Konfrontation, ganz entspannt

Baubolschewismus hüben wie drüben Eine Ausstellung zeigt erstmals umfassend die Nachkriegsarchitektur der DDR, gleichberechtigt neben der des Westens

Zoopalast, Westberlin: Der kosmisch anmutende Bau sieht noch ganz neu aus. Gleißende Sonne über frischem Putz, überlebensgroße Kinohelden der fünfziger Jahre und Menschen mit Anzug und Hut schreiten aus. Der Platz vor dem Kino ist weit und die Menschen sehen aus, als würden sie gerne über einen so großen und sauber gepflasterten Platz schlendern, um sich gleich eine Kinokarte zu kaufen. Feierabend. Feierabend ist auch in Ostberlin. Dort heißt das moderne Kino "Kosmos". Davor im hellen Licht Menschen in Anzügen und Hüten, ein weiter Boulevard zum Flanieren. Die Welt ist neu und neu gebaut, man will zeigen, dass es wieder Raum zum Gehen und zum Denken gibt. In Westdeutschland und in der jungen DDR auch.

Mit Eindrücken wie diesen führt eine Ausstellung Zwei deutsche Architekturen durch die gebaute Geschichte beider deutscher Staaten. Sie ist im Kunsthaus in Hamburg zu sehen, wandert anschließend in die neuen Bundesländer und dann durch Europa, vielleicht auch darüber hinaus. Zwei deutsche Architekturen ist die erste Ausstellung, die umfassend und gleichberechtigt die Baukultur der DDR und der BRD gegenüberstellt. Bislang gab es deutsche Architekturgeschichte nur aus westlicher Sicht. Die ostdeutsche Architektur galt als undiskutabel oder als gar nicht erst existent. Blinde Flecken hatte ein rabiater Kehraus an Dokumenten nach der Wende hinterlassen. Pläne oder Fotos von Bauwerken wurden willkürlich vom Reißwolf zerschreddert, landeten unter privaten Ehebetten oder auch im Archiv. Die Bergungsarbeiten haben zehn Jahre in Anspruch genommen. Ihre Ergebnisse sind jetzt erst zu besichtigen.

Die gefährlichere Klippe, die überwunden werden musste, war ideologischer Art. Sollte man die Baugeschichte eines sozialistischen Staates anerkennen? Oder gar würdigen? Sieht man sich die Zwei deutsche Architekturen an, könnte man meinen, die Kuratoren hätten einen mühsamen und öden Kampf darum, wer das Recht hat, erinnert zu werden, wie beiläufig übersprungen. Die Ausstellung wirkt so, als habe das Nachwendedeutschland längst die Souveränität, seine beiden Geschichten zu erzählen. Vielleicht war es der Blick von außen, der das verminte Feld freigegeben hat. Die Zusammenschau hat das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in erster Linie als Wanderausstellung für andere Länder konzipiert. Die Warte eines Betrachters aus Frankreich oder aus der Mongolei lässt den Blick auf die innerdeutschen Angelegenheiten entspannter werden. Zwei Architekturen können einfach interessanter sein als eine.

Was dieser Zugang ermöglicht, ist, tatsächlich eine gemeinsame Geschichte des Bauens zu entdecken. Das erste Bild, auf das der Besucher zugeht, ist der Blick auf die Ruinen des zerstörten Dresden 1945. Aus den Trümmern wieder Städte zu bauen, hatte eine existenzielle Bedeutung, im Osten wie im Westen. Und in beiden Teilen Deutschlands ging es darum, für ein von der Vergangenheit geläutertes Deutschland einen baulichen Ausdruck zu finden. Die Kuratoren haben die Ausstellung nach den baulichen Herausforderungen gegliedert, die beide Staaten zu bewältigen hatten. Vom Wiederaufbau und der Lösung des Wohnungsproblems bis hin zum Bau von Gedenkstätten in Dachau oder Buchenwald. Die Baukulturen in Ost und West werden dem Besucher schlicht gezeigt, bekannte Bauwerke ebenso wie Alltagsarchitektur. Eine Stadthalle im Westen, eine Stadthalle im Osten. Der Landtag Baden-Württembergs in Stuttgart, das Rathaus in Berlin Marzahn. Dabei verblüffen Gemeinsamkeiten mehr als die Unterschiede. Oft zeigt erst ein zweiter Blick, auf welcher Seite ein Bauwerk steht: dass die Wohnmaschinen in Reih und Glied eine Großsiedlung bei Bremen sind und nicht Halle-Neustadt. Oder dass ein futuristischer Betonschalenbau kein Beispiel für experimentelle Architektur des Westens ist, sondern eine Rettungsstation von Ulrich Müther in Binz.

