Zur Demokratie gehört es, Kompromisse zu machen. Das ist oft mühsam und führt auch dazu, dass kaum ein Wähler sich vollständig mit den Forderungen einer einzigen Partei identifizieren kann. Das können oft nicht einmal deren Spitzenkandidaten. Insofern ist es konsequent, wenn die Spaßpartei „Die Partei“ kurz vor der Bundestagswahl versucht, mit dem Versprechen aufzufallen, die Wünsche der Bürger eins zu eins zu übernehmen, und zur „iDemo“ aufruft. Die Idee: Die „Partei“-Mitglieder halten Tablet-PCs anstelle von Transparenten hoch. Darauf werden Forderungen angezeigt, die jeder Bürger vorher online eingeben konnte.
In einem Halbkreis stehen an diesem frühen Freitagabend mehrere Kamerateams, Touristen und ein Polizist um die „Partei“-Anhänger mit ihren Tablets und warten darauf, dass es losgeht. 15.000 Forderungen seien eingegangen, tönt „Partei“-Chef Martin Sonneborn vor dem Brandenburger Tor in sein Megafon. „Wer ist eigentlich presserechtlich dafür verantwortlich?“ Ein 17-Jähriger meldet sich. Damit soll die Frage geklärt sein.
Verschwimmende Grenzen
Bei Sonneborn verschwimmen die Grenzen zwischen seiner Arbeit als TV-Komiker und Politiker-Darsteller. Er tritt beim ZDF in der Satire-Nachrichtensendung heute- show auf, deren Erfolgsprinzip es ist, Politik in Lacher aufzulösen. Und er gibt seit 2004 den Vorsitzenden der „Partei“. Im Wahlkampf fordert er nichts so häufig wie „Inhalte zu überwinden“. Zuletzt fiel die „Partei“ durch ihren Wahlspot zur Familienpolitik auf. Darin war verschwommen ein Paar beim Sex hinter einer Milchglasscheibe zu sehen. Das ZDF zeigte den Spot wie jede andere Parteienwerbung, später bedauerte man die Ausstrahlung.
Die erste Forderung auf den Tablet-Bildschirmen schließt thematisch an den Spot an: „Gegen Pornos mit Handlung – weniger labern, mehr Action.“ Lautes Gelächter, Sonneborn stimmt einen Sprechchor an, das Publikum reckt die Fäuste und brüllt mit. Slogans wie „Keine Querpässe im eigenen 16er“ feiern die Zuschauer besonders enthusiastisch.
Eine Demo für die Demo
Die Sätze auf den Bildschirmen werden immer absurder. Teilweise offensiv, teilweise zwischen den Zeilen teilt die „Partei“ dabei gegen die Bundestagsparteien aus. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Wahlkampfinhalten sucht man hier aber vergebens – allzu oft zielen die Lacher auf einen Konsens zwischen Publikum und Politiksatirikern ab, der besagt: Die in den echten Parteien sind doch eh alle blöd.
In der letzten Zuschauerreihe haben sich drei junge Männer einen Kasten Bier mitgebracht. Es herrscht Schulausflugsstimmung mit Pubertierendenhumor. Einige Demonstranten haben sich verkleidet. Die „Partei“ demonstriert um des Demonstrieren willens. Mit ihrer übertriebenen Darstellung der eigenen politischen Partizipation nehmen sie dabei auch jeden aufs Korn, der tatsächlich protestiert. Man macht sich immer – zwinker, zwinker – über diejenigen lustig, die voller Ernst Fahnen schwenken, in Megafone rufen, Sprechchöre anstimmen und sich zu politischen Forderungen bekennen. Kurz: Die „Partei“ spottet über alle, die sich politisch engagieren. Das mag auch eine Form der Satire sein. Nur zielt sie nicht auf einen Missstand, der sich aus Wahlprogrammen ablesen lässt. Sie verspottet politische Partizipation an sich.
Nur eine einzige Botschaft
Die „Partei“-Mitglieder geben sich dabei richtig Mühe, betreiben einigen Aufwand und betonen, dass alles im Einklang mit dem Parteiengesetz stattfinde. Jede ihrer Kundgebungen, jedes Flugblatt scheint aber nur eine Aussage zu haben: „Hauptsache, wir gehen auf die Straße. Was wir fordern, spielt keine Rolle.“
Auch wenn viele Slogans nicht ansatzweise lustig sind, bei Forderungen wie „Wechseljahre statt Legislaturperiode“ können doch viele nicht anders als lauthals zu lachen. Hinter der ersten Reihe aus Touristen und Journalisten stehen viele Anfang, Mitte 20-Jährige. Jene, denen oft vorgeworfen wird, sie würden sich nicht politisch engagieren.
In der letzten Reihe hört Igor zu, sein Fahrrad zwischen den Beinen. „Die linke Szene frustriert mich“, sagt er. Seit zwei Jahren demonstriere er regelmäßig. Die „Szene“ aber sei zersplittert, verbissen, geprägt von blindem Aktionismus. Nach dem Motto: „Hauptsache, wir gehen auf die Straße.“ Igor kann deshalb herzlich über die „Partei“ lachen, er erkennt in ihr eine überdrehte Version seiner eigenen Erfahrungen.
Nichtwähler gegen Spaßpartei
Am Rande der Veranstaltung drückt ein älterer Herr mit weißen Haaren einer „Partei“-Anhängerin ein Flugblatt, das zum Wahlboykott aufruft, in die Hand. „Was Sie da machen, schadet der Demokratie“, sagt der Mann zu der Demonstrantin. Mit ihrem politischen Engagement unterstütze die „Partei“ das System, das es zu stürzen gelte. „Wir müssen die Rechtsgrundlage der BRD wieder herstellen“, fordert er mit Nachdruck. Die „Partei“-Anhängerin entgegnet: „Deswegen haben wir die Partei gegründet.“ Nichtwähler diskutiert mit Spaßpartei. Der alte Mann geht kopfschüttelnd weiter.
Die „Partei“ dürfte auch für gar nicht wenige Nichtwähler eine willkommene Alternative zum Boykott sein. Wer seine Stimme der „Partei“ gibt, darf in der Kabine staatsbürgerlich korrekt ein Kreuzchen machen, ohne sich für etwas entscheiden zu müssen. Was von der eigenen Stimme bleibt, ist das Bekenntnis zu einer Partei, der man jede mögliche Forderung auf die Fahne oder auf den Bildschirm schreiben kann.
Ein Brite versucht, die Forderungen „Bundeswehr raus aus Deutschland“ auf den Tablets zu verstehen. Nachdem ihm jemand versichert hat, dass das ironisch zu verstehen sei, erzählt er: In England habe es auch einmal eine bekannte Spaßpartei gegeben, die „Fancy Dress Party“, FDP. Das war Ende der Siebziger. Die hätten damals für Furore gesorgt, berichtet er. Heute spielten sie keine Rolle mehr.
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