Die böse Lücke

Berliner Stadtschloss Der Palast der Republik ist fast abgerissen, da beginnt die Debatte um das Berliner Stadtschloss - in aller Peinlichkeit - von vorn

Soll man in Berlin Barockfassaden des Hohenzollernschlosses nachbilden oder nicht? Diese Frage allein hätte nach 20 Jahren ideologischem Stellungskrieg niemanden mehr hinter dem Ofen hervorgelockt, selbst wenn der Ofen so kalt wäre wie der zugige Schlossplatz im November. An der neuen Schlossplatzdebatte überrascht vielmehr, dass es sie überhaupt gibt. Dass ausgerechnet jetzt, nachdem alle Messen gelesen sind, noch einmal die grundsätzlichste aller Frage aufgeworfen wird. Und das ausgerechnet aus dem Kreis der Juroren selbst. Die mittlerweile erschrocken wieder dementieren. Die Antwort mag sein, dass alle Diskussionen bislang im Abstrakten geführt wurden, dass alle Modelle, die "bösen Lücken" (Manfred Stolpe) zu schließen, ein Klötzchenrücken blieben. Nun, kurz vor der Entscheidung, wird es ernst, und die Pläne greifbar. Die Juroren sind schlicht und unmittelbar damit konfrontiert, das, was zu einer Wiedergewinnung der Mitte und einem identitätsstiftenden Zeichen überhöht wurde, auszuwählen, damit es gebaut werden kann. So nahe der Wirklichkeit mag es mit seinen drei barock anmutenden Fassaden disparater wirken denn je. Man erinnere sich: Mit diesem Bau sollte, nachdem hier preußische und sozialistische Historie gebaut worden waren, nun gesamtdeutsche Geschichte geschrieben werden.

Als im Jahr 2002 der Bundestag die Schlossrekonstruktion im barocken Gewand beschloss, wusste man es schon so gut wie heute, und Dutzende von Architekten haben es gesagt: Dass der Versuch, Vergangenheit nachzubauen, nicht gelingen kann. Nicht, wenn ein Gebäude mehr als 50 Jahre lang vom Erdboden verschwunden ist. Dass Erinnerung - sollte es darum gehen - in zeitgenössische Sprache übersetzt werden muss. Dass die Rekonstruktion von Barockfassaden, originalgetreu, nicht mehr als eine Farce gebären kann. Dass ein Architekt, wenn er keine Lösung findet, die seiner Zeit gemäß ist, an seiner Aufgabe gescheitert ist.

Jetzt, da sechs Jahre später über einen Entwurf entschieden werden soll, hat sich daran nichts geändert. Nur, dass der Platz, auf dem der Palastabriss fast vollendet ist, erschreckend weit wirkt und zugiger denn je. Die böse Lücke klafft nun tatsächlich. Und die Frage, welcher Baumeister hier nun welche Geschichte bauen wird, steht im wahrsten Sinne des Wortes im Raum. Nicht mehr spielerisch, als ginge es um ein Spiel mit Möglichkeiten, sondern höhnisch, fordernd. Und während die Temporäre Kunsthalle im wolkigen Gewand nebenan suggeriert: Es braucht Zeit, es gibt noch keine Antworten, soll nun das "Schloss" den großen Wurf behaupten. Der Kulissenzauber in Barock wäre auch damals peinlich gewesen. Doch je weiter sich die Geschichte fortschreibt, deren Geist hier Bauwerk werden soll, desto augenfälliger wird das Paradox, desto schwerer wird es, den Missklang zu ignorieren. Vor einer Dekade noch erstanden die Bauklötzchenmodelle vor dem inneren Auge als Zeichen einer gemeinsamen Epoche, die vor dem Land lag. Die noch offen war. Nun ist Deutschland mitten drin, und die ersten Meilensteine der Epoche sind eine Finanz- und Wirtschaftskrise. Das Vertrauen in den Gesellschaftsvertrag ist erschüttert. Was damals noch mit einem Augenzwinkern durchgegangen wäre, vielleicht, wirkt heute verstörend. Unsere Zeit, die Jetztzeit, verlangt kleine Schritte, praktische Lösungen, vielleicht Bescheidenheit. Die Formensprache des "Stadtschlosses" war nie unangemessener als heute. Nicht wegen des Zitats von Preußens Glanz und Gloria, sondern weil es das Fassade gewordene Bekenntnis dazu ist, auf heutige Fragen keine Antwort zu wissen. Schlimmer noch: Auf heutige Fragen noch nicht einmal Antworten finden zu wollen.

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