Über die üblichen Architekturfotographien hinaus lassen Innenaufnahmen den Betrachter in die Häuser und Hallen hineingehen. Man soll eine Idee bekommen, was es für das Lebensgefühl ausgemacht haben könnte, sich in dieser oder jener gebauten Umwelt zu bewegen. Wie ein Film soll das Ganze nach dem Willen der Kuratoren wirken. Der Eindruck eines Films entsteht zwar nicht, doch sind es tatsächlich in erster Linie die vielen verschiedenen Blickwinkel und Dimensionen, die beeindrucken, mitunter überfordern. Dieser Fülle allerdings wird die Ausführlichkeit der Erläuterungen geopfert. Die Informationen auf den Tafeln beschränken sich auf das Wesentlichste.

Eine tiefere Ebene des Vergleichs der Architekturen vermitteln die Kuratoren Simone Hain (für den Osten) und Hartmut Frank (für den Westen) leider erst durch ihre Beiträge im Katalog. Dass nämlich die Entwicklung der Baustile auf beiden Seiten keineswegs unabhängig voneinander verlief. Wer weiß schon, dass in den Anfangsjahren der Westrepublik eine Bezugnahme auf das Bauhaus noch als "baubolschewistisch" abgetan wurde? Erst nachdem im Osten - wo man zuvor viel freier experimentiert hatte - von Stalin Tradition und Zuckerbäckerstil verordnet wurden, sah sich der Westen zu einem entschiedenen Bekenntnis zu einer radikaleren Moderne herausgefordert. Prompt wartete die junge Bundesrepublik während der "Interbau" 1957 mit allen modernen Architekten von Rang und Namen auf. Le Corbusier und Oscar Niemeyer im Berliner Hansaviertel sind insofern dem Osten zu verdanken.

Als nach dem Mauerbau auch die DDR begann, sich dem internationalen modernern Baustil zuzuwenden, entschärfte sich wiederum der Druck im Westen, zu behaupten, freiheitlich demokratische Baukultur müsse im direkten Widerspruch zur Tradition stehen. Dass später in der BRD die Postmoderne wieder mit traditionellen Formen hantieren sollte, erscheint nach allem Spott auf den Zuckerbäcker als Ironie der Geschichte.

Doch griffe es zu kurz, würde man die beiden Architekturen nur als gegenläufige Spielarten ein und der selben Disziplin verstehen. Denn das Selbstverständnis der Architekten war in der DDR ein anderes als im Westen. Kuratorin Simone Hain betont, dass hier der Architekt als individueller Künstler kaum eine Rolle spielte, die Schöpfer der Baukunst waren Kollektive. Dass die DDR wenige bekannte Architekten wie Hermann Henselmann hervorbrachte, war eine logische Folge. Den westlichen Witzeleien, die DDR-Architekten hätten demzufolge keinen Berufsstolz gehabt, widerspricht Hain allerdings entschieden. Stolz sei man lediglich auf andere Dinge gewesen. Etwa darauf, "ökonomisch" zu bauen und mit wenigen Mitteln gemeinsam ein benötigtes Bauwerk zu schaffen. Individueller Künstler hier, Kollektiv dort. Ein wesentlicher Unterschied? Bliebe die Frage, ob nicht auch im Architektengroßbüro der individuelle Schöpfer hinter einem Kollektiv verschwindet.

Zwei deutsche Architekturen 1949 - 1989, noch bis zum 29. August 2004, Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, Katalog 25 EUR


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