Wie geht es weiter für Katalonien?

Katalonien Eine persönliche Sicht der Unabhängigkeitsbewegung. Aus den Augen einer in Barcelona lebenden Deutschen.

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Eine Lösung kann nur im Dialog gefunden werden
Eine Lösung kann nur im Dialog gefunden werden

Foto: David Ramos/Getty Images

Die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien

Ich wohne seit einigen Jahren in Barcelona. Mein Mann ist Katalane und meine zwei Kinder wachsen dreisprachig auf. Ich kann verstehen, dass es für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar ist, warum so viele Katalanen einen unabhängigen Staat fordern. In letzter Zeit stelle ich immer wieder fest, wie dieses Unverständnis dazu führt, die Unabhängigkeitsbefürworter in Schubladen zu stecken und sie entweder als unrealistische Träumer oder engstirnige Nationalisten darzustellen. Für mich haben diese Bilder sehr wenig mit der von mir erlebten Realität zu tun. Die meisten dieser Menschen sind weder radikalisierte Sezessionisten, die blind die politischen Slogans der separatistischen Parteien nachsingen, noch sind es naive Romantiker, die sich ausmalen, dass ein unabhängiges Katalonien ihnen das große Glück und die ultimative Freiheit bringen wird. Ganz im Gegenteil. Viele meiner Freunde und Bekannten, die am 1. Oktober mit einem “Ja” für die Unabhängigkeit gestimmt haben, sind gebildete Menschen, die durchaus in der Lage sind, sich sachlich und reflektiert mit diesem Thema auseinander zu setzen und sich ihre ganz eigene, persönliche Meinung zu bilden.

Ein unabhängiger Staat als realistische Alternative

Wer die Geschichte Kataloniens und die der spanisch-katalanischen Beziehungen kennt, dem fällt es leichter zu begreifen, wie aus einer anfänglichen Minderheit, die nach einem unabhängigen Staat rief, innerhalb von 10 Jahren eine solche Massenbewegung werden konnte.

Das katalanische Volk zeichnet sich durch seine eigene Kultur und eigene Sprache aus. Im Laufe der Geschichte hat es Phasen verschiedener politischer Allianzen durchlaufen, wobei es sich stets einen hohen Grad an politischer Selbstbestimmung bewahrte. Die meisten Wünsche und Forderungen der Katalanen wären eigentlich ohne große Probleme in einem vereinten Spanien zu erfüllen. Allerdings erfordert das Toleranz sowie Dialog- und Kompromissbereitschaft von Seiten der Zentralregierung. 2006 verhandelten Vertreter der damaligen spanischen und katalanischen Regierung über eine Reform des katalanischen Statuts (eine Art katalanische Verfassung, in der die Rechte der autonomen Region definiert sind). Gemeinsam erarbeiteten sie eine Version mit der beide Seiten zufrieden waren. Dummerweise stellte sich die Oppositionspartei Partido Popular (PP) in den Weg und klagte gegen das neue Statut. Nach einem vierjährigen Prozess gab das Verfassungsgericht der PP recht und das neue Statut wurde stark gekürzt. Das gefiel den Katalanen natürlich gar nicht und schon begann die Unabhängigkeitsbewegung einen Zuwachs zu verzeichnen. Zu allem Überdruss ging die PP in der Parlamentswahl 2011 als Sieger hervor und Mariano Rajoy wurde Präsident Spaniens. Ein Mann, dem jegliche Diplomatiefähigkeit fehlt und der in Bezug auf Katalonien so gut wie keine Dialogbereitschaft zeigt. Immer wieder wurde von der katalanischen Seite das Gespräch gesucht, wie zum Beispiel bezüglich einer Reform des für Katalonien sehr ungerechten Finanzausgleichs. Immer wieder wies Rajoy die Katalanen zurück und vermittelte ihnen so das Gefühl, dass ihre Bedürfnisse ihn in keinster Weise interessierten. So ist es absolut natürlich, dass immer mehr Katalanen keine Zukunft in einem vereinten Spanien sahen und die Idee eines eigenen Staates zur realistischen Alternative wurde.

Das Referendum vom 1. Oktober

Der Ruf nach einem Referendum wurde immer lauter und Katalonien forderte unzählige Male von Madrid, ein legales Referendum abzusegnen. Doch Rajoy blieb stur. Ein Referendum wäre illegal, da in der spanischen Verfassung, die seit fast 40 Jahren wie in Stein gemeißelt ist, stehe, dass die Einheit Spaniens unteilbar sei. Eine Verfassungsreform komme nicht in Frage. Punkt. Die Union Spaniens ist also unantastbar, aber wie war das nochmal mit der Würde des Menschen? Die Katalanen lassen sich ihr demokratisches Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht nehmen und entscheiden sich dafür, trotzdem ein Referendum abzuhalten. Am 1. Oktober geht es in Katalonien gar nicht so sehr um das “Sí” oder “No”, sondern schlichtweg darum, wählen zu dürfen und sich den Mund nicht verbieten zu lassen. Die Antwort der spanischen Regierung haben wir alle in den Bildern und Videos vom 1. Oktober gesehen. Es geht hier ganz klar um Menschenrechtsverletzungen, und das mitten im Europa des 21. Jahrhunderts! Und wie reagieren die restlichen europäischen Regierungen? Ach Gottchen, ja, es war halt illegal. Die Verfassung, die sieht ja sowas nicht vor, und außerdem, wer will denn jetzt noch einen zusätzlichen Kleinstaat in Europa. Nee, Rajoy, der hat ja soweit eigentlich alles richtig gemacht. Vielleicht das nächste Mal nicht so heftig zuschlagen, aber ansonsten alles gut. Wie soll denn so eine Lösung für Spanien gefunden werden? Wenn ein zutiefst inkompetenter Präsident, der Menschenrechte buchstäblich mit den Füßen tritt, einfach weiter geduldet, ja sogar unterstützt wird? Und da soll das Gesetz das Maß aller Dinge sein? Unzählige Male hat uns die Geschichte gelehrt, dass Gesetze nicht immer Gerechtigkeit bedeuten. Sind wir denn wirklich nicht in der Lage, daraus zu lernen?

Madrid muss endlich Gesprächsbereitschaft zeigen und einsehen, dass weder eine starre Gesetzgebung noch Polizeigewalt die Katalanen dazu bringen wird, kleinlaut beizugeben.Die EU darf nicht mehr nur stumm zusehen, sondern muss vermittelnd eingreifen. Im Moment sieht es allerdings nicht gut aus, da weder von der Zentralregierung noch vom spanischen König die Dringlichkeit eines Austausches gesehen wird. Eine Lösung kann aber nur im Dialog gefunden werden. Nur so gibt es noch eine Chance für eine gemeinsame Zukunft. Wenn es nicht schon zu spät ist.

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