"Kopfkino" in Dresden

Ausstellung Wenn sich in Deutschland ein Kunstmuseum zu einer Comic-Ausstellung entschließt, ist das noch immer ein Statement. Denn obwohl die graphic novel als ...

Wenn sich in Deutschland ein Kunstmuseum zu einer Comic-Ausstellung entschließt, ist das noch immer ein Statement. Denn obwohl die graphic novel als erzählende Kunstform eine ungeahnte Blüte erlebt, hat den Zwitter aus Text und Bild, U and E, stehendem und bewegtem Bild hierzulande weder der Kunst- noch der Literaturbetrieb wirklich aufgenommen.

Wer das Kunsthaus Dresden betritt, wo derzeit deutsche und internationale Comics unter dem Titel Kopfkino zu sehen sind, dem fällt sofort ein Grund ins Auge, der den schweren Stand des Genres in der bildenden Kunst erklären könnte: Es ist nicht leicht, einen Comic auszustellen. Comics sind nicht je ein Bild, sondern eine Folge von Bildern, das Comic-Exponat ist ergo ein langer Streifen an einer Wand. Die Betrachter haben meist den Kopf nach vorn gereckt, bewegen sich langsam im Seitschritt von links nach rechts, die Augen fest an die Geschichte geheftet, und manchmal, wenn sich die Tempi, in denen die Erzählung genossen wird, unterscheiden, rempelt ein Rezipient unversehens mit dem rechts neben ihm zusammen. Obwohl ein Comic sich einer Bildsprache bedient, wird er dennoch "gelesen". Seine visuelle Sprache in den Raum zu tragen, bedarf einiger Geschicklichkeit.

In Dresden gelingt es in einigen Fällen. Die Bildgeschichten der Hamburger Künstlerin Moki etwa fluten über die Ränder der Comic-Seiten hinweg. Moki hat ihre Tuschelinien, die Landschaften, Fabelwesen oder beides darstellen, über das Papier hinaus an die nackte Wand gemalt. Ist die Ausstellung beendet, werden sie überstrichen. Die Methode macht die verschlungene, wie hingeträumte Erzählung sinnlich erfahrbar, selbst wenn man in der Raummitte stehen bleibt. Ähnlich ist es bei Ulrich Scheels Die sechs Schüsse von Philadelphia. Scheel lässt vier Kinder in den Besitz eines Trommelrevolvers gelangen und damit ein Abenteuer erleben, das ständig zwischen Spiel und blutigem Ernst hin- und herkippt. Der filigrane Zeichenstil und die ungewöhnlich weiten Räume, die auf ganzseitigen Zeichnungen entstehen, verleihen der Geschichte Leichtigkeit, die den rauen Plot konterkariert. Wie Moki zeichnet Scheel jenseits der Seiten weiter. Die Bilder wirken, auch losgelöst vom Erzählzusammenhang, ebenso wie bei Line Hovens haarfein in Kreide gekratzter Familiengeschichte Liebe schaut weg.

Mit wenigen Ausnahmen wird in Dresden ein Genre ausgestellt, mit dem der Comic momentan seine größten Erfolge feiert - die autobiografische Erzählung, auffällig oft von Kindheits- und Jugenderlebnissen. Man streift durch die Bilderwelten von Marjane Satrapis gekonnt reduzierten Helden der iranischen Revolution, die zugleich Onkels sind, von Anna Sommers holschnittartig in schwarzer Tusche verewigter Frühpubertät auf dem Schweizer Land, durch Mawils ebenso derbe wie zärtlich gezeichnete Geschichten von Partys oder Urlaub am Meer und fragt sich, was es ist, das an dieser Gattung so fasziniert. Allzu simpel wirkt der Vorwurf, diese Generation von Künstlern bleibe in narzisstischer Selbstspiegelung verhaftet, sei womöglich nie erwachsen geworden - ganz wie die sich einfühlenden Betrachter. Anders als in den meisten Kunstausstellungen, passiert es hier, dass Besucher vor Exponaten lachen. Wenn Anna Sommer etwa die Reize des Landlebens ausschließlich im Spielen in Autowracks sieht oder in den unglaublichen Geschichten eines illegal auf dem Hof beschäftigten Fremdarbeiters, denen sie gebannt lauscht. Wenn Satrapi Revolution spielt oder Scheels Kinderprotagonisten mit der Waffe Ernst machen. Knallharte Realität wird märchenhaft wahrgenommen, Banales wirkt bedrohlich. Die naive Perspektive erlaubt es, mit Bedeutung aufgeladene Räume und Handlungen überraschend neu zu deuten. Wenn man schon vom Ausdruck oder Willen einer Generation sprechen will - und tatsächlich sind die Künstler meist um 1970 und später geboren - handelt es sich möglicherweise um ein Bedürfnis, Räume zu öffnen.

Noch bis 20. April 2008. Der Katalog zur Ausstellung ist im Verbrecher Verlag erschienen und kostet 12 Euro.

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