche fand in der Berlinischen Galerie eine Diskussion statt, die sich um die neuere, unglaubliche Geschichte des kleinen Gemäldes mit dem allzu passenden Namen Justitia drehte. Wieder also der berühmte Biedermeier-Maler, der, wie wir heute wissen, ein ziemlich kluger Maler war, aber den der dumme Hitler (vor der Karriere als Diktator ja selbst ein mittelloser und sehr mittelmäßiger Maler) nun mal mega fand. In den 20er Jahren gehörte das Bild dem zu Wohlstand gekommenen jüdischen Sammler Leo Bendel. Nach der Machtergreifung der Nazis verlor Bendel seine Arbeit, musste alles verkaufen, zuletzt auch die Kunst. Mit seiner Frau floh er nach Wien. Dort wurde er von der Gestapo verhaftet und nach Buchenwald deportiert, am 13. März 1940 fand er dort den Tod. Seine Frau Else starb verarmt 1957, nachdem Anträge in Deutschland und Österreich auf Unterstützung und Wiedergutmachung abgelehnt wurden oder noch nicht entschieden waren.

Die später von den Erben eingeleiteten Nachforschungen brachten eine heikle Geschichte ans Licht. Denn das Bild, das Bendel 1937 verkaufen musste, erwarb kurze Zeit später die Kunstagentin Hitlers, um die Justitia im Führermuseum auszustellen. Hitler bezahlte 25.000 Reichsmark, Spitzweg war, genau, sein Lieblingsmaler. Aber was passierte nach dem Krieg? Das als „herrenlos“ eingestufte Gemälde wurde ins Bundespräsidialamt nach Bonn geholt. Das von den Nazis geraubte Werk, dessen zweiter Titel Die Gerechtigkeit wacht lautet, schmückte in den Folgejahren die Amtsräume von acht Bundespräsidenten. Der Vorwurf: Man hätte viel früher und leichterhand rausfinden können, wer der rechtmäßige Besitzer war. Erst auf Druck der Medien unterzeichnete Horst Köhler 2007 einen Restitutionsantrag. Bis zur tatsächlichen Rückgabe an die Familie gingen noch mal zwölf Jahre ins Land. Ende März wird die Justitia im Münchner Auktionshaus Neumeister versteigert. Dazu erscheint ein Buch, das erstmals die außergewöhnliche Provenienzgeschichte erzählt.

Auch Bilder sind Zeitzeugen. Während Ulay eine Stunde brauchte, um anhand eines Spitzweg-Gemäldes ein sehr starkes Gerechtigkeits-Bild zu erschaffen, konnte der deutsche Rechtsstaat nach acht Jahrzehnten ein geraubtes Bild seinen Besitzern zurückgeben.

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