Keiner mag euch

Kampfplatz Kolumne

Die Neonazis legen sich ein Mimikry zu, sagt meine Freundin Erika. Sie steht in ihrer Küche und bereitet uns einen Lindenblütentee. Sie würden sich kleiden wie die Linken und reden wie die Linken. Nicht mehr herumgrölen, sondern argumentieren und brisante Themen besetzen - Arbeitslosigkeit und Globalisierungskritik. Die werden klüger, sagt Erika. Gefährlich wär das. Ist doch gut, sage ich. Vielleicht werden sie im Übereifer Feministen, verheddern sich in Genderfragen und geraten in eine Identitätskrise. Oder sie werden vor lauter kluger Scheinargumente tatsächlich schlau und vergessen am Ende, dass sie mal Neonazis waren. Dann können wir sie zum Tee einladen. Erika ist gegen mich. Gefährlich wär das, wie ich die Sache unterschätze. Wir beschließen, uns die gewandelten Nazis anzusehen, beim NPD-Aufmarsch am 8. Mai.

Zu spät erreichen wir den Alexanderplatz, weil wir zu lange gefrühstückt haben. Wir fürchten, die Kameraden, ganz deutsche Pünktlichkeit, seien längst davon marschiert. Doch sie sind noch da. Die Nasen alle in die gleiche Richtung gestreckt stehen sie wie die Pinguine zwischen zwei Absperrungen und gucken auf eines der Hochhäuser am Alexanderplatz. Die Kameraden sehen aus, wie ich sie mir vorgestellt hätte, vor dem Gespräch mit Erika. Gern trägt man nach wie vor den Kopf geschoren, manche Glatzen sind mit lustigen Pflastern verklebt um verfassungsfeindliche Symbole zu verdecken. Genderfragen scheinen die Männer noch nicht zu irritieren, sie wirken recht ungebrochen burschikos. Kaum einer hat seine Freundin mitgebracht. Nur eine Kameradin entdecke ich, aus irgendwelchen Gründen kniet sie vor ihrem Freund und hat ihr Gesicht an dessen Hosenbein gepresst. Er legt ihr schützend die Hand auf den Kopf. Die Gesichter der Männer sehen trotzig aus. Ein stahlblauäugiger Mann mit Schiebermütze erklärt von einer Tribüne aus den Grund: Die Polizei treibe fadenscheinige Spielchen mit den friedliebenden Kameraden. Man will sie nicht losmarschieren lassen. Der Trick der Polizei: Es müssen 20 nicht vorbestrafte Kameraden gefunden werden, die sich als "Ordner" zur Verfügung stellen. Das ist ein fieser Winkelzug, finden die Männer.

Erika und ich mischen uns unters Volk. Wir wollen hören, was die Neonazis so plaudern, ganz privat. Vielleicht erfährt man was und weiß dann besser, ob sie klüger werden, geschickter oder gefährlicher. Leider verstummen alle Männer sofort, wenn wir uns zufällig neben sie stellen. Offenbar wirken wir nicht wie zwei Kameradinnen, die mal eben über den Kampfplatz schlendern. Das einzige Gespräch, das wir belauschen, handelt von der Zubereitung von T-Bone Steaks. Als wir zwei Männer finden, die so aussehen, als bestätigten sie Erikas Theorie, stellt sich heraus, dass es Journalisten sind. Manche Neonazis schwenken schwarze Fahnen. Anarchistenanleihen vielleicht? Fahne der Bauernkriege? "Trauer", sagt ein junger Nationaler. Ein Redner auf der Tribüne erklärt weshalb: Das deutsche Volk wurde am Tag der angeblichen Befreiung überfallen, quasi aus dem Nichts heraus. Ein anderer Sprecher räumt ein, dass vorher ein Krieg stattgefunden hat, an dem Deutschland auch beteiligt war. Allerdings hätten diesen Krieg die Polen eingerührt, die von Anfang an scharf auf die Oder-Neiße-Grenze gewesen seien. Ein paar Opfer habe man in Kauf genommen. Ein dritter Redner imitiert Hitler. Leider hört außer den trotzig dreinblickenden Kameraden keiner zu, denn die Nationalbefreite Zone ist eingezäunt. Nur von der Balustrade des Hochhauses schauen dessen Bewohner herunter. Sie haben mit Kreppklebeband einen Zettel aufgehängt, auf dem zu lesen ist: "Keiner mag euch".

Die Männer dürfen noch immer nicht losmarschieren, obwohl schließlich 20 Ordner gefunden sind, die nicht vorbestraft sind. Die Polizei argumentiert fadenscheinig, dass sie Leib und Leben der Kameraden nicht kann, wegen der vielen Menschen auf der Marschroute, die die Kameraden auch nicht mögen. Selbst die Polizei mag sie offenbar nicht. Das ist fies, finden die Männer. Sie fangen an zu brüllen, aus Wut.

Es wird wohl noch ein bisschen dauern bis wir die Neonazis zum Tee einladen können, sage ich auf dem Heimweg zu Erika. Diese Männer, sie wirken doch seltsam fremd in der Welt. Männer, die sich in eine Ecke stellen, in der keiner sie mag. Schade eigentlich, meint Erika.


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