"Nennen Sie mich doch Sozialromantikerin!"

Arbeitsmarktpolitik Die Piratenpolitikerin Cornelia Otto erklärt, warum sie Leiharbeit einschränken will, Vollbeschäftigung schädlich ist und wie weit links ihre Partei steht
"Nennen Sie mich doch Sozialromantikerin!"

Foto: der Freitag

der Freitag: Frau Otto, bei der Piratenpartei denken viele Wähler erst einmal an Netzpolitik. Sie wollen für die Piraten in den Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Sind Sie in Ihrer Partei ein Sonderling?

Cornelia Otto: Nein, überhaupt nicht. Für uns ist Mitbestimmung eines der zentralen Themen. Wir haben viele ältere Menschen in der Partei, die sich gerade für soziale Themen engagieren. Bei Arbeitsmarktpolitik geht es um Teilhabe und Existenzsicherheit.

In der Öffentlichkeit treten die Piraten fast ausschließlich netzpolitisch in Erscheinung. Das Thema Arbeiten betrifft doch mindestens genauso viele Menschen. Warum kommen Sie mit dem Thema nicht an?

Es ist schwer sich bei dem Thema gegen Linke, Grüne und Sozialdemokraten durchzusetzen. Wir grenzen uns zwar inhaltlich ab, haben uns aber basisdemokratisch für andere Schwerpunkte entschieden: Transparenz, Datenschutz und Mitbestimmung. Mir liegt das Thema Arbeit und Soziales sehr am Herzen. Wir können uns aber mit den anderen Themen besser abgrenzen.

Sie überlassen das Thema Arbeitsmarkt SPD, Grünen und Linken und kümmern sich um den Datenschutz?

Nein. Wir überlassen es ja nicht. Wenn wir in den Bundestag einziehen, werden wir uns in den Ausschüssen natürlich genauso um Arbeit und Soziales kümmern. Aber die NSA-Affäre hat gerade wieder bewiesen, wie wichtig das Thema Datenschutz ist.

Welche Veränderungen in der Arbeitswelt sind Ihnen besonders wichtig?

Ich möchte die Rechte von Arbeitnehmern stärken, insbesondere von Leiharbeitern und prekär Beschäftigten. Atypische Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland werden überwiegend schlechter bezahlt und sind rechtlich schlechter gestellt. Das ist ein Skandal. Und diese Menschen haben keine Lobby.

Waren Sie schon einmal prekär beschäftigt?

Ich selbst nicht. Aber ich erfahre in meinem Freundeskreis aus erster Hand, wie in Betrieben Leiharbeiter nach fünf Jahren Arbeit unter schlechten Bedingungen gekündigt werden. Die stehen vor dem Nichts. Niemand sollte in die Lage kommen, eine Leiharbeitsstelle annehmen zu müssen.

Wollen Sie die Leiharbeit abschaffen?

Nein. Wir sehen, dass Leiharbeit für Unternehmen wichtig sind, um zum Beispiel Produktionsschwankungen auszugleichen. Das ist in Ordnung, aber Leiharbeiter müssen der Stammbelegschaft rechtlich gleichgestellt sein – und gleich bezahlt werden.

Sie fordern die Einschränkung der Leiharbeit, einen Mindestlohn von rund zehn Euro und die Abschaffung der Sanktionen für Hartz IV-Empfänger. Haben Sie ihr Programm bei der Linkspartei abgeschrieben?

Wir gehen in unseren Forderungen noch wesentlich weiter. Wir wollen gleiches Recht bei gleicher Arbeit. Das gilt zum Beispiel auch für Berufskleidung. Außerdem müssen sich Betriebsräte auch um die Leiharbeiter kümmern.

Wollen Sie die Linkspartei links überholen?

Warum ist man gleich links, wenn man sich an das Grundgesetz hält? Wir wollen den Menschen im Mittelpunkt haben und nicht die Interessen von Märkten. Deswegen wollen wir Leiharbeit auch nicht abschaffen, sondern verhindern, dass Arbeitnehmer ausgebeutet werden. Wenn Sie das links nennen wollen, ja, dann sind wir links.

In Ihrem Parteiprogramm steht, das Ziel absoluter Vollbeschäftigung sei nicht mehr zeitgemäß. Warum?

Man muss realistisch sein. Eine Vollbeschäftigung wie in der Nachkriegszeit wird es in Deutschland nicht mehr geben. Beschäftigung wird heutzutage erzwungen über staatliche Maßnahmen wie Minijobs. Damit drückt man Arbeitslosenzahlen. Aber das sind keine Jobs, die Menschen in Würde arbeiten lassen. Das ist Ausbeutung.

Muss man sich wegen solcher Probleme grundsätzlich von dem Ziel der Vollbeschäftigung verabschieden?

Dieses Ziel führt dazu, dass Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt werden - und hinterher wird das als Erfolgsstory verkauft, weil sie nicht mehr in der Statistik auftauchen. Aber es sieht keiner, wie es den Menschen geht.

Stattdessen wollen Sie eine "Beschäftigungsgesellschaft". Was verstehen Sie darunter?

Die Menschen sollen sich für unsere Gesellschaft engagieren. Voraussetzung dafür ist ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wenn man zusätzlich dazu seinen Lohn bekommt, dann kann man sich noch engagieren. Zum Beispiel in der Pflege oder in der Kinderbetreuung. Wie hoch das Grundeinkommen sein soll, wollen wir in einer Enquete-Kommission entscheiden.

Ihre Partei hatte schon einmal 1000 Euro gefordert.

Diese Zahl ist nicht festgeschrieben. Wir fordern Existenzsicherheit. Wie man das genau ausgestaltet, muss man gucken. Wenn jemand nicht arbeiten kann, weil er seine kranke Tante pflegen muss, darf er jedenfalls nicht in eine Notsituation geraten.

Glauben Sie, dass die Menschen arbeiten gehen, auch wenn sie nicht müssen?

Irgendwann ist jedem das Fernsehprogramm zu langweilig. Schon jetzt engagieren sich 17 Millionen Menschen ehrenamtlich. Vielleicht habe ich ein Menschenbild, für das man mich als Sozialromantiker beschimpfen kann. Ich glaube daran.

Mit ihrer Position stehen Sie unter den anderen Parteien im Wahlkampf weitgehend alleine da. Mit welcher Partei könnten Sie sich vorstellen Ihre Vorstellungen vom Arbeitsmarkt umzusetzen, wenn Sie in den Bundestag einziehen?

Auf jeden Fall nicht mit der FDP. Generell gilt: Wenn wir zu Koalitionsgesprächen eingeladen würden, müssten wir das gemeinsam entscheiden. Wir wollen die Koalitionsgespräche allerdings öffentlich machen. Insofern gehe ich davon aus, dass uns keine Partei Gespräche anbieten wird.

Sie gehen also davon aus, dass Sie in der Opposition landen?

Erstmal ja.

Cornelia Otto, 39, ist Spitzenkandidatin der Berliner Piratenpartei für die Bundestagswahl. Die gelernte Kommunikationstrainerin ist seit 2009 Mitglied der Piraten.

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Geschrieben von

Timo Stukenberg

Kölner Journalistenschüler und VWL-Student. Lieblingsthemen: Gesundheit und Datenjournalismus.

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