Kein Wille zur Transparenz

Open Government Die Bundesregierung verspricht mehr staatliche Transparenz - und verschläft das Thema. Damit macht sie Deutschland ein Stück undemokratischer
Kein Wille zur Transparenz

Foto: Odd Andersen/ AFP/ Getty Images

Es könnte so einfach sein. Wenn eine britische Kommune einen Computer kauft, der mehr als 500 britische Pfund kostet, kann das jeder Internetnutzer mit ein paar Klicks überprüfen. Genauso leicht können Briten überprüfen, wieviele Menschen in einem benachbarten Krankenhaus sterben, verglichen mitanderen Krankenhäusern. Was Nigel Shadbolt, Gründer des Open Data Institutes in London, zu Beginn der Statistischen Woche 2013 am Dienstag aufzählt, lässt Deutsche vor Neid erblassen. Denn solche Möglichkeiten Institutionen zu kontrollieren, gibt es hier schlicht nicht.

Deutschland hängt beim Thema Open Government hinterher. Der Umgang mit Daten spielt im Informationszeitalter eine entscheidende politische und wirtschaftliche Rolle. Die Bundesregierung hat das noch nicht erkannt - oder sie will es nicht erkennen. In Deutschland hat sie zwar eine Strategie zu Open Government vorgelegt, aber nicht verfolgt. Im internationalen Vergleich fällt Deutschland vor allem durch sein Zögern auf.

Dabei ist das Konzept von Open Government im Internetzeitalter so simpel wie einleuchtend: Informationen aus Staat und Wirtschaft sollten frei zugänglich werden, sofern sie nicht schutzwürdig sind. Das fördert die demokratische Kontrolle von Institutionen. Denn offenes Regierungshandeln zwingt Behörden zu Effizienz, weil sie auf einmal Fragen beantworten müssen wie: Warum kauft eine Behörde einen teureren Computer als eine andere?

Selbst wenn sich die schwarz-gelbe Koalition mit diesem Argument nicht anfreunden kann: Was sie nicht ignorieren kann, ist das wirtschaftliche Potential von Open Government. Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, verspricht sich ein jährliches Wirtschaftswachstum von rund 40 Milliarden Euro. Offenes Regierungshandeln werde Hunderttausende Jobs schaffen, rechnet sie vor.

Offenes Regierungshandeln stellt zudem das Verhältnis von Verwaltung und Bürger vom Kopf auf die Füße. Von einigen lobenswerten Ausnahmen abgesehen, betrachten viele Behörden die Daten, die sie mithilfe von Steuermitteln erheben, als ihr Eigentum. Das ist zutiefst undemokratisch. Eine von Bürgern finanzierte Verwaltung sollte sich vielmehr als Dienstleister, denn als Herrscher über "ihre" Daten verstehen.

Ein solcher Mentalitätswandel kommt nur schwer aus den Behörden selbst. Es braucht dazu den politischen Willen. Barack Obama zum Beispiel hat das Thema zu Beginn seiner ersten Legislaturperiode zur Priorität erklärt. Die britische Regierung hat eine eigene Abteilung für das Thema eingerichtet. Heute stehen die beiden angelsächsischen Nationen auf den ersten beiden Plätzen im Open Government-Ranking der Open Knowledge Foundation. Die Nichtregierungsorganisation bewertet zum Beispiel, wie leicht zugänglich wichtige Daten für Bürger sind.

Ginge es um die Ankündigungen der Bundesregierung, könnte Deutschland bei der Informationsfreiheit zu Großbritannien und den USA aufschließen. Auf dem G8-Gipfel im vergangenen Juni unterzeichnete Kanzlerin Angela Merkel die Open Data Charter. Darin bekennen sich die acht bedeutendsten Industrienationen zu mehr staatlicher Transparenz. Bereits 2010 verkündete Schwarz-Gelb eine eigene Open Government-Strategie.

Herausgekommen ist wenig. Die Bundesregierung feierte ihr Datenportal govdata.de beim Start der Testphase 2012 als großen Erfolg. Deutsche Verwaltungsbehörden sollten ihre Daten darin öffentlich zugänglich machen. Doch Experten sehen das Portal kritisch. "Die Infrastruktur ist gut", sagt Stefan Wehrmeyer von der Open Knowledge Foundation Deutschland. "Aber die Daten in dem Portal sind uninteressant." Eine Kostprobe: Die Bebauungspläne des Ferienhausgebiets Hillenseifen in der Gemeinde Gerolstein. Wer den Mehrwert darin findet, darf ihn gerne behalten.

Die Kosten von mehr als 150.000 Euro für das Portal hätte die Regierung besser in Überzeugungsarbeit bei Verwaltungen und Behörden gesteckt. Stattdessen verengt sie ihre zaghaften Bestrebungen auf den Teilbereich "Open Government Data". Offenere Prozesse, Linzenzen und Standards bleiben außen vor.

Anstelle der angekündigten Strategien produziert die Regierung so einen Open Government-Flickenteppich. Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamtes und Bundestagswahlleiter, bemängelt: "Es fehlt eine Anbindung der Open Data-Strategie." Seine Behörde fordert bereits seit einem Jahr eine Reform der Statistikgesetze. Aktuell darf keine Statistik erstellt werden, ohne dass es dafür ein eigenes Gesetz gibt. Das Bundesamt müsse schneller auf die Nachfrage der Nutzer reagieren können, fordert er.

Auch international fällt Angela Merkels Regierung durch ihren Unwillen auf. Als sich vor genau zwei Jahren 46 Staaten in der Open Government Partnership zusammenschlossen, lehnte Deutschland dankend ab. Man wolle lieber abwarten, hieß es aus dem Bundesinnenministerium. Schwellenländer wie Brasilien und Südafrika haben die Bedeutung von Open Government bereits erkannt und unterzeichneten die Erklärung. Für diese Länder ist es ein Schritt in Richtung Demokratisierung - den Deutschland verschläft.

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Geschrieben von

Timo Stukenberg

Kölner Journalistenschüler und VWL-Student. Lieblingsthemen: Gesundheit und Datenjournalismus.

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