Grüne Stiftung: Leiharbeit statt Mindestlohn

Billiglöhne Ein Leiharbeiter hat die grüne Heinrich-Böll-Stiftung wegen Lohndumping verklagt. Seit Jahren arbeitet er dort für weniger als das, was die Partei als Mindestlohn fordert

Seit einem Urteil des Berliner Arbeitsgerichts hat Michael Rocher einen neuen Arbeitgeber. Dabei macht er immer noch den gleichen Job. Der 28-Jährige hatte seit 2008 regelmäßig die Konferenzräume der grünen Heinrich-Böll-Stiftung umgebaut und in der Küche gearbeitet. Die Stiftung setzte ihn ein wie einen Festangestellten. Angestellt war er allerdings bei einem sogenannten Besucherservice, einer Dienstleistungsfirma. Deshalb urteilten die Richter, es handele sich um eine "unzulässige Arbeitnehmerüberlassung", in anderen Worten: Leiharbeit. Jetzt ist Rocher auch offiziell bei der Stiftung angestellt.

In den letzten Jahren habe er immer häufiger in dem Konferenzzentrum der Stiftung gearbeitet, jeweils für zwei oder drei Stunden. Wartezeiten zwischen den Schichten seien nicht bezahlt worden. "Die Arbeitsbedingungen waren schlecht", sagt Rocher. Und trotzdem: "Ich will da weiter arbeiten."

Wie viel er dann verdienen wird, darüber entscheidet das Arbeitsgericht erst noch. Bislang bekam er acht Euro pro Stunde. Das ist weit weniger als die niedrigste Einstufung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der unter anderem für Festangestellte der parteinahen Stiftungen gilt. Selbst die Mindestlohnforderung der Grünen von 8,50 Euro überstieg sein Gehalt.

Auf ihrer Website prangern die Grünen an: "6,8 Millionen Berufstätige arbeiten für weniger als 8,50 Euro pro Stunde." Mindestens einen davon beschäftigte auch die Heinrich-Böll-Stiftung. Zwei Kollegen von Michael Rocher haben ebenfalls eine Klage auf Festanstellung eingereicht.

Die grüne Stiftung rechtfertigt den Lohn ihres Mitarbeiters mit dem Zuwendungs- und Vergaberecht. Demnach müssen Stiftungen ihre Dienstleistungsaufträge ausschreiben und nach wirtschaftlichen Kriterien - also dem Preis - vergeben. Weil für die Dienstleistungsfirma, bei der Rocher arbeitet, kein Mindestlohn gilt, darf sie den Tarifvertrag unterbieten. Ohne flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn seien der Stiftung also die Hände gebunden, heißt es in einer Mitteilung der Stiftung.

Das klingt auf den ersten Blick schlüssig. Andere parteinahe Stiftungen, wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung, bezahlen ihre Leiharbeiter nach Tarif. Das Zuwendungs- und Vergaberecht können die Stiftungen nämlich durch Honorarverträge umgehen. Eine erste Stellungnahme der Heinrich-Böll-Stiftung lässt allerdings darauf schließen, dass man die Löhne nicht nur negativ sieht: "Gäben wir mehr aus für Personal und Verwaltung, ginge das zu Lasten der inhaltlichen Projekte." Finanziert die Heinrich-Böll-Stiftung ihre Projekte also auf Kosten ihrer Arbeitnehmer? Die Stiftung arbeite nicht wegen der geringeren Löhne mit Dienstleistern zusammen, sondern wegen der geringeren Verwaltungskosten, sagt Sprecherin Ramona Simon. "Bei einem Verzicht darauf könnten wir den laufenden Betrieb in dieser Art und Weise nicht aufrecht erhalten."

Ob die Stiftung gegen das Urteil des Berliner Arbeitsgericht in Berufung geht, steht noch nicht fest. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wie viel Michael Rocher als Angestellter in Zukunft verdient, ist indes noch nicht sicher. Die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft FAU, die die Angestellten der Dienstleistungsfirma bei der Klage unterstützt, und die Stiftung müssen sich erst auf einen Lohn einigen. Die Frage ist, an welcher Stelle Rocher in den TVöD eingestuft wird. Die Gewerkschaft will außerdem einen Lohnausgleich für die Zeit seit 2011 fordern.

Die FAU kritisiert die Leiharbeit in der Stiftung grundsätzlich: "Sobald die Stiftung Aufgabenbereiche ausschreibt, hat sie keine Kontrolle mehr über die Arbeitsbedingungen", sagte ein Sprecher. Ramona Simon, Sprecherin der Stiftung, hält dagegen: "Das ist völlig üblich in dem Bereich." Die Stiftung wolle trotzdem Alternativen zur Fremdvergabe finden.

Dass sich das Urteil negativ auf den Wahlkampf der Grünen auswirkt, befürchtet die Stiftung nicht. "Als Kronzeuge gegen die grüne Arbeitsmarktpolitik steht die Heinrich-Böll-Stiftung nicht zur Verfügung."

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Geschrieben von

Timo Stukenberg

Kölner Journalistenschüler und VWL-Student. Lieblingsthemen: Gesundheit und Datenjournalismus.

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