Mal etwas telefonieren

Revolutionäre In Berlin mobilisiert man zur Demo. Ende März soll unter dem Motto „Wir zahlen Eure Krise nicht“ gegen den entfesselten Kapitalismus Front gemacht werden

"Mobilisierung", dieses militärische Wort will nicht zum warmen Dottergelb der Wände passen. Und nicht zu „Omayra“, einem Frauennamen, den dunkeläugige Latinas tragen. Omayra, heißt ein Lokal, in dem an diesem Vormittag eine ungefähr zwei Schulklassen starke Gruppe an zusammengerückten Tischen sitzt. Man trinkt Tee. Aber nichts sonntagvormittägliches, kein Frühstück mit Karibik-Musik, sondern die „Mobilisierung“ führt diese Männer und Frauen zusammen. Es ist das Regionaltreffen Deutschland Nord-Ost, sie mobilisieren zum Aktionstag am 28. März.

„Die Entfesselung des Kapitals“, heißt es in einer Erklärung, „hat sich als zerstörerisch erwiesen. Ein anderes Wirtschaftssystem ist nötig, das Mensch und Natur dient.“ Nicht weniger. Es geht um zwei Großdemonstrationen in Frankfurt und Berlin. Und das ist nicht alles. Als Antwort auf den Weltfinanzgipfel werden sich zur selben Zeit europaweit Menschen erheben, um auf die Straße zu gehen, in London, Berlin, Paris – was von allem erst der Anfang ist. Das Banner: „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Kai*, der gerade spricht, ist aus Hamburg angereist, er gehört der Gruppe „Montagsdemo“ an, hinter seinem Stuhl liegt ein Rucksack nebst Iso. Kai ist Mitte 20, szeneschwarz gekleidet, dabei stilbewusst, einer, dem man zutraut, dass er sich auch mit Musik auskennt. Ein Ergrauter, Peter von SAV, Sozialistische Alternative, hat ihm das Wort erteilt, und Kai legt Bericht ab, wie es um die Mobilisierung in Hamburg steht. Kai spricht, in dieser Art, die linken Aktivisten eigen sind, wenn sie schon genügend Treffen wie diese überstanden haben, aber noch nicht bitter sind. Lächelnd, die Rede mit Worten gespickt, die lax und persönlich klingen. Gleichzeitig mit jener geübten freundlichen Förmlichkeit, die unbedingt nötig ist, um die Distanz zu Menschen wie Peter zu überwinden, der nur zwei Plätze weiter sitzt.

Draußen in der Wirklichkeit

Und „Mobilisierung“, dieses Kriegswort, das noch immer wie ein Fremder im Raum steht, meint viel mehr als das Problem, eine Truppe in Bewegung zu setzen, um eine räumliche Entfernung zu bewältigen. Es geht um das Schwierigste von allem, die Kommunikation. Gewerkschaftslinke und Kleinbauernbewegungen, Globalisierungskritiker, Frauenbewegte und „Gruppen verschiedener Glaubensrichtungen“ sind laut Erklärung Teil der großen Aktion. Hier am Tisch sitzen Ute von den StudentInnen, die einen Bildungsblock beisteuern wollen, und Lars von Attac und Kai von der Montagsdemo, und tritt man einen Schritt zurück, könnte man meinen, sie wollten alle gemeinsam ein Mehrgenerationenhaus gründen. Und da draußen, im weiten, wirklichen Raum, sind all die anderen, die eigentlich auch dabei sind – aber heute nicht hier. Da soll es noch „Gruppen geben“, die in Leipzig und Halle „mobilisieren“. Aber man weiß nichts von ihnen. Nur einer meint, sie gehörten zur „interventionistischen Linken“ und kennt einen von ihnen um eine Ecke herum. „Man könnte mal rumtelefonieren“. Da weiß man, dass man in der Wirklichkeit ist.

Ein Text des unterschätzten Schriftstellers Franz Jung schiebt sich ins Bewusstsein, der die Revolution 1918 so ähnlich beschreibt: „Es ging alles so ruhig vor sich hin wie zu Hause im Dorf ... Von meinen Verbindungsleuten hatte ich (seit dem Morgen) nichts mehr gehört. Und ich war nicht der einzige, der von jeder Verbindung abgeschnitten war.“ Jung wird es an dieser Stelle zu dumm, er tut, als ob er einen Auftrag habe und besetzt mit ein paar Soldaten ein Telegraphenbüro. Die deutsche Revolution beginnt.

*Alle Namen von der Redaktion geändert

